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Closed shop ? No!

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Am Beginn der Arbeiterbewegung stand der Kampf um die Koalitionsfreiheit: Das Recht, sich zu organisieren und damit die sozialen Forderungen durchzusetzen. Das Vereinsgesetz von 1867 war die rechtliche Grundlage dieser Zusammenschlüsse in Verbänden und ist es bis zum heutigen Tag geblieben. Bedeutung erlangten die Gewerkschaften im Laufe der Entwicklung durch den freiwilligen Beitritt jener, die in der Organisation das Mittel sahen, um ihre Forderungen zu erkämpfen. Auch die Entwicklung der Kollektivvertragspolitik zeigt sowohl vor der gesetzlichen Regelung, also vor 1919, als auch .nachher, daß nur freiwillige Berufsorganisationen nach dem Gesetz die Kollektivvertragsfähigkeit hatten. Die gesetzlichen Interessenvertretungen, also die Kammern, waren damals von der Kollektivvertragsfähigkeit ausgeschlossen.

Die Gewerkschaften entwickelten sich also von Anbeginn an nicht auf der betrieblichen, sondern auf der beruflichen, demnach überbetrieblichen Ebene. Leider versuchte man bald, die Freiwilligkeit durch Zwang zu ersetzen. Vor allem die freien Gewerkschaften wendeten nicht immer demokratische Methoden an. Nicht zufällig wurde daher 1927 das Antiterrorgesetz von den Mitgliedern der christlichen Gewerkschaften gefordert, da sie wahrhaftig ihre Erfahrungen mit dem Gesinnungszwang in den Betrieben hatten. Auch die Zeit des sogenannten autoritären Regimes, 1934 bis 193 8, hielt an der Freiwilligkeit des Beitrittes zum damaligen Gewerkschaftsbund der österreichischen Arbeiter und Angestellten, der eine Körperschaft öffentlichen Rechtes war, fest. Schon in der Untergrundbewegung während der Zeit des nationalsozialistischen Regimes kam es zu Vereinbarungen von Vertretern der ehemaligen Richtungsgewerkschaften über die Gründung einer Einheitsgewerkschaft, die dann auch 1945 ins Leben trat und sich naturgemäß wiederum auf Vereinsbasis, also mit dem Prinzip der Freiwilligkeit, konstituierte.

Aus diesem Einheitsgedanken heraus ist der heutige Gewerkschaftsbund entstanden. Freilich nimmt der Oesterreichische Gewerkschaftsbund heute im öffentlichen Leben eine Stellung ein, die weit über die Befugnisse eines Vereines hinausgeht, Seine Vertreter - entscheiden- in • -der■■ .Wirtschaft und im öffentlichen Leben überhaupt “mit. Diese Entwicklung gibt dem Gewerkschaftsgedanken eine andere, vor allem wesentlich stärkere Bedeutung als ehedem. Diese öffentliche Funktion würde dem Gewerkschaftsbund fast die Stellung einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft zuweisen. Allerdings bestehen in Oesterreich in seinem weitausgebildeten Kammersystem die Arbeiter k a m m e r n, die schon sehr früh von der Arbeiterschaft gefordert wurden und sich erstmalig 1920 konstituierten. Sie sind öffentlich-rechtliche Körperschaften, die von Gesetzes wegen die Interessen der Unselbständigen wahrzunehmen haben; sie gelten als das Gegenstück zu den Kammern der gewerblichen Wirtschaft, wie die Landarbeiterkammern aus jüngster Zeit das Gegenstück zu den Landwirtschaftskammern in den Ländern bilden. Die Kammern sind keine Vereine, man kann daher auch nicht von einer Mitgliedschaft zu ihnen sprechen, sondern kammerzugehörig ist jeder, den das Gesetz ais zugehörig bezeichnet. *

Diese Entwicklung muß man kennen, wenn man den Gedanken des „geschlossenen Betriebes“ beurteilen will. Der closed shop wurde in Amerika begründet. Er verlangt, daß jeder Beschäftigte eines Betriebes jener Gewerkschaft angehören muß, die im Betrieb über eine bestimmte Mehrheit verfügt. Diese Vorstellung ist aber an die völlig anders geartete Entwicklung der Gewerkschaften in Amerika geknüpft, wo sich die Gewerkschaften nicht überbetrieblich als Berufsvereinigungen entwickelt haben, sondern Betrieblich in bestimmten von ihr in Anspruch genommenen Betrieben. Diese Entwicklung ist uns fremd, auch wenn man neuerdings in Oesterreich versucht, für das closed shop Stimmung zu machen. Nebenbei bemerkt, hat sich der geschlossene Betrieb auch in Amerika niemals vollständig durchgesetzt und war sogar eine Zeit lang gesetzlich verboten. Dagegen propagiert man nunmehr drüben den sogenannten union shop, der nur eine Abart des closed shop ist; er besagt, daß derjenige, der in einem bestimmten Betrieb arbeiten will, die Bereitschaft zeigen muß, sich bei jener Gewerkschaft organisieren zu lassen, die wieder im Betrieb die Mehrheit besitzt. Der Unterschied ist nicht groß, sondern graduell bedingt, da beim closed shop bei Aufnahme in den Betrieb die Organisationszugehörigkeit bereits bestehen muß, während beim union shop beim Eintritt in den Betrieb nur die B e-reitschaft versichert werden muß, dieser Organisation beizutreten. Da aber bei uns die Gewerkschaften auf überbetrieblicher Ebene, nämlich auf Berufsebene, organisiert sind, würde die Einführung auch nur des union shop bedeuten, daß der unorganisierte Dienstnehmer nirgends arbeiten dürfte. Das aber würde zu einem Koalitionszwang führen, der der Koalitionsfreiheit geradezu entgegengesetzt ist. Die Gewerkschaften stehen aber nach wie vor zu dem Prin zip der Freiwilligkeit. Also gibt es nur ein Entweder-Oder: Entweder man bekennt sich zum freiwilligen Beitritt, dann muß man konsequenterweise den geschlossenen Betrieb ablehnen, oder aber man will den geschlossenen Betrieb einführen, dann fällt der Grundsatz des freiwilligen Beitrittes, und wir müssen konequenterweise zum Koalitionszwang gelangen, den niemand will.

Freilich soll man auch die Argumente hören, mit denen man für den geschlossenen Betrieb plädiert. Das stärkste sozialpolitische Instrument einer Gewerkschaft ist der Kollektivvertrag. Nun gelten die von den Gewerkschaften abgeschlossenen Kollektivverträge nicht nur für die Mitglieder, sondern auch für die Nichtmitglieder. Daher partizipieren die Nichtmitglieder an Errungenschaften der Gewerkschaften, ohne sich zu ihnen zu bekennen und ihren Beitrag zu ihrem Bestand leisten zu müssen. Sie sind also in den Augen der Organisierten Schmarotzer, die an, einem Erfolg teilhaben, ohne selbst zu ihm etwas beigetragen zu haben. Um dieser Verärgerung willen wjll man nun den geschlossenen Betrieb einführen. Hier aber steht die Frage auf: Was wäre einer Gewerkschaftsbewegung mit solchen „Zwangsmitgliedern“ gedient? Jeder ehrliche Gewerkschafter muß solche „Mitläufer“ von Haus aus ablehnen. Zugegeben, daß es für die Organisierten unbehaglich ist, Nichtmitglieder als Mitesser ihrer Früchte zu wissen. Aber gerade im Hinblick auf den Aufstieg und die heutige Bedeutung des Gewerkschaftsbundes und, weil in e i n e m Betrieb eben nur e i n Kollektivvertrag ohne Rücksicht auf die Organisationszugehörigkeit der Beschäftigten gelten kann, muß dieser Mangel wohl oder übel in Kauf genommen werden.

Die Freiheit ist ein hohes Gut. In der demokratischen Staatsform ist die Garantie gegeben, daß sie gewahrt bleibt. Fällt die Freiheit, dann fällt auch die Demokratie. Diese Freiheit steht uns viel zu hoch, als daß wir Ausnahmen — und der geschlossene Betrieb wäre eine solche Ausnahme — zulassen könnten. Dazu kommt aber noch, daß die Gewerkschaften, wenn sie Zwangscharakter annehmen würden, auch zwangsläufig öffentlich-rechtliche Körperschaften werden müßten. Damit würden solche Gewerkschaften ihr Eigenleben aufgeben, da sie aufhören müßten, Gemeinschaft zu sein. Es gäbe beispielsweise keinen Gewerkschaftsstreik mehr, da öffentlich-rechtliche Körperschaften niemals einen Streik ausrufen könnten (denn auch er ist Ausfluß der Koalition und damit der Koalitionsfreiheit). Die Arbeiterkammern würden überflüssig, da nunmehr die Gewerkschaften als öffentlich-rechtliche Körperschaft die Funktionen der Arbeiterkammern übernehmen müßten. Die Gewerkschaften würden letzten Endes nur noch bürokratische Einrichtungen werden, denen höchstens ein gewisser Fachcharakter zukäme. Es gäbe keine Mitgliedschaft mehr, sondern nur eine Zugehörigkeit. Es könnte daher auch keine Fühlungnahme der Mitglieder untereinander geben.

Aus dem Gesagten ergibt sich nur die eine Schlußfolgerung: den geschlossenenBe-trieb abzulehnen. Die Gewerkschaften können nicht mit Zwang agieren, sondern nur mit der Ueberzeugungskraft ihrer Erfolge.

In diesem Lichte muß auch der Fall „Graf und Stift“ gesehen werden. Es gibt hier keinen Kompromiß. Und weil es sich um eine grundsätzliche Frage handelt, muß dieser Fall vor den Gerichten ausgetragen werden. Denn in diesem Fall wurde das Koalitionsrecht verletzt, es wurde an der demokratischen Freiheit gerüttelt und versucht, sie zu mißachten.

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