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Eine Wirtschaftspolitik ohne Politik

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Ein wirtschaftlicher Ausblick auf die in der letzten Zeit bis zum Überdruß strapazierten siebziger Jahre muß mit einer positiven und einer negativen Feststellung beginnen. Die positive: Wie sehr sich die österreichische Wirtschaftspolitik innerhalb Europas in den letzten Jahren gewandelt hat, konnte man aus der ruhig-gelassenen Reaktion auf das Tauwetter in der europäischen Integrationspolitik ablesen. Da war nichts mehr von jener verhängnisvollen, ideologisch aufgeladenen „Alles-oder-Nichts“-Einstellung der späten fünfziger und frühen sechziger Jahre zu merken, da sprach niemand mehr ein „extra EWG nulla salus“, da wog man gelassen die Beziehungen zwischen Wien und Brüssel ab. Ein gefestigtes wirtschaftliches Selbstbewußtsein in unserem Land ist ohne Zweifel der Grund dafür, keineswegs nur, wie der oberflächliche Beobachter meinen konnte, die in Jahren gereifte Skepsis gegenüber Offerten aus und Gesprächen mit Brüssel.

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Ein wirtschaftlicher Ausblick auf die in der letzten Zeit bis zum Überdruß strapazierten siebziger Jahre muß mit einer positiven und einer negativen Feststellung beginnen. Die positive: Wie sehr sich die österreichische Wirtschaftspolitik innerhalb Europas in den letzten Jahren gewandelt hat, konnte man aus der ruhig-gelassenen Reaktion auf das Tauwetter in der europäischen Integrationspolitik ablesen. Da war nichts mehr von jener verhängnisvollen, ideologisch aufgeladenen „Alles-oder-Nichts“-Einstellung der späten fünfziger und frühen sechziger Jahre zu merken, da sprach niemand mehr ein „extra EWG nulla salus“, da wog man gelassen die Beziehungen zwischen Wien und Brüssel ab. Ein gefestigtes wirtschaftliches Selbstbewußtsein in unserem Land ist ohne Zweifel der Grund dafür, keineswegs nur, wie der oberflächliche Beobachter meinen konnte, die in Jahren gereifte Skepsis gegenüber Offerten aus und Gesprächen mit Brüssel.

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Österreich sieht also den kommenden Gesprächen mit der EWG aus einer anderen Position entgegen als etwa noch vor zehn Jahren. Unsere Wirtschaft hat gezeigt, daß in ihr mehr steckt, als viele in diesem Land meinen. Die Handelsbeziehungen mit den EFTA-Staaten haben sich kräftig ausgeweitet, dank Spezialisierung und Verbesserung des Warenangebotes fällt es vielen Unternehmen leichter, die Handelsschranken zu überspringen. Die Struktur des Außenhandels verbessert sich sichtbar und erfreulich in Richtung auf den immer höheren Anteil von Qualitäts- und Wachstumsprodukten. Man kann also in Österreich den weiteren Verlauf ohne Nervosität abwarten, befindet man sich doch keineswegs mehr in der Rolle eines Bittstellers, der im Vorzimmer warten muß.

Die negative Feststellung: Wohin die politische Desintegration eines Landes führt, vor allem welche wirtschaftlichen Konsequenzen sie hat, das demonstriert in erschreckender Weise unser Nachbarland Italien. Von dem von aller Welt zu Recht bestaunten wirtschaftlichen „miracolo“ spricht heute niemand mehr, wird doch dem Land in aller Kürze die ökonomische Rechnung für seine Fehler und Unterlassungen präsentiert werden.

Welche Prognose also für das Österreich der siebziger Jahre? Die Aussichten für Österreichs Wirtschaft sind durchaus günstig, unser Land ist auf dem richtigen Weg. Immer mehr setzt sich in der Welt die Erkenntnis durch, daß gerade kleine Industriewirtschaften in einer von vielfältigen Spannungen erfüllten Umwelt große Chancen haben, wenn... Dieses „Wenn“ bedeutet hinsichtlich der globalen Rahmenbedingungen: politische Ordnung, sozialer Friede, zukunftsorientierte, in sich geschlossene Wirtschaftspolitik. Hinsichtlich der Details: Spezia-

lisierung, Anstreben des höchstmöglichen Veredelungsgrades, der die Wettbewerbsposition der Wirtschaft nach außen — erfolgreiche Einschaltung in die internationale Arbeitsteilung durch „industrielle Maßarbeit“ — wie nach innen — gegenüber dem sich ständig mehrenden Importdruck — verstärkt. Auch in den siebziger Jahren wird die Industrie in Österreich der Motor des wirtschaftlichen und damit auch des sozialen Fortschritts und die Basis des Wohlstandes bleiben. Sie stärken und ihre schöpferischen Kräfte anregen, heißt auch die ganze übrige Wirtschaft befruchten. Industriepolitik ist damit nicht Politik für einen und gegen die übrigen Wirtschaftszweige, wie Gewerbe, Handel oder Fremdenverkehr. Darum sind Alternativen wie „Industrieoder Mittelstandspolitik?“ sachlich verfehlt und ökonomisch antiquiert.

