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Weniger Wettbewerb für mehr Sicherheit

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Wieder einmal lassen die Sozialpartner ihre Muskeln spielen. Wiederum verhandeln Regierung und Bauern hart auf hart. Man spricht und schreibt von Pokerspiel und Feilschen. Das zähe Ringen um die Verlängerung der Wirtschaftsgesetze spielt sich in diesen Wochen ab: Bis zum 30. Juni muß es eine Einigung geben, sonst gibt es keine Wirtschaftsgesetze mehr. Worum geht es bei diesen Gesetzen überhaupt?

Es geht um den Preis von Brot und Milch, um die Fleischpreise, um einheitliche Preise Tür Benzin und Heizöl. Damit geht es um unser aller Lebenshaltungskosten.

Es geht um die Einkommen der Bauern. Es geht aber auch um die gesicherte Versorgung. Es geht nicht zuletzt um die Vorsorge für den Krisenfall, um Bevorratung und um die gesetzlichen Voraussetzungen für Bewirtschaftungsmaßnahmen, für Rationierungen im Fall des Falles.

All das regeln die insgesamt neun Wirtschaftsgesetze, deren Geltungsdauer einstweilen mit 30. Juni 1980 befristet ist.

Vielfach besteht der Eindruck, daß die Wirtschaftsgesetze in erster Linie für die Landwirtschaft von Bedeutung seien. Obwohl sich vier der neun Gesetze speziell auf den agrarischen Bereich beziehen, hat das Paket gesamtwirtschaftlich Bedeutung. Es umfaßt:

• Das Erdölbevorratungs- und Meldegesetz: Dieses Gesetz ist die Voraussetzung für die österreichische Mitgliedschaft bei der Internationalen Energieagentur in Paris und verpflichtet die Mineralölfirmen zu einer Pflichtbevorratung.

• Das Energielenkungsgesetz: Die: ses bietet die gesetzliche Basis Tür die Bewirtschaftung von Erdöl, Strom und Gas im Krisenfall.

• Das Rphstofflenkungsgesetz; damit bei Gefahr im Verzug in diesem Bereich staatliche Lenkungsmaßnahmen verordnet werden können.

• Das Schrottlenkungsgesetz; damit in Mangelzeiten eine Lenkung des im Inland anfallenden unlegierten Eisenschrotts möglich ist.

• Das Preisgesetz: Es stellt die gesetzliche Basis für die amtliche Preisregelung bei bestimmten Agrarproduk-ten, Mineralölprodukten und Stromtarifen dar.

• Das Lebensmittelbewirtschaftungsgesetz: Es regelt die Bewirtschaftung bei Grundnahrungsmitteln in Notzeiten.

• Das Marktordnungsgesetz,

• das Viehwirtschaftsgesetz und

• das Landwirtschaftsgesetz stellen zusammen das Fundament der Agrarpolitik dar. Sie sollen einerseits die Bauern vor den Schwankungen des Weltmarktes schützen, andererseits eine gesicherte Inlandsversorgung bei stabilen Preisen sichern.

Allen Gesetzen ist gemeinsam, daß sie Wirtschaftslenkungsmaßnahmen enthalten, also letztlich einen behördlichen Eingriff in das Wirtschaftsgeschehen bedeuten. Es ist ein Eingriff in den marktwirtschaftlichen Wettbewerb, in das Spiel von Angebot und Nachfrage.

Und das ist auch der Kernpunkt der Auseinandersetzung: die Machtfrage, wer wo wieviel eingreifen darf.

Während die Bauern an stabilen Preisen für ihre Erzeugnisse und an einem Schutz vor den kurzfristigen Schwankungen des Weltmarktes interessiert sind, liebäugeln die sozialistischen Arbeiter- und Gewerkschaftsvertreter mit mehr Preiskonkurrenz. Ihre Hoffnung: der verschärfte Wettbewerb könnte die Preise drücken. Hämisch wird der ÖVP-Seite dabei der von ihr sonst hochgehaltene Grundsatz des freien Spiels des Marktes vorgehalten.

Was die sozialistischen Verhandler hier angewandt wissen wollen, lassen sie freilich in einem anderen Bereich nicht gelten: Handelsminister Josef Staribacher wünscht sich zum Beispiel noch mehr Möglichkeiten, um - unabhängig von Angebot und Nachfrage - preispolitisch intervenieren zu können.

Vielleicht brächte ein härterer Konkurrenzkampf der österreichischen Bauern mit dem Weltmarkt tatsächlich Tür den inländischen Konsumenten kurzfristig einen Preisvorteil. Eine momentane billigere Versorgung über den Weltmarkt könnte aber längerfristig sehr teuer werden: der krisenunabhängige Versorgungsgrad Österreichs mit Grundnahrungsmitteln müßte unweigerlich darunter leiden.

Wenn es dann plötzlich kein Brotgetreide mehr geben sollte, nützt uns das beste Lebensmittelbewirtschaftungsgesetz nichts: Rationierbar ist nur das, was man hat.

Ein ruinöser Preiskampf würde sicherlich auch dazu führen, daß noch mehr Bauern das Handtuch werfen müssen. Hier geht es auch um Arbeitsplätze. Und gerade unter diesem Aspekt ist der Bundesregierung in anderen Bereichen alles recht, auch wenn es - siehe das Motorenwerk von General Motors in Wien-Aspern - nicht gerade billig ist.

Außerdem: Gerade am Arbeitsmarkt, so ist man sich hierzulande einig, dürfe nicht allein das Spiel von Angebot und Nachfrage gelten. Was für die industriellen Arbeitsplätze gilt, müßte konsequent auch auf die landwirtschaftlichen angewandt werden.

Das Argument, daß angesichts von Milchschwemme, Butterberg und Getreideüberschuß eine weitere Abwanderung ohnehin nur strukturbereinigend wirken würde und man sich zudem eine staatliche Stützung von Uberschüssen ersparen könnte, sollte gleichfalls mit Vorsicht gebraucht werden: Uberschüsse muß man, will man eine gesicherte Versorgung, in Kauf nehmen.

Ob sich also die Wirtschaftsgesetze für Muskelspiele und Kraftakte eignen? Diese Frage ist zu verneinen. Wir alle brauchen diese Gesetze: die Regierung ebenso wie die Bauern, die Konsumenten erst recht.

Die Notwendigkeit einer Zweidrittelmehrheit im Parlament, die für eine Verlängerung erforderlich ist, verleitet zwar beide Verhandlungsseiten zum Pokern, doch sollte man diesem Ringen um eine Einigung auch seine guten Seiten abgewinnen. Gut daran ist, daß man sich mit grundsätzlichen Fragen der Wirtschaftsordnung regelmäßig auseinandersetzen muß, daß man gezwungen ist, Grundsätze abzuwägen.

60 Kilometer von Wien entfernt müssen sich Menschen in Schlangen anstellen, wenn sie Lebensmittel haben wollen. Wir stehen vor vollen Auslagen und Regalen.

Kann jemand ernstlich Interesse daran haben, dies alles in Frage zu stellen?

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