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Für und wider die Kartelle

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Freiheit und Gebundenheit, der Inhalt dieser beiden Begriffe, ihre Interpretation, ihr gegenseitiges Aufeinanderwirken, bestimmen den Rhythmus unseres Lehens in Politik, Kultur und Wirtschaft. Die Wirtschaftsgeschichte besteht in einer Aufeinanderfolge von Perioden, in welchen Freiheit und Gebundenheit in verschiedener Prägung, meist aber in Mischformen beider Prinzipien in Geltung sind. Gemäß dem sich überall durchringenden Grundsatz, daß das Leben eine Kette von Kompromissen ist, sind die Mischformen überwiegend und natürlich wie alle Lebenserscheinungen auf die Dauer nicht zufriedenstellend, so stößt man in der Wirtschaftsgeschichte immer und immer wieder auf die extremen Folgerungen von Freiheit oder von Gebundenheit als Mittel zur Reform der menschlichen Gesellschaft.

Bald hört man so, im Nachklang liberalistischer Wirtschaftsführung, daß die freie Verkehrswirtschaft die entwickeltste Form der Wirtschaftlichkeit enthält und daß alle Eingriffe, wie Produktionsbeschränkungen, Zölle, künstlich gehaltene Preise und Löhne, Ubersteuerung und dergleichen, einschließlich der Sozialversicherung den Weg zum Aufstieg verlegen. Auf der anderen Seite wird dem entgegengehalten, daß die Gegensätzlichkeit der Interessen nur dann befriedigt werden könne, wenn die Wirtschaft mehr oder weniger planmäßig gestaltet ist. Es ist schwierig, einen Maßstab, für eine absolute Wertung dieser Wirtschaftsprinzipien und insbesondere für die Beantwortung der Frage zu finden, ob die freie oder die gebundene Wirtschaft, immer als Extremfall betrachtet, vorzuziehen ist. Wie in allen Lebensgebieten, so ist auch hier eine absolute Wertung abzulehnen und bei der Frage nach der besten Wirtschaftsform die jeweilige Gesamtlage der Wirtschaft in Betracht zu ziehen. Die Gesamtlage der Wirtschaft wechselt in einem zeitlosen Rhythmus von Aufstieg und Niedergang, von Konjunktur und Depression. Manche Volkswirtschaftler nehmen eine „Interferenz“, ein Ineinanderspielen zwischen Rhythmen verschiedener Periodenlängen an: eines oszillatorischen und eines „säkularen“ Rhythmus. Die Auslösemomente dieser Rhythmen sind verschieden, so zum Beispiel Bevölkerungsvermehrung und Bevölkerungsrückgang, technische Erfindungen und wiederum deren Ausschöpfung; Kapitalwachstum und Kapitalschwund usw.

Die Wirtschaft führt nun einmal ihr eigenes Leben und entzieht sich zum großen Teil grundlegender menschlicher Beeinflussung; diese muß sich oft auf Randkorrekturen beschränken. Sowohl sozial-ethisch als auch -wirtschafts-ratio-nalistisch wird man in der Wirtschaftsgesetzgebung die Erreichung der höchsten Produktivität als ständiges Ziel betrachten müssen, da dann, wenn materielle Güter entsprechend reichlich zur Verfügung stehen, selbst kostspieligere Forderungen der Ethik und Sozialpolitik befriedigt werden können, als wenn die Wirtschaft geknebelt und deshalb weitgehend steril bleibt. Für den Gesamtrahmen unserer materiellen Kultur aber gilt die Parole: Gemeinnutz geht vor Eigennutz!