Qualifikation der Führung

Vorsicht ist auch gegenüber schematisierenden Vereinfachungen geboten: Hie Wachstumszweige, dort solche ohne Wachstumschancen. Denn die Wachstumschancen eines Unternehmens bestimmt nicht ausschließlich die Branche, auch nicht die Größenordnung, sondern vor allem die Qualifikation seiner Führung. Am wenigsten aber soll man die Entscheidung darüber in die Hände von Kommissionen oder anderen Instanzen legen — mögen sie auch aus fachlich noch so hochqualifizierten Leuten bestehen. Die Erfahrung mit derartigen ex cathe-dra-UrteUen sind überall negativ. Also Ja zu einer rationalen, koordinierten Wirtschaftspolitik, aber Nein zu einer bis ins kleinste gehenden Plandfikation. Das darf aber keineswegs heißen, daß man in sumper-hafter Manier das „Gespür“, die Intuition über- und die solide, fachliche ökonomische Bildung unterschätzt. Managementschulung wird

zu einem der wesentlichsten Faktoren der Wettbewerbsfähigkeit der siebziger Jahre werden. Aber auch unternehmerisches Talent (wobei „unternehmerisch“ sich auf den Selbständigen wie auf den angestellten Manager bezieht) braucht sein „ambiente“: Wirtschaftsgesin-nüng und Wirtschaftspolitik. Die erste bedeutet nicht Dominieren der materiellen Komponente, sondern einfach Verständnis für Notwendigkeiten und Gesetze der Wirtschaft, also nicht Aversionen und Ressentiments, mögen sich diese auch unter neuen gesellschaftspolitischen Ideen oder Vorschlägen für eine „Demokratiereform“ tarnen.

Und die Wirtschaftspolitik? Der wirtschaftliche Weg Österreichs in diesem achten Jahrzehnt unseres Jahrhunderts wird davon bestimmt werden, ob die Wirtschaftspolitik immer mehr in den Schlagschatten der „Politik“ (die Anführungszeichen sind bewußt gesetzt) geraten wird oder nicht. Denn solche „Politik“ heißt Austragen von Gegensätzen auf dem Rücken und zu Lasten der Wirtschaft, heißt Unverständnis gegenüber dem Tempo des Fortschritts, der Österreich keine Inselfunktion mehr zubilligt — heißt rhetorische Sonntagsbekenntnisse statt wirtschaftspolitischer Aktivität. Der wirtschaftspolitische Stil der Jahre nach dem Staatsvertrag, da sich die Koalition immer mehr festfuhr, wäre den Anforderungen der Zukunft nicht mehr angemessen. Den Ton sollten weder die ängstlichen, kleinkarierten Zauderer, noch die forschen ökonomischen Theoretiker diverser esoterischer Zirkel angeben; auch noch so treffliche wirtschaftliche Modelle lassen sich nicht fehlerlos in die Praxis umsetzen, weil man es mit Menschen und ihren verständlichen, handfesten Interessen zu tun hat. Auch der Vernunft und Einsicht kann daher in diesem Zeitalter der Rationalität nicht entraten werden. Die Zusammenarbeit der Sozial- und Wirtschaftspartner wird daher in Zukunft noch mehr Bedeutung haben als schon bisher: politisch, gesellschaftspolitisch (angesichts der vielen destruktiv-anarchischen Strömungen), aber auch wirtschaftlich. Die Hoffnung, daß man bei uns nicht einen „italienischen Weg“ gehen wird, ist berechtigt. Wachstum und Stabilität bleibt das immer schwieriger zu befolgende Rezept. Es ist kein einseitiges, interessenbedingtes Wehklagen, wenn vor allem von industrieller Seite immer wieder auf die steigende Kostenbelastung hingewiesen wird. Hier liegt ein schwacher Punkt der österrei-schen Wirtschaft des Jahres 1970, wie auch in den folgenden Jahren. Uberall in der westlichen Welt hat man

ähnliche Sorgen. Der Jahreswechsel steht im Zeichen der Hochkonjunktur, ja eines überschäumenden Booms in vielen Industriestaaten, aber am Horizont zeichnen sich schon konjunkturelle Talfahrt, vor allem Dämpfungsmaßnahmen gegen die inflationistische Bewegung ab.

Denn der schlimmste Feind der Konjunktur ist der Kostendruck. Je stärker er ist, umso kräftiger muß auch zu gegebener Zeit auf die Bremse getreten werden. Nach wie vor ist Währungsdisziplin nicht das Hobby rückständiger Deflationsapostel, sondern einfach ein Gebot für störungsfreies, gesundes, damit nicht hektisches und solcherart die nächste kräftige Dämpfung geradezu herausforderndes Wachstum. Der deutsche Bundesbankpräsident Blessing hat in einer seiner Abschiedsreden die treffenden Worte gesagt: „Ich kann mich einfach nicht damit abfinden, daß man den Sparer und Geldbesitzer betrügt. Und Inflation ist Betrug, auch wenn man durch .Dynamisierung' noch soviel wieder zurechzu-biegen versucht.“

Stabilität beginnt „zu Hause“

Es wäre auch eine Illusion, zu meinen, man könne mit der Manipulation von Wechselkursen Konjunkturpolitik betreiben. Die Stabilität einer Währung — Stabilität selbstverständlich relativ begriffen — beginnt „zu Hause“. Zwei Verantwortliche gibt es: die staatliche Budgetpolitik und die Politik der Sozial- und Wirtschaftspartner.

Eine wirtschaftspolitische Kardinalforderung für diese siebziger Jahre wird darum die Neuordnung der Budgetpolitik in Österreich sein müssen. Hüten wir uns davor, in Schlagzeilenmanier ständig „Explosionen“ zu beschwören. Gewiß, es muß noch viel getan werden — auf Gebieten wie Schule, Forschung, Volksgesundheit, Verkehrswesen, Energieversorgung, Raumordnung und ähnliches. Aber man kann darum auch nicht ins Uferlose projektieren und Programme machen, denn irgendjemand muß die Zeche zahlen. Dieser „Irgendjemand“ sind wir alