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Drei Uhr morgens

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„Mehr Mitbestimmung” forderte der 5. Bundeskongreß des ÖGB im September 1963. Und immer wieder drehen sich alle wirtschaftspolitischen Forderungen der Gewerkschaften um denselben Zentralpunkt: Wie kann der Einfluß der Arbeitnehmer auf die Wirtschaftspolitik verstärkt werden?

Aber wir haben doch ohnedies schon fast einen Kammerstaat, wenden manche Politiker und auch Verfassungsjuristen ein. Die wirtschaftlichen Interessenverbände, seien es Arbeitgeber- oder Arbeitnehmerorganisationen oder sei es die Landwirtschaft, bilden ja schon einen Staat im Staat, reißen immer mehr Macht an sich, bilden eine Nebenregierung. Was wollen die denn noch mehr mitbestimmen?

So prallen nun seit Jahren die Argumente aufeinander. Nur allzu oft treten an die Stelle sachlicher Argumente Schlagworte und ideologische Phrasen. Die einen verdammen die Gewerkschaften und ihren Ruf nach Wirtschaftsdemokratie als Verrat an der Arbeiterschaft. Das ist doch alles nur Packlerei und Augen- auswischerei, heißt es. Auf zum Klassenkampf sei nach wie vor die einzig richtige Parole. Andere träumen von der guten alten Zeit, in der der Untertan zu schweigen und -zu gehorchen hatte. „Herr im Haus bin Ich”, ln der Wirtschaft gibt es keine Demokratie, da kann nur einer an- schaffen. Man hat zwar sehr schöne moderne Namen gefunden, um dieses Verhältnis schmackhafter zu machen. Man spricht von Human- relations und Betriebspaternalismus. Man übt sich in Sozialklimbim aller möglichen Art. Aber geändert hat sich für die Hausherren nichts. Es gibt aber natürlich auch schon Sozialromantiker. Die träumen bereits von einer neuen Gesellschaftsordnung. Wirtschaftsdemokratie, Mitbestimmung, Klassenkampf sind doch lauter überholte Begriffe. Es gibt doch schon längst keine Klassen und keine Untertanen mehr. Wir brauchen keine Mitbestimmung und keine sozialen Kämpfe. Alle Menschen sind doch Brüder. Es gibt nur mehr Mitarbeiter, Sozialpartnerschaft, Miteigentümer, Volksaktionäre.

Hinter all diesen Schlagworten stehen aber so viele echte Fragen, die noch niemand gelöst hat. Warum wollen sich denn die Gewerkschaften überhaupt nicht mehr ausschließlich auf die Lohnpolitik beschränken, sondern verlangen ein Mitbestimmungsrecht in den entscheidenden Wirtschaftsfragen? Kann die Gewerkschaft in einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung überhaupt Aufgaben dieser Art übernehmen? Werden die Gewerkschaftsmitglieder diese neuen Wege in der Wirtschaftspolitik verstehen? Wie stehen die österreichischen Unternehmer zu diesem Problem? Was hat die Wissenschaft zu der Auseinandersetzung um das Mitbestimmungsrecht zu sagen? Gibt es Erfahrungen zum Fragenkreis Mitbestimmung in der Wirtschaft in anderen Ländern, die auch für uns wertvolle Anregungen enthalten?

Es ist ein Verdienst des Österreichischen Gewerkschaftsbundes und der Volkswirtschaftsschule der steirischen Arbeiterkammer, einmal diese Fragen aus dem Alltagsstreit herausgelöst zu haben, um sie in einem internationalen Seminar zur Diskussion zu stellen, an der Wissenschaftler, Arbeitgebervertreter und Gewerkschaftsfunktionäre aus Polen, Jugoslawien, Holland und Österreich zu Wort kamen. Man hat in dieser Juliwoche, in der das Seminar im Stiftingtal bei Graz stattfand, keine Patentlösung gefunden. Alle Beteiligten gaben übereinstimmend der Meinung Ausdruck, die Dinge seien viel zu sehr in Fluß, um heute endgültige Lösungen Vorschlägen zu können. Aber es kamen doch drei wesentliche Punkte unbestritten und eindeutig zum Ausdruck.

• Die Verwirklichung der Mitbestimmung der Arbeitnehmer in der Wirtschaft ist für die westliche Demokratie genauso eine Existenzfrage wie für den Osten. Der Lebensstandard der Arbeitnehmer in der modernen Industriegesellschaft kann durch die Lohnpolitik allein nicht gesichert und noch weniger gesteigert werden. Die Arbeitnehmer werden von allen gesamtwirtschaftlichen Entscheidungen genauso betroffen wie jede andere soziale Gruppe. Daher ist es ihr legitimes Recht, bei diesen Entscheidungen mitzuwirken.

