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Digital In Arbeit

Forderungen und kein Ende

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Die Strukturen sind erstarrt, die Zahl der Mitglieder sinkt. Trotzdem halten die deutschen Gewerkschaften an alten Strategien fest. Das behauptet zumindest die deutsche Wirtschaft.

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Die Strukturen sind erstarrt, die Zahl der Mitglieder sinkt. Trotzdem halten die deutschen Gewerkschaften an alten Strategien fest. Das behauptet zumindest die deutsche Wirtschaft.

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Strukturwandel und der Trend zu mehr individuellen Freiheiten sind in aller Munde. Da ist es eine interessante Frage, wie sich Organisationen - zum Beispiel die Gewerkschaften - in einem solchen veränderten Szenario behaupten werden. Noch reizvoller ist die Sicht des anderen Sozialpartners, nämlich die der Unternehmerseite. Dazu

hat das Institut der deutschen Wirtschaft in Köln den Band „ Gewerkschaften 2000“ vorgelegt.1

Ausgangspunkt sind Befragungsergebnisse aus der Bundesrepublik zum Thema Gewerkschaften, die sich folgendermaßen zusammenfassen lassen:

• Die Notwendigkeit von Gewerkschaften ist gesellschaftlicher Konsens. Die Notwendigkeit für den einzelnen, sich gewerkschaftlich zu organisieren, wird jedoch immer weniger gesehen.

• Die Ziele der Gewerkschaften

treffen immer weniger die Bedürfnisstruktur der Arbeitnehmer. • Die Entscheidungsprozesse in den Gewerkschaften werden als basisfern empfunden.

Die Frage ist, wie die Gewerkschaften auf diese Situation reagieren werden, und was die Unternehmerseite dem gegebenenfalls entgegensetzen soll.

Das vorliegende Ergebnis dieses Unterfangens ist allerdings mit Skepsis zu beurteilen. So liest man zwar mit einigem Genuß Formulierungen wie etwa: „Mittelpunkt der Funktionärsüberlegungen wird die eigene Laufbahn, die Erhaltung der Verbandsmacht... sein.“ Das kommt dem Österreicher schließlich bekannt vor .Vieles, was vorgebracht wird, ist auch sicher richtig. Beispielsweise wird gesagt, daß die Gewerkschaftspolitik fast immer nur den Arbeitsplatzbesitzern und nicht den Arbeitslosen zugute kommt. Aber auch das ist nicht neu und wird zur zynischen „Haltet-den-Dieb“-Attitüde, wenn es dann heißt: „Die Gewerkschaften werden glaubwürdige Beweise dafür liefern müssen, daß sie zu wirksamen Beiträgen zur Lösung der Beschäftigungsprobleme bereit sind.“ Andere Gruppierungen sind sicherlich in höherem Ausmaß gefordert.

Als Angelpunkt wird das Problem der Machterhaltung der gewerkschaftlichen Führungsspitze festgemacht. Unter anderem wird

genüßlich ausgewalzt, ob die Frage der Mitbestimmung für die Gewerkschaftsführung jemals ein wirkliches Anliegen war. Die hauptsächliche Argumentationslinie dieses Buches geht also dahin, daß die Gewerkschaftsführung, getrieben vom Problem der Machterhaltung, immer neue und immer unrealistischere Forderungen stellen muß, welche die Arbeitnehmer kaum noch interessieren. Denn die - so wird zu suggerieren versucht - sind ohnehin zufrieden und können sich für die „marxistischen Leitbilder“ der Gewerkschaft nicht erwärmen.

Man muß kein Gewerkschaftsfreund sein, um eine solche Argumentation als etwas zu simpel, oberflächlich und als a-priori-Des-a vouierung aller Forderungen nach Verbesserungen in der Arbeitswelt zu empfinden. Den Eindruck der Zufriedenheit bei den Arbeitnehmern kann man leicht vermitteln, wenn über Fragen der Einkommensverteilung, der Arbeitslosigkeit, der Sicherung der Pensionen, der Demokratisierung der Arbeitswelt und dergleichen erst gar nicht

gesprochen wird. Übergangen wird geflissentlich, daß alle Errungenschaften, die nun zum Beweis der Überflüssigkeit der Gewerkschaften angeführt werden (Freizeit, hohe Löhne und so weiter), nicht nur auf das Wohlwollen der Arbeitgeberseite zurückzuführen sind, sondern in einem jahrzehntelangen Prozeß erstritten werden mußten.