Diese Erwägungen legitimieren die Staatsgewalt zu Eingriffen in das Wirtschaftsleben. Immer und immer wieder muß aber betont werden, daß sich Zeitpunkt und Ausmaß dieser Eingriffe nicht von vornherein schablonenhaft festsetzen lassen. Die wirtschaftliche Gesetzgebung muß elastisch bleiben. Man wird in Zeiten des wirtschaftlichen Niederganges Formen der gebundenen Wirtschaft, monopolistische Gestaltungen für gerechtfertigt, ja für notwendig erachten müssen. In Zeiten des volkswirtschaftlichen Niederganges, beispielsweise ist es der Zweck wirtschaftlicher Bindungen, den Kostenpreis gegenüber dem Schleudersystem überhaupt erst zu sichern und die Existenz der Wirtschaft gegen die Bedrohung durch die schrankenlose Konkurrenz zu sichern. Man wird wiederum für Perioden wirtschaftlichen Aufstiegs nicht übersehen dürfen, daß in monopolistischen Gebilden Elemente der Rentenbildung, also eines volkswirtschaftlich nicht berechtigten Einkommens, enthalten sein können; wenn nämlich, etwa durch Kartelle, Einkommen geschützt werden, die bei einer freien Konkurrenz, bei einer möglichen Erweiterung der Produktion gemindert würden. Der Ausschluß von Mitbewerbern bringt Renten in Erscheinung. Dadurch weidien monopolistische Wirtschaftsgebilde von der strengen ausschließlichen Bestimmung der Preiserzielung und der Verbrauchsregelung durch die jeweilige ökonomische Lage ab.

Und nun zu den für die Aussdialtung des freien Wettbewerbs in der gewerblichen Wirtschaft typischen Organisationen, den Konzernen und Kartellen.

Der Konzern ist eine Zusammenschlußform, welche mehrere Unternehmungen zu gemeinsamer Ordnung und Führung eines Teils oder der Gesamtheit der Betriebswirtschaft zusammenfügt. Hier gibt es einen organisatorischen Aufbau für die Produktion.

Lockerer als bei den Konzernen ist die Organisation bei den Kartellen. Unter ihnen versteht man auf dem Gebiete der gewerblichen Wirtschaft Marktregelungsverbände. Der Kartellvertrag enthält Vereinbarungen über Art und Umfang jener Regelung. Diese Regelung kann eine verschieden weit ausgreifende sein; dementsprechend unterscheidet man auch zwischen Kartellen niedriger und höherer Ordnung. Ein Kartell niedriger Ordnung ist der Konditionenverband, der die Lieferungsbedingungen seinen Mitgliedern vorschreibt. Schon etwas weiter reicht das Preiskartell, welches Mindestverkaufspreise festsetzt; allerdings stehen diese Preise bei ungünstiger Wirtschaftslage nur auf dem Papier, da die Kontrolle ihrer Einhaltung schwierig ist. Eine stärkere Auswirkung haben jene Kartelle, welche auf Angebot und Nachfrage — also auf ein Grundgesetz des freien Marktes — Einfluß nehmen wollen, so zum Beispiel die Kontingentierungskartelle, welche die Angebotsmengen beschränken und in der Regel mit den Preiskartellen verbunden sind. Die Gebietskartelle wiederum regeln die Gestaltung des Angebots dadurch, daß sie bestimmte Absatzgebiete ihren Mitgliedern nach einem einmal festgelegten Schlüssel zuweisen. Die straffste Form der Kartellbindung ist das Syndikat, welches Umgehungen des Kartellvertrages durch die einzelnen Mitglieder dadurch unmöglich macht, daß es sich selbst zwischen Produzenten und Abnehmer durch ein Einkaufs- beziehungsweise Verkaufsbüro einschaltet.