• Im Vordergrund des Ringens um die Wirtschaftsdemokratie steht nicht so sehr das Problem der Mitbestimmung auf Betriebsebene, sondern das Recht auf Mitbestimmung auf gesamtwirtschaftlicher Ebene. Was die Mitbestimmung im Betrieb betrifft, stellten die Betriebsfunktionäre, auch der Arbeitnehmerseite, eindeutig fest, wir wollen keine Co-Direktoren sein. Niemand hat die Absicht,- die Unternehmensleitung der ihr zukommenden Verantwortung zu entheben. Den Arbeitnehmern sollte nur auch im Betrieb ein Mitspracherecht eingeräumt werden, das über die derzeit geltenden Bestimmungen des Betriebsrätegesetzes hinausgeht. Auch der Betriebsrat kann sich nicht nur auf Personal- und Sozialfragen beschränken, sondern er sollte auch bei Investitionsproblemen, in Finanzierungsfragen oder Problemen der Produktionsplanung mit angehört werden. Aufgabe der Unternehmungsleitung ist es, in ihrer Entscheidung den Standpunkt der Arbeitnehmervertreter entsprechend zu berücksichtigen.

Nur Feuerwehr?

Primär geht es aber der österreichischen Gewerkschaftsbewegung darum, ihren Einfluß auf die Konjunkturpolitik, die Kreditpolitik, die Steuerpolitik, die Außenhandelspolitik, die Kartellpolitik und all die vielen anderen volkswirtschaftlichen Instrumente der Wirtschaftspolitik Einfluß zu gewinnen, die ausschlaggebend für die Sicherung der Arbeitsplätze, für eine gerechtere Einkommensverteilung, für ein entsprechendes Wachstum der österreichischen Volkswirtschaft sind.

Die dritte wesentliche Erkenntnis, die man auf dieser Tagung gewinnen konnte, war: Diejenigen, die heute noch behaupten, die österreichischen Arbeitnehmer seien nicht reif für die Wirtschaftsdemokratie, leben in den Vorstellungen von gestern. Die Diskussion über die Mitbestimmung sowohl im Betrieb als auch auf überbetrieblicher Ebene wurde auf einem Niveau geführt, wie man es nicht oft in Österreich finden wird. Die österreichischen Betriebsräte, die sich vor allem aus den verschiedenen Großbetrieben der Bundesländer rekrutierten, faßten ihre Gedanken am Schluß der Tagung zu einem Dokument zusammen, das den bezeichnenden Titel trägt „Mitbestimmen bedeutet Mitverantworten”. Die Arbeiter und Angestellten wollen nicht nur fordern, sondern sie sind bereit und haben das auoh in der Praxis hundertfach bewiesen, Verantwortung zu tragen. Die Zeit, in der sich der Arbeiter einzig und allein für sein Lohnsackerl interessierte, gehört der Vergangenheit an. Die Arbeitnehmer machen sich um das Geschehen im Betrieb und in der Volkswirtschaft oft mehr Sorgen als viele, die an den Sonntagen von der Verantwortung reden, aber Montag schon wenig vom Verantwortungs- bewüßfsfetn ‘ Spüren läkseft. Die Arbeitnehmer haben es allerdings satt, nuf immer Feuerwehr zu spielen. Wenn es der Wirtschaft gut geht, dann wollen manche Wirtschaftskreise und Politiker sehr gerne auf die Meinung der Arbeitnehmerschaft verzichten. Aber wenn eine Krise droht, wenn Schwierigkeiten auftauchen, dann wird nach dem Betriebsrat und der Gewerkschaft gerufen. So wird die Wirtschaftsdemokratie niemals funktionieren.

Als besonders erfreulich darf festgehalten werden, daß auch die Referenten, die nicht von der Gewerkschaftseite kamen, wie Professor Dr. Nemschak vom Wirtschaftsforschungsinstitut, Pater Dr. Walter Riener, der Direktor der Katholischen Sozialakademie und Doktor Kottulinsky von der Österreichischen Industriellenvereinigung, in ihren Ausführungen in wesentlichen Punkten mit den gewerkschaftlichen Darlegungen übereinstimmten.

Die Seminarteilnehmer wiesen darauf hin, wieviel mehr Schulung für die Arbeitnehmer notwendig ist. wenn sie mitbestimmen sollen, wieviel Informationsarbeit auch gegenüber der Belegschaft in den Betrieben noch geleistet werden muß. Wirklich interessante Referate konnte man auch von den holländischen, polnischen und jugoslawischen Gewerkschaftern über die gesamtwirtschaftliche Mitbestimmung ihrer Organisation in ihrem Land hören. Zweifellos gehen auch kommunistische Staaten heute neue und zum Teil interessante Wege. Aber es wäre eine Illusion, zu glauben, daß man die Erfahrungen und Methoden eines Landes auf irgendein anderes Land automatisch übertragen kann. Manchem österreichischen Superradikalen hätte es sehr gut getan, sich diese ehrlichen Referate von Gewerkschaftsvertretern aus Ostblockstaaten anzuhören. Sie stehen in gar manchen Punkten vor denselben Fragen wie die österreichische Wirtschaft. Ob ihr Weg oder der österreichische Weg der zweckmäßigere ist, wird die Zukunft weisen.

Pessimisten meinen heute so oft, es sei fünf Minuten vor zwölf. Bei den Besten in allen Lagern ist es in Wirklichkeit schon längst drei Uhr morgens. Nur haben es anscheinend zu viele verschlafen.

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