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Eiertanz am Rande der Verfassung

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In den Beneluxstaaten, aber auch in Deutschland und Frankreich werden Kartoffel rar und deren Preise steigen exzessiv. In Österreich ist die Situation glücklicherweise nicht so kritisch, aber auch hier kann es zu Verknappungen und übermäßigen Preissteigerungen kommen.

Nun, für uns Österreicher, die wir nicht so sehr auf Kartoffeln fixiert sind wie die Menschen weiter im Norden, scheint die Angelegenheit nicht so tragisch zu sein: werden die Erdäpfel rar und teuer, nun, dann werden wir eben auf Nudeln „ausweichen“.

Glaubt man. Wenig später stellt sich nämlich heraus, daß auch Durum-Weizen knapp wird. Und ohne Durum-Weizen ist nun einmal keine ordentliche Teigware herzustellen.

Trifft also demnächst das ein, was die Katastrophen-Prognostiker seit einigen Jahren beharrlich verkünden, nämlich eine globale Hungersnot? Nun, soweit sind wir — zumindest in den westlichen Industriestaaten mit ihrer leistungsfähigen Landwirtschaft — noch nicht. Genauer gesagt, wir müßten nicht soweit sein: Die österreichische ebenso wie die gesamte westeuropäische Agrikultur kann die Versorgung der Bevölkerung durchaus garantieren, vorausgesetzt, daß die Politiker es zulassen. Denn die auftretenden Mangelerscheinungen sind nicht die Konsequenz einer echten Knappheit, sondern einer schlechten Landwirtschaftspolitik.

Unsere Regierung, wie immer am Ball, präsentiert sofort ein neues Marktordnungskonzept und visiert dabei, zielsicher wie immer, das wichtigste Problem an, dessen Bewältigung unsere sämtlichen Agrar-sorgen mit einem Schlag lösen würde: Die Verdrängung des ÖVP-Einflusses aus der Landwirtschaft, die Entmachtung der Landwirtschaftskammern, in denen unverschämterweise die ÖVP über eine demokratisch gewählte Mehrheit verfügt. Ist das einmal gelungen, dann wachsen wahrscheinlich die Kartoffeln von selbst.

Zugegeben, die österreichischen Marktordnungsgesetze sind, obwohl sie sich bisher im großen und ganzen bewährt haben, reformbedürftig. Dazu kommt, daß sie befristet sind und alljährlich neu beschlossen werden müssen. Da sie außerdem noch Verfassungsgesetze sind und ihr Beschluß daher eine Zweidrittel-Mehrheit benötigt, führt dies zu konstanten Feilsohereien zwischen den Großparteien.

In der Zeit der ÖVP-Alleinregie-rung haben es die Sozialisten sehr geschickt verstanden, die Marktordnungsgesetze als politisches Druckmittel zu verwenden und die Volkspartei am Einsatz ihrer absoluten

Majorität mit Hilfe von legislativen Junktims zu hindern. Am bekanntesten ist das sogenannte „Krampus-Abkommen“ geworden, das darin bestand, daß die ÖVP-Regierung für die Zustimmung der Sozialisten zu den Agrargesetzen auf das geplante Gesetz zur Entpolitisierung der verstaatlichten Industrie verzichten, beziehungsweise es bis zur Unkenntlichkeit verwässern mußte.

Nunmehr sollen die Marktordnungsgesetze reformiert werden, was an sich begrüßenswert wäre: Zum ersten sind verschiedene saqhliche Korrekturen notwendig, zum anderen wäre es höchste Zeit, sie unbefristet zu beschließen, um den jährlichen Kuhhandel zu vermeiden, und die Landwirte, welche mehr als alle anderen Berufsgruppen langfristig denken müssen, nicht Jahr für Jahr zu verunsichern.

Statt daß aber nun für eine sachliche Neuordnung ein breiter Konsens aller Parteien angestrebt würde, versucht man, im Alleingang die Vorstellungen durchzusetzen. Mit Hilfe einer sehr riskanten juristischen Volte, welche sich auf ein etwas problematisches Gutachten des Verfassungsdienstes im Bundeskanzleramt stützt, soll die künftige Marktordnung nicht in einem Verfassungsgesetz, sondern in einem einfachen Gesetz festgelegt werden.

Zentraler Punkt des sozialistischen Marktordnungsentwurfs ist die Ab-/ Schaffung der agrarischen Fonds und die Übertragung ihrer Kompetenzen an das Landwirtschaftsministerium. Dies gibt den Sozialisten die Möglichkeit, auf die Zustimmung der

Oppositionsparteien verzichten zu können.

Übrigbleiben soll ein „Beirat“, welcher keine beschließende, sondern nur eine beratende Funktion haben soll. Da neben den drei Kammern nun auch noch der Gewerkschaftsbund sowie das Handels- und das Finanzministerium mit je zwei Repräsentanten vertreten sein soll, ist

— zumindest in der aktuellen Konstellation — die Dominanz der Sozialisten gesichert.

Sicherlich kann man der Meinung sein, daß die Kammern und Verbände in Österreich hypertroph sind und die Entscheidungsgewalt wieder stärker zu den staatlichen Organen zurückverlagert werden müsse. Wenn man aber das will, dann muß man auch konsequent sein. Es geht aber nicht an, die Institutionen, in denen die Opposition die Mehrheit hat, immer stärker zurückzustutzen, hingegen aber jene, in welchen die Sozialisten dominieren — beispielsweise Arbeiterkammer und Gewerkschaftsbund — mit immer mehr Kompetenzen auszustatten.

In sachlicher Hinsicht hat die neue Marktordnung der Regierung wenig zu bieten — und was sie zu bieten hat, ist problematisch. So soll beispielsweise der Schutz der inländischen Produktion gestrichen, diese „im Interesse der Konsumenten“ ganz den Zufälligkeiten der internationalen Märkte ausgeliefert werden — und das in einer Zeit, in der

— neben gelegentlichen marktderou-tierenden Überschüssen — immer mehr Mangelerscheinungen auf den Weltagrarmärkten auftreten und eine ernährungsmäßige Autarkie —

die aber den Schutz der inländischen Agrarwirtschaft zur Voraussetzung hat — gerade im Hinblick auf den Konsumenten dringend notwendig macht.

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