In Österreich beschäftigt man sich mit der Regelung der Kartellfrage, konform der jeweiligen wirtschaftlichen Strukturgestaltung, schon seit etwa 80 Jahren. Ungefähr seit einem halben Jahr ist bei uns eine legislative Regelung des Kartellproblems akut geworden. Wie erinnerlich hat ein Ministerrat vom Dezember vorigen Jahres dem Handelsund Justizressort den Auftrag auf Ausarbeitung eines Kartellgesetzentwurfs erteilt. Kürzlich wurde dieser Entwurf im Bundesministerium für Handel und Wiederaufbau mit den beteiligten Zentralstellen und den drei Kammern durchbesprochen. Dem vorerwähnten Aufti-ag der Bundesregierung lag sichtlich ein Nah- und ein Fernziel zugrunde. Nahziel war es, den seit dem letzten Lohn- und Preisübereinkommen latenten Preisauftriebstendenzen entgegenzuwirken, ähnlich wie dies die beiden neuen Preisgesetze anstreben. Vom Augenblick an, als diese Auftriebstendenzen abflauten und teilweise sogar ins Gegenteil umschlugen, verminderte sich allerdings in der Öffentlichkeit das Interesse an einer Kartellgesetzgebung. Aber abgesehen von der Preispolitik bleibt für eine Kartellpolitik die Frage entscheidend, ob Kartelle für die wirtschaftliche Produktivitätssteigerung günstig oder ungünstig wirken. Nach diesem Kriterium wird man die einzelnen Wirkungen der Kartelle zu beurteilen haben. Man betrachtet ein Kartellgesetz richtig nicht -so sehr als ein strafrechtliches Nebengesetz gegen Preisexzesse als vielmehr als ein Instrument der Wirtschafts- und auch der Handelspolitik. Dieser Grundauffassung entsprechend sollen auch nach dem in Rede stehenden Entwurf Verstöße gegftn kartellrechtliche Vorschriften im allgemeinen im Verwaltungsstrafverfahren geahndet werden; soferne sie bei Preisfragen in die kriminelle Sphäre einschlagen, tritt strafrechtliche Verfolgung ein.

Die im Entwurf vorgesehene Definition des Kartellbegriffs beschränkt diesen auf Vereinbarungen, welche vertragliche Bindungen zum Zwecke der Regelung des Wettbewerbs, insbesondere der Regelung der Erzeugung, des Absatzes oder der Preise enthalten; sie enthält im Gegensatz zur nationalsozialistischen Gesetzgebung nicht auch Beschlüsse, welche Majorisierungen enthalten können. Angesichts der Vielseitigkeit der Kartellvereinbarungen kann eine erschöpfende Kartelldefinition kaum gegeben werden, weshalb der Entwurf die wichtigsten schädlichen Kartellwirkungen demonstrativ aufzählt; solche liegen vor, wenn idie Preise in volkswirtschaftlich nicht gerechtfertigter Weise gesteigert werden, wenn Erzeugung und Absatz eingeschränkt werden, wenn die wirtschaftliche Freiheit von Abnehmern oder Lieferanten durch Sperren oder Festsetzung unterschiedlicher Preise unbillig beeinflußt wird, wenn eine wirtschaftliche Tätigkeit durch Zwangsmittel beeinträchtigt wird oder wenn eine Senkung der Produktionskosten und die Durchführung von Rationalisierungsmaßnahmen verhindert oder gehemmt wird.

Kartellvereinbarungen bedürfen zu ihrer Gültigkeit der Schriftlichkeit und der Registrierung, wobei eine Kartellkommission begutachtend eingeschaltet ist. Da das im Entwurf vorgesehene Verwaltungsverfahren zivilrechtlichen Eingriffen auszuweichen hat, läßt der Entwurf zur Registrierung nur solche Typen von Kartellvereinbarungen zu, welche einen Schutz der Außenseiter garantieren, welche weiter handelspolitisch wünschenswerte Zusammenschlüsse erleichtern. Die näheren Auseinandersetzungen auf diesem Gebiete im Konkreten sind der zivil- beziehungsweise handelsgerichtlichen Judikatur vorbehalten. Hier sei noch bemerkt, daß die preisstrafrechtlichen Bestimmungen des Entwurfs auch den faktischen Monopolisten mit einschließen. Es wird hier der einer typischen Kartellauswirkung gleichgeschaltete Tatbestand mit einbezogen, wenngleich hier über den Kartellbegriff als solchen hinausgegriffen wird.

