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Was ist ein politischer Streik?

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Er könne sich nicht vorstellen, wie eine VP-FP-Koalition gegen eine starke Arbeiterbewegung regieren könne, hat Nationalrats- und ÖGB-Präsident Anton Benya vor ein paar Wochen gesagt. Er wirbelte damit einigen Staub auf. ÖAAB-Obmann Herbert Kohlmaier empörte sich im Parlament darüber, einige Zeitungen sprachen von Skandal und Drohung, aber dann wurde es sehr rasch still um Benyas zweifellos provokante Äußerung. Allerdings -der Staub blieb, er wirbelt bloß nicht mehr.

Auf die Unmutsäußerungen reagierte Benya gelassen. Er kalmierte: Der ÖGB werde sich in keine Regierungsbildung einmischen, im Parlament sei jede Mehrheit möghch. Es werde keine politischen Streiks

geben. Man habe seine Worte ganz falsch interpretiert.

Damit wäre alles wieder in bester Ordnung, wenn - ja wenn die Klarstellung Benyas nicht noch einen kleinen Nachsatz enthalten hätte, welcher die davor proklamierte politische Abstinenz der Gewerkschaften wieder in Frage gesteht hat: Da die Mehrheit der Arbeiter und Angestellten durch die SPÖ vertreten sei, könne man annehmen, daß sie „anders reagieren“ werden, wenn es eine andere Regierung geben werde.

Mit anderen Worten: Politische Streiks wird es in Österreich nicht geben, wo denken Sie hin! Lediglich - wie gehabt - „normale“ Streiks um Löhne und Arbeitsbedingungen. Allerdings, ob und wie ' das Instrument des unpohtischen Streiks eingesetzt wird, das hängt ganz von der politischen Konstellation ab.

Damit wird indirekt eine Ansicht bestätigt, die als politischer Geheimtip bereits seit langem gehandelt wird: Schauen wir, daß wir eine sozialistische Regierung behalten, das ist für alle das Beste, auch für die Unternehmer. Einzig und allein eine sozialistische Regierung kann die Gewerkschaften bei der Stange halten, eine Politik des Maßhaltens durchsetzen.

Nicht auszudenken, was geschehen würde, wenn die (mit einer einzigen Ausnahme) sozialistisch dominierten Gewerkschaften über eine Abwahl der SPÖ pikiert wären und sich mit einer schwarzblauen Koalition - publikumswirksam zum „Bürgerblock“ hochstilisiert -konfrontiert sähen, wenn sie das „verständliche“, ja „legitime“ Bedürfnis hätten, jeden Erfolg des „Bürgerblocks“ unmöglich zu machen, seine Wirtschaftspolitik von Anfang an zu konterkarieren.

Hier rühren wir an einer prekären Problematik, die erstaunlicherweise in praktisch allen Kommentaren zur Benya-Äuße-rung vorsichtig ausgespart wurde. Man bekam zwar robuste Sentenzen serviert wie „die SP verdient heute eher die Bezeichnung .Partei der Millionäre und Multifunktionäre', sie ist nur noch eine Karikatur einer Arbeiterbewegung“ usw., aber das Kardinalproblem wurde nicht tangiert.

Es geht in diesem Zusammenhang nicht um die Qualität der Sozialistischen Partei und ihre Loyalität zur Arbeitnehmerschaft, sondern in erster Linie um zwei Fragen:

• Darf in einem überparteilichen Gewerkschaftsbund die Majoritätsfraktion ihre Stärke dazu ausnützen, um ihre „unpolitischen“ Aktionen zur massiven Beeinflussung der Politik einzusetzen? Geschieht derartiges heutzutage vielleicht sogar automatisch, läßt es sich in der aktuellen Situation gar nicht vermeiden?

• Dürfen Gewerkschaften sich überhaupt - ob direkt oder indirekt - in die Politik einmischen, beispielsweise dadurch, daß sie sich über parlamentarische Beschlüsse hinwegsetzen oder sogar Parlament und Regierung - drastisch ausgedrückt - „erpressen“, ihnen eine bestimmte Politik aufzwingen?

Die Antwort ist: Formalrechtlich dürfen sie entweder gar nichts oder

aber alles tun, was sie woUen. Die Gewerkschaften agieren heutzutage - nicht nur in Österreich, sondern praktisch in der ganzen demokratischen Welt - im rechtsfreien Raum. Nirgends noch wurden ihre Rechte und Pflichten gesetzlich fixiert. Dies kann - je nach Situation - für die Gewerkschaften eine enorme Stärke, aber auch eine fatale Schwäche bedeuten. Mit Hilfe ihrer extralegalen PositioÄ können sie entweder den Staat dominieren oder aber vom Staat abserviert werden.

Eine legistische Definition der Gewerkschaftsfunktion würde deshalb gewiß im Interesse einerseits des Staates - speziell des demokratischen Staates -hegen, anderseits in demjenigen der Gewerkschaften selbst. Ob es jemals innerhalb der Demokratie dazu kommen wird, ist zweifelhaft. Solange die Gewerkschaften stark sind, werden sie jede Begrenzung ihrer Aktivitäten - und eine solche würde jede gesetzliche Systematisierung mit sich bringen - ablehnen. Sobald die Gewerkschaften schwach sind, besteht die Gefahr, daß ihnen der Staat auch die legitimen Forderungen nicht konzediert.

Diese letztere Situation ist gegenwärtig allerdings vollkommen hypothetisch. In allen demokratischen Staaten haben heutzutage die Gewerkschaften eine immens starke Position. Das Problem ist lediglich, daß zwar eine moderne Demokratie ohne Gewerkschaften nicht vorstehbar ist, daß aber eine Suprematie der Gewerkschaften auch wieder die Demokratie in Frage stehen kann.

Eine Demokratie ist bloß solange funktionsfähig, als die im Parlament beschlossenen Gesetze auch durchsetzbar sind. Sobald irgendwelche Institutionen - und mögen sie prima vista noch so demokratisch sein - sich über Parlamentsbeschlüsse hinwegsetzen oder dem Parlament Beschlüsse diktieren können, wird die Sache fragwürdig.

In diesem Zusammenhang muß man allerdings an das Schicksal von „Lohnleitlinien“ denken - in all denjenigen Staaten, in denen solche beschlossen und von den Gewerkschaften ungehindert ignoriert wurden. Dies ist nur ein Aspekt unter vielen, die alle eine kritische Revision des gewerkschaftlichen Demokratieverständnisses angezeigt erscheinen lassen.

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