Recht ärgerlich sind auch einige statistische Untergriffe, die eher zur Vernebelung denn zur Erläuterung von Sachverhalten dienen. So sagt die Tatsache, daß ein Arbeitnehmer für seinen Lohn heute viel mehr kaufen kann als vor dreißig Jahren über das Verhältnis der Sozialpartner überhaupt nichts aus. Erstens ist auch die Produktivität dieses Arbeitnehmers heute entsprechend höher als in den fünfziger Jahren, und zweitens sind die Güter für die Unternehmerhaushalte zweifellos im gleichen Ausmaß erschwinglicher geworden, sodaß sich daraus für irgendwelche Verteilungsparameter gar nichts beweisen läßt.

Ein gewisser Umdenkprozeß in den Gewerkschaften wird zwar anerkannt, doch besteht für die Verfasser die Gefahr, daß dieser jederzeit in alte Klassenkampfvorstellungen umschlagen könnte. Der wenig sensationelle Vorschlag an die Unternehmensverbände lautet, daß die Umdenker und Öffner zu unterstützen seien.

So hat man ein interessantes

Thema leichtfertig verschenkt. Der Leser findet keine tiefergehenden Analysen, alles wird nach dem Schema abgewickelt: Wie ist die Lage, was werden die Gewerkschaften machen, was kann die Unternehmensseite dagegen tun? Nach Ansicht der Autoren werden die Gewerkschaften eine Doppelstrategie verfolgen müssen: Für die „traditionelle“ Mitgliederschaft werden weiterhin materiell orientierte Forderungskonzepte entwickelt werden müssen; für potentielle neue Mitglieder und Gruppierungen müssen neue Ziele in Richtung auf mehr Lebensqualität definiert werden. Die Unternehmen sollen den Wünschen der Arbeitnehmer nach mehr Flexibilität und Mitsprache entgegenkommen und die Lücke zwischen den Erwartungen der Arbeitnehmer und der gewerkschaftlichen Inflexibilität durch eine positive Politik füllen.

Das erscheint ziemlich plakativ und mag für Interessensvertreter

interessant sein, von allgemeinem Interesse ist es nicht - außer vielleicht die Erkenntnis, daß in dieser Diskussion der Sozialpartner nach einem reichlich simplen Prinzip von Aktion und Gegenaktion, Propaganda und Gegenpropaganda, Manipulation und Gegenmanipulation gearbeitet wird. Aber ein derartiger Ansatz erscheint immer weniger zeitgemäß, denn wie Hans Pestalozzi jüngst schrieb (in: Auf die Bäume, ihr Affen. Zytglogge, Bern 1989): „Wir stehen am Anfang einer gigantischen gesellschaftspolitischen Auseinandersetzung, einer Auseinandersetzung, die schon längst nicht mehr zwischen links und rechts verläuft. Es ist völlig unsinnig, eine Bevölkerung immer noch vertikal in Linke, Mittlere und Rechte aufteilen zu wollen... Die Auseinandersetzung verläuft zwischen oben und unten. Oben immer noch die..., die sich anmaßen, über unser Leben befinden zu wollen und uns sagen wollen, wie wir zu leben haben. Und unten Millionen von Menschen, die sagen: Ohne mich! Ich gestalte mein Leben selber!... und nicht, wie du da oben mich haben willst!“

Wäre man von einer solchen Perspektive ausgegangen, hätte ein interessanter Beitrag zur Gesellschaftspolitik der nächsten Jahre entstehen können.

“ GEWERKSCHAFTEN 2000. Bestandsaufnahme und Perspektiven. Herausgegeben von Uwe Göbel, Horst-Udo Niedenhoff, Winfried Schlaffke und Rudolf Spiegel. Deutscher Instituts-Verlag, Köln 1989.

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