Die Textierung des Entwurfs wird in einem späteren Zeitpunkte einer gewissen Abstimmung mit den in seiner materiellen Nachbarschaft befindlichen Gesetzen sowohl anti- als auch prokartellistischen Charakters bedürfen, so insbesondere mit dem Ende Juni dieses Jahres ablaufenden Bedarfsdeckungsstrafgesetz. Der 8 desselben enthält unter anderem antikartellistische Bestimmungen, welche durch die Strafbestimmungen des vorliegenden Entwurfs übernommen werden sollen. Die dort weiter enthaltenen Bestimmungen über den Kettenhandel wurden ebenso wie die Bestimmungen des 7 des Bedarfsdeckungsstrafgesetzes in das neue Preistreibereigesetz übernommen; außerdem enthält 7 des Preistreibereigeselzes antikartellistische Bestimmungen. Von den prokartellistischen Gesetzen wird man die Regelung des unlauteren Wettbewerbs übergehen dürfen. Nicht hingegen das Untersagung s-g e s e t z, das Tendenzen vertritt, die dem vorliegenden Kartellgesetzentwurf konträr sind; bekanntlich steht die Aufhebung oder Lockerung des Unter-sagungsgesetzes zur Debatte, wobei allerdings eine Verschärfung des Befähigungsnachweises für Handelsgewerbe in der Gewerbeordnung in Aussicht genommen ist. Die formal noch in Kraft stehende Kartellgesetzgebung des Dritten Reiches soll durch den vorliegenden Entwurf aufgehoben werden.

Der Entwurf nimmt die Behandlung der Arbeitsbedingungen (Kollektivverträge) sowie gewisse Kreditunternehmungen aus, hingegen nicht die Zusammenschlüsse agrarischen Charakters. Vom Verfassungspolitischen Gesichtspunkt ist hier zu sagen, daß die Bundeskompetenz zur Kartellregelung auf dem Gebiete des Gewerbes und der Industrie außer Zweifel steht. Für die Landwirtschaft wird eine eindeutige Kompetenz des Bundes nicht so ohne weiteres angenommen, es sei denn, daß man hier den Artikel 10, Absatz 1, Zahl 15, des Bundesverfassungsgesetzes heranzieht, welcher die aus Anlaß eines Krieges oder im Gefolge eines solchen zur Sicherung der einheitlichen Führung der Wirtschaft, besonders hinsichtlich der Versorgung der Bevölkerung mit Bedarfsgegenständen getroffenen Maßnahmen der Bundeskompetenz unterstellt. Es wäre also denkbar, daß auf eine bestimmte Zeitdauer, solange man nämlich das wirtschaftliche Fortwirken der Kriegsfolgen als gegeben annehmen darf, die Einbeziehung der Land-lind Forstwirtschaft ohne verfassungspolitische Änderungen vorgesehen wird, doch erheben sich dagegen in den Kreisen der Landwirtschaft die a11erschwersten Bedenken. Eine Bereinigung dieser Frage ist wohl nur auf der politischen Ebene denkbar.

Die bisherigen Kartellberatungen lassen auch starke Widersprüche gegen den im Entwurf vorgesehenen Registerzwang für Kartelle auftauchen. Dies insbesondere im Hinblick auf den daraus zu. erwartenden Mehraufwand an Verwaltungstätigkeit. Auch die grundsätzliche Frage, ob nämlich kartellpolitische Entscheidungen im Verwaltungsverfahren, also in einem Zusammenwirken des Handelsressorts mit den mitbeteiligten Bundesministerien getroffen werden sollen, oder ob'sie einem eigenen unabhängigen Kartellgericht vorbehalten bleiben, bildet derzeit noch Anlaß zu ziemlich tiefgreifenden Meinungsdivergenzen.

Die nächste Zukunft wird zeigen, ob man sich über die vorangeführten Hindernisse hinweg zu einer Einigung durchringen kann. Vorläufig ist die ständige Wirtschaftskommission der drei Kammern mit dieser Aufgabe betraut. Eine Überstürzung der auf Dauerwirkung berechneten Kartellgesetzgebung ist infolge der noch anhaltenden Konjunktur und der sich verschärfenden Konkurrenz, welche Rentenelemente in der Preisbildung weitgehend ausschaltet, nicht empfehlenswert. Schließlich ist auch nicht zu übersehen, daß ungleich wirksamer als administrative oder strafrechtliche Repressivmaßnahmen gegen kartellpolitische Schädigungen andere Akte der Staatsgewalt sein können, so die Wirt-schaftsgesetzgebung, die Richtlinien bei Vergebung öffentlicher Arbeiten, insbesondere aber die Tarif-, Zoll- und Handelspolitik.

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