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Vertauschte Fronten

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Sind die Gewerkschaften liberal und die Unternehmer sozialistisch geworden? Diesen Eindruck könnte man gewinnen, hört man Landwirtschafts- und Bundeswirtschaftskammer für die Marktordnung plädieren, die Gewerkschaften hingegen für er- satzloses Auslaufen eintreten.

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Sind die Gewerkschaften liberal und die Unternehmer sozialistisch geworden? Diesen Eindruck könnte man gewinnen, hört man Landwirtschafts- und Bundeswirtschaftskammer für die Marktordnung plädieren, die Gewerkschaften hingegen für er- satzloses Auslaufen eintreten.

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Allerdings, der Eindruck ist falsch. Nur ist die Gesetzeslage se konfwi und die Stratej c der Sozialisten und Gctvarkschaften deirzeit so rahuUsWch, daß es niemandem verübelt werden kann, w énri cf Sich nicRf nifhr auskemft.

Die Kontroverse geht um eine Reihe befristeter Wirtschaftsgesetze, welche Verfassungsrang haben, also mit einfacher Majorität nicht beschlossen werden können, sondern der Zweidrittelmehrheit bedürfen. Die Sozialisten können sie daher nicht ohne die Stimmen der ÖVP beschließen.

Wer aber nun glaubt, das Problem bestünde darin, daß die ÖVP nicht zustimmen wolle oder Bedingungen stelle, der irrt. Die große Oppositionspartei ist an sich bereit, für eine Verlängerung zu stimmen oder über eine Reform zu verhandeln. Es ist die Regierungspartei, die ihrerseits Bedingungen stellt. Die Fronten sind auch diesbezüglich in paradoxer Weise vertauscht.

Um welche Gesetze es sich genau handelt, haben die Sozialisten bisher nicht präzisiert. Art sich gehören zu den wirtschaftlichen Verfassungsge- setzfn mit beschränkter Laufzeit auch das Lebensmittelbewirtschaf- tungs-, das Rohstofflenkungs- und das Lastenverteilungsgesetz, die gegenwärtig kaum zur Wirkung kommen, aber an sich wichtige Vorsorgeinstrumente für den Krisenfall sind. Ob sie von den Sozialisten ebenfalls aufs Spiel gesetzt werden, wird sich zeigen.

Des weiteren gibt es das Preistreibereigesetz, das Strafsanktionen vorsieht, wenn der „ortsübliche“ Preis um 5 Prozent überschritten wird. Es ist ein ziemlich wirkungsloses, schwer admmistrierbares Gesetz, auf das bisher eigentlich nur die Sozialisten selbst Wert legten.

Die wirklich kritischen Gesetze, um die auch die Kontroverse geht, sind das Landwirtschafts-, das Marktordnungs- und das Preisregelungsgesetz. Bei den beiden letzteren verlangen die Sozialisten gravierende Änderung;en, das erstere, welches die legistis,che Basis für.’Subventionen, Grürijen Plan und Berg- bauemhilfe darstellt, soll offenbar als Druckmittel dienen. Wie diese Taktik mit der seit neuesten entdeckten vehementen Liebe der SPÖ für die Bergbauern in Einklang zu bringen ist, bleibt-derefn Gehei ls.,

Das Marktordnungsgesetz ist ein Instrument, wie es heute faktisch jeder Staat besitzt — Österreich wäre der einzige, der ohne derartiges auskommen wollte. Es sorgt bei Milch, Getreide und Vieh für einen Transport- und Produktionskostenausgleich zwecks Herstellung bundeseinheitlicher Konsumentenpreise und es stimmt den Import ausländischer Lebensmittel mit der inländischen Marktlage ab. Speziell letztere Bestimmunig ist eine Lebensfrage für die Landwirtschaft, da ohne sie Österreich mit Lebensmittelüberschüssen aus ganz Europa zu staatlich subventionierten Dumpingpreisen überschwemmt würde und die inländischen Agrarier ruiniert wären.

Dieses Risiko, so erklären die Sozialisten momentan, seien sie bereit, zu übernehmen, wenn ihr Wunsch, daß die Gewerkschaften zusätzlich zu den Afbeiterkammern Sitz und Stimme in den agrarischen Fonds bekommen, nicht erfüllt werde. Die damit gegenüber Landwirtschaftsund Wirtschaftskandmer erreichte Parität soll den beiden sozialistisch beherrschten Organisationen die Möglichkeit geben, sämtliche ihnen nicht genehmen Beschlüsse zu blockieren und ihre Wünsche durchzusetzen.

Mit Hilfe des Preisregeluv gsge- setzes können für bestimmte Waren bundeseinheitliche Höchstpreise festgesetzt werden. Nach Auslaufen dieses Gesetzes ginge die entsprechende Kompetenz an die Landesregierungen, die dann in Eigenregie Preisregelungen durchführen könnten. Die Folge wäre das totale Preischaos, oder das Verschwinden preisgeregelter Waren von den Märkten des betreffenden Bundeslandes, so daß sie nur in Bundesländern mit freier Preisbildung erhältlich wären, und anderes mehr — also lauter für den Konsumenten unerfreuliche Tatsachen.

Hier sind die Sozialisten gleichfalls nur zU einer Verlängerung bereit, wenn ihre Wünsche berücksichtigt werden: Es geht-dabei in erster Linie um die Aufnahme neuer Proclukte in die.Preisregelung, was bisher nur im

Falle eines gemeinsamen Antrags der Sozialpartner möglich gewesen ist. Nunmehr bieten die Sozialisten zwei Änderungsvarianten an: Entweder der Handelsminister erhält die Kompetenz, auch ohne einhelligen Konsens der Sozialpartner Waren in die Preisregelung einzubeziehen oder die Verfassung wird überhaupt und für alle Zeiten dahingehend geändert, daß Preisregelungen und Preisstopps künftig mit einfacher Mehrheit beschlossen werden können.

Speziell dieser Aspekt wird heute von den Sozialisten ganz gewaltig hochgespielt: Entweder, so heißt es, ein „wirkungsvolles“ Preisregelungsgesetz oder gar keines. Dabei wird so getan, als hänge der Erfolg bei der Inflationsbekämpfung einzig und allein von preispolizeilichen Maßnahmen ab — uncJ das zu einer Zeit, in der die meisten anderen Staaten bereits ihre Preisregelungen wegen deren Ineffektivität abschaffen.

So wünschenswert eine Reform der nunmehr schon zirka 20 Jahre alten Wirtschaftsgesetze wäre, die sozialistischen Forderungen zielen nicht auf eine echte sachliche Reform ab, sondern im Gegenteil auf eine Verpolitisierung der Problematik und auf einen einseitigen Ausbau von parteipolitischen Positionen. Im Interesse der Regierung soll daher angenommen werden, daß die gegenwärtigen Manöver mit Marktordnung und Preisregelung nur Bluff sind. Es wäre kaum vorstellbar, daß sie aus reinem parteipolitischem Machtstreben den Ruin der, Landwirtschaft und ein Chaos durch länderweise Preisregelung riskiert.

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