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Aufgaben und Grenzen der Interessenvertretungen

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Man hat den Partnern der Lohn-Preis-Pakte wiederholt zum Vorwurf gemacht, daß sie diese außerordentlich intensiven und da und dort schmerzlichen Ausstrahlungen ihrer Vereinbarungen zu wenig berücksichtigten — anders gesagt: daß sie als Interessentenvertretungen, als die Vertreter der Interessen bestimmter Bevölkerungsgruppen und nicht als Wahrer der allgemeinen Wohlfahrt handelten. Diesem Vorwurf liegt die Erwartung zugrunde, daß, wer immer Entscheidungen von gesamtwirtschaftlicher Bedeutung fällt, verpflichtet sei, gesamtwirtschaftlich und nicht interessengebunden zu denken und zu handeln. Diese Annahme sieht wohl an der Tatsache vorbei, daß Interessenvertretungen eben Interessenvertretungen sind und sein sollen. Im Sinne einer organischen Gesellschaftsauffassung obliegt ihnen die Aufgabe, die Belange von Berufsgruppen zu vertreten. Es liegt durchaus im Rahmen dieser Aufgabe und im Sinne der Verwirklichung des Subsidiaritätsprinzips, wenn sie sich regelmäßig oder fallweise auch zu, Vereinbarungen über Angelegenheiten zusammenschließen, die zwei oder mehrere Gruppen betreffen. Ganz ohne Zweifel können aber im Sinne desselben Prinzips Vereinbarungen, die über den unmittelbaren Wirkungs- und Vertretungsbereich der Verbände hinausgreifen, nur von bedingter Gültigkeit sein. Sie müßten der Genehmigung jener Stellen unterliegen, denen in letzter Verantwortlichkeit für die Gesamtwirtschaft und für die allgemeine Wohlfahrt die Entscheidung zufällt: der höchsten staatlichen Instanz.

Es wird häufig übersehen, daß die Lohn - Preis - Pakte dadurch zustande kamen, daß das Steuerrad der österreichischen Wirtschaft immer knapp vor einem Abgrund herumgerissen wurde — und zwar nicht etwa durch den Steuermann, sondern durch die Passagiere. An dieser Tatsache und der durch sie festgelegten Verantwortlichkeit für den Zickzackkurs, in dem sich die österreichische Wirtschaftspolitik seit Jahr Und Tag bewegt, ändert auch der Umstand nichts, daß häufig und sogar in der Regel dieselben Machtfaktoren Träger der Regierungsgewalt und der Verantwortung für die Tätigkeit der Interessenverbände waren und sind. Diese Verflochtenheit der Verantwortlichkeiten birgt neben dem Vorzug der Lebensnähe zweifellos gewisse Gefahren. Sie kann jenen Stellen, die für einen klaren wirtschaftspolitischen Kurs und dafür verantwortlich sind, daß notwendige Maßnahmen rechtzeitig ergriffen werden, auch einen Hemmschuh anlegen. Die Interessenverbände, die für solche Überschneidungen nicht verantwortlich sind, springen in die Bresche und trachten, die Situation zu meistern. Dies zu tun, ist aber nicht ihre eigentliche, sondern eine Fleißaufgabe. Man kann ihnen daher kaum einen Vorwurf machen, wenn sie sich ihr etwa zu spät oder in einer nicht voll befriedigenden Weise unterziehen. Es liegt eben in der Eigenart unseres politischen Systems, daß wirtschaftspolitische Akte von weittragender Bedeutung durch Stellen gesetzt oder nicht gesetzt werden, die dafür nicht zuständig und deshalb auch dafür nicht verantwortlich sind.

Der Angelpunkt dieser Lage ist die Tatsache, daß die hiefür zuständigen amtlichen Stellen nicht selten eine unklare wirtschaftspolitische Linie verfolgen. Es kann hiebei weder am guten Willen der verantwortlichen Organe noch daran gezweifelt werden, daß es offensichtlich ist, welche Maßnahmen zü einer dauerhaften Gesundung der österreichischen Wirtschaft ergriffen werden müßten. Es ist klar, w a s zu geschehen hat. Oder bezweifelt jemand, daß unsere Verwaltung einfacher, billiger und besser funktionieren könnte? Ist irgend jemand der Ansicht, daß der Außenhandel gedeihen kann, wenn eine paritätisch besetzte Kommission oder ein neungliedriges Ministerkomitee über die Genehmigung jedes einzelnen Geschäftes Einstimmigkeit erzielen muß? Oder wer brächte : ohne schwere Eingriffe das Kunststück zuwege, bei steter Verdünnung der Währung, deren Außenwert unverändert zu erhalten und gleichzeitig die Ausfuhr zu erhöhen? Von der Notwendigkeit angefangen, die Kaufkraft des Schillings im Innern und nach außen auf Basis echter Preise und Kurse möglichst zu stabilisieren, über eine auf den europäischen Großraum ausgerichtete Rationalisierung unseres Produktionsapparats und unserer Verwaltung bis zur Weckung eines neuen Vertrauens der einzelnen Bevölkerungsgruppen zueinander und der Bevölkerung insgesamt gegenüber unserer Wirtschaft und unserer Regierung — ist offensichtlich, was geschehen müßte, vorausgesetzt, daß die Situation sachkundig und vom Standpunkte der Allgemeinheit geprüft und gelenkt wird. Darauf hinzuweisen, ist eine Pflicht, denn die Stunde drängt, die österreichische Wirtschaft steht vor lebenswichtigen Entscheidungen. Sie werden im richtigen Sinne — im Sinne der Gesamtheit — gefällt werden, wenn durch entsprechende Akte der berufenen staatlichen Stellen das Zusammenfassende, Gemeinsame in voller Kraft zur Auswirkung gelangt, gestützt freilich auf das Votum und die Sachkenntnis der Interessenverbände. Hier, nicht in unserer — sehr relativen — wirtschaftlichen Schwäche liegt die Gefahr unserer gegenwärtigen Situation. Ein Volk ist so stark wie sein innerer Zusammenhalt, sein Vertrauen zu sich selbst und sein Glaube an seine Zukunft. Gemeinschaftsbewußtsein, Solidarität, oder wie immer man es nennen mag, Selbstvertrauen und Zukunftsglaube sind das Ergebnis einer Allgemeines gegen Besonderes zielbewußt und gerecht auswägenden Leitung.

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