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Hat sich die berufliche Selbstverwaltung bewhrt?

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Die drei großen Kammern sind nicht allein Interessentenverbände etwa der Unternehmer oder der Arbeitnehmer, sondern haben darüber hinaus den Charakter von Selbstverwaltungs-körpern gesellschaftlicher Großgruppen. Das zeigt sich ganz besonders hinsichtlich der sogenannten „Handelskammer“ (Bundes- und Landeskammer der gewerblichen Wirtschaft).

Es wird nun im Rahmen der Darstellung der Thesen zur Sozialreform viel vom Subsidiaritätsprinzip gesprochen, aber so, als ob es sich hierbei lediglich um eine abstrakte Angelegenheit handle, bestenfalls für eine akademische Diskussion geeignet.

Tatsächlich aber haben wir in der Institution der Handelskammern seit mehr als einem Jahrhundert den Versuch vor uus, die Gedanken der Subsidiarität in die Wirklichkeit des gesellschaftlichen Geschehens zu übersetzen und dadurch zu einer Art von Zuständereform zu kommen.

Das neue Handelskammergesetz stammt aus dem Jahre 1946 und ist daher schon wieder fast zehn Jahre alt. Es drängt sich daher die Frage auf, ob sich die Institution der Unternehmerkammer auch in der Zweiten Republik bewährt hat und Zeugnis für die sachliche Gültigkeit des Subsidiaritätsprinzips abzulegen vermag. Mit der gleichen Frage beschäftigt sich übrigens auch eine Sondernummer der „Wirtschaftspolitische) Blätter“ (herausgegeben von der Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft), in der freilich nur Kammerbeamte schreiben oder solche Autoren, die mit der Art der Führung der Kammern einverstanden sind.

Wenn nun Subsidiarität heißen soll, daß die kleineren Gemeinschaften oder die Berufsverbände die Verwaltung ihrer Angelegenheiten, so weit sie dafür sachverständiger sind als die vorgeordneten Instanzen, selbst besorgen sollen, so heißt das weiter: Abgabe von Macht und Zuständigkeit von oben nach unten und wesens-mäßige Dezentralisierung der gesamten Verwalr tung der gesellschaftlichen Angelegenheiten. Auf diese Weise empfangen die Kammern, wenn man ihnen von oben her Machtausübung überträgt, einen behördenähnlichen Charakter. Daneben sind sie auch deswegen in Teilbereichen der Verwaltung Quasi-Behörde, weil sie vom Gesetz zu ihrem selbständigen Wirkungskreis noch einen übertragenen Wirkungsbereich zugemessen erhalten haben, in dessen Rahmen sie faktisch für die staatliche Gewalt stellvertretend wirken. Im Zusammenhang mit den letzten Handelskammerwahlen wurden eine Reihe von Vorwürfen gegen die Kammern (die Kammerverwaltung und die Kammerführung) erhoben, die einer Beachtung wert sind, dies um so mehr, als die Kammein die Treuhänder der Interessen von nicht weniger als 350.000 Gewerbetreibenden sind.

Die Verwaltung der Kammern liegt nun in den Händen von teilweise pragmatisierten Beamten. Diese Beamten — Menschen von höchster Sachkenntnis — sind zwar vertraglich verpflichtet, den Interessen einer gesellschaftlichen Gruppe zu dienen, ebenso wie dem Gedanken der Dominanz der Privatwirtschaft in der Gestaltung der nationalen Wirtschaft. Am kommerziellen Ergebnis ihrer Tätigkeit, so etwa an einer günstigen Preisgestaltung, sind die Kammerbeamten persönlich nicht interessiert. Dadurch aber haben sich die Beamten der Kammer ein hohes Maß an Objektivität zu sichern vermocht. Die Folge ist, daß die in jeder Demokratie unvermeidbaren Auseinandersetzungen der Gruppen und Verbände (der „Klassen“) zu einem großen Teil in einer Atmosphäre der Sachlichkeit geführt werden. Gerade das wird nun zuweilen den Kammerbeamten vorgeworfen: Die Voranstellung der volkswirtschaftlichen vor den Gruppenzielen. Nicht nur das; eine oppositionelle Gruppe unter den Gewerbetreibenden behauptet außerdem, daß die Kammerverwaltung eine besondere Art von Bürokratie geschaffen habe, die sich in nichts von der Bürokratie der Hoheitsverwaltung unterscheide. Der dritte Vorwurf, bereits ein staatspolitischer, ist der, daß die Kammern (das gilt für alle drei Groß-Kammern) die staatliche Verwaltung stark unter Druck setzen und über ihre Beamten die letzten Entscheidungen zumindest auf dem wirtschaftlichen Bereich treffen.

Was den Vorwurf der Versachlichung der Kammerverwaltung — die Bedachtnahme auf die volkswirtschaftlichen Interessen — betrifft, so liegt gerade im Vorwurf die Feststellung der Bewährung.

Das Entstehen einer Kammerbürokratie ist unvermeidbar und bis zu einem gewissen Umfang sachlich geboten. Keine Verwaltung kann heute ohne Apparat auskommen. Wesentlich ist, daß dieser Apparat nicht autonom wird und seine Vertreter schließlich nur noch bemüht sind, sich selbst zu verwalten.

Was die Kammerherrschaft angeht (den „Kammerstaa t“), so ist eine Erinnerung geboten: Die, wie man weiß, bestens verwalteten Stadt-Staaten des Mittelalters hatten in ihren Führungskörpern fast ausschließlich Vertreter der Zünfte, die der wirtschaftlichen Wirklichkeit näher standen als reine Bürokaten.

Zur Opposition ist zu sagen, daß sie sehr unterschiedlich zusammengesetzt ist:

1. spielen die Auseinandersetzungen zwischen den einzelnen Unternehmergruppen eine große Rolle. Händler stehen gegen Erzeuger, Großhändler gegen Einzelhändler, kapitalkräftige Unternehmer gegen die „Kleingewerbetreibenden“; wie es ja überhaupt ein Fehler ist, „Unternehmer“ mit „Unternehmer“ gleichzusetzen. In den letzten Jahren ist es besonders der Handel gewesen, der sich gegenüber den anderen Sektionen stark zurückgesetzt gefühlt hat. Diese Zurücksetzung soll sich vor allem bei den Presseaussendungen der Bundeskammer zeigen, die, wie bei einer Gremip.msitzung mitgeteilt wurde, von der Industrie geradezu „zensuriert“ werden. Der Handel will nun, um sich der Bevormundung der Erzeuger zu entziehen, eine Vergrößerung der Importe. Die Erzeuger wieder gehen auf die Direktbelieferung der Letztverbraucher, zumindest aber der Einzelhändler, über, unter Umgehung der Großhändler, deren Stellung in manchen Branchen schwer erschüttert ist.Das Kammergesetz schreibt einen internen „Interessenausgleich“ zwischen den verschiedenen Wirtschaftsgruppen vor, der jedoch, wie der Handel behauptet, auf seine Kosten geht. Dem Handel wird allgemein vorgeworfen, daß er seine Funktion, die Ware auf dem billigsten und besten Weg zum Letztverbraucher zu bringen, nicht durchweg richtig erfüllen und daher weitgehend „funktionslos“ sei.

Aus diesen Auseinandersetzungen, die auf Umschichtungen im Bereich der Privatwirtschaft und in der volkswirtschaftlichen Verteilung hinweisen, sind nun Angriffe gegen die Kammern als Einrichtung entstanden, die weit weg vom ursprünglichen Ansatzpunkt des Konfliktes führen.

2. sitzen in der Führung der Kammern meist Vertreter der Regierungsparteien. Außerhalb der Kammerführung (ausgenommen in einigen Bundesländern) stehen nun Unternehmer, deren politische Freunde auch in der Parteipolitik mit den Regierungsparteien im Streit liegen. Zuvorderst sind es die dem VdU und seinen als „Dritte“ Kraft firmierenden Metastasen nahestehenden ehemaligen nationalsozialistischen und national-liberalen Unternehmer, welche m den sogenannten „freien“ Verbänden, die wegen ihrer Einflußlosigkeit „unpolitisch“ sind, meist die Oberhand haben., Bisweilen haben nun die Führer dieser Verbände in den letzten Monaten mit den Kammerfunktionären in einer nicht gerade höfischen Grandezza Beschuldigungen und Ehrenbezeigungen ausgetauscht, bis man sich schließlich beim Strafrichter findet.

3. Breite Kreise dagegen wehren sich gegen das Prinzip der Zwangsmitgliedschaft. Diese Zwangsmitgliedschaft zeigt sich drastisch in der Tatsache, daß die Kammerbeiträge unmittelbar vom Betriebsfinanzamt einkassiert werden. Nun ist aber die Zwangsmitgliedschaft bei einem Berufsverband kein Novum. Die ganze Zunftorganisation des abendländischen. Mittelalters beruhte auf der Tatsache einer zwangsweisen Zugehörigkeit zu den Zünften. Gleiches gilt etwa für die Gilden des antiken Rom. Wie stünde es mit der Einrichtung der Sozialversicherung ohne zwangsweise Zugehörigkeit? Selbstverständlich ist die Zwangsmitgliedschaft verführerisch und bedarf einer klugen Führung an der Spitze, um das Aufkommen behördlicher Despotien in der Kammerverwaltung zu verhindern.

Was nun die freien Verbände anlangt, müßte erwogen werden, diese, so weit sie seriös sind, als eine Art von Korrektiv in die Kammerführung einzubauen, um so besser dem „Volkswillen“ Rechnung zu tragen.

Von den Vorwürfen der Opposition abgesehen, muß die Oeffenflichkeit dann gegen die Kammerverwaltung Stellung nehmen, wenn da und dort versucht wird, die Berufsorganisationen zu einem Kartell derer auszubauen, die bereits an der Macht sind (d. h. z. B. das Gewerberecht besitzen). So sei an die Art erinnert, wie zuweilen die Zulassungsbedingungen gehandhabt werden. Obwohl das berüchtigte Untersagungsgesetz gefallen ist, haben es die Funktionäre mancher Berufsgruppen noch in der Hand, den Zuzug von mißliebigen Konkurrenten auf die unterschiedlichste Weise zu unterbinden. Es sei erinnert an die besondere Art, wie zuweilen Meisterprüfungen abgehalten werden. So wird in manchen Branchen an Stelle des formellen ein faktisches Untersagungsgesetz geschaffen. Kann man nun angesichts der Argumente für und wider die Kammern tatsächlich so weit gehen und sagen, der Gedanke der Selbstverwaltung und mit ihm das Prinzip der Subsidiarität befänden sich in einer Krise?

Wenn Macht von oben nach unten abgegeben wird, entsteht auf einer niedrigen Stufe und auch jenseits des Bereiches der öffentlichen Verwaltung eine Art von zweiter Bürokratie. Auch die freien Verbände können das Entstehen eines Apparates kaum verhindern. Es sei hier an die Gewerkschaften erinnert. Wenn nun die Kammermacht Mit-Macht ist, muß die Kammerführung diese Macht im Interesse des Gemeinwohles zu nützen versuchen. Das bedeutet Uebergang vom internen Interessenausgleich zu einem gesamtwirtschaftlichen. Man kann nicht gut in einem Atemzug von „freier“ Wirtschaft sprechen oder gar sich zu den Gedanken der 48er-Revolution bekennen (Märznummer der „Wirtschaftspolitischen Blätter“) und gleichzeitig massive Versuche fördern, die auf Preisdiktate hinauslaufen oder auf die Errichtung von Kartellen, welche letzten Endes das Prinzip der privatwirtschaftlichen Ordnung ad absurdum führen und in ihren Methoden der Ausbeutung dem Kollektivismus kaum nachstehen, es sei denn in der Verdeckung ihrer wahren Ziele.

Die Kammern — auch die der Unternehmer — sind eine Darstellungsform der Demokratie, ein Stück gesellschaftlicher Wirklichkeit. Der von manchen Unternehmern unternommene Versuch, die Kammern zu zerschlagen, läuft darauf hinaus, auf den Staat Verantwortung und Macht rückzuübertragen, ist also gleichbedeutend mit wesenswidriger Zentralisierung, die man gerade durch die Opposition gegen die Kammern beseitigt wissen will. A. B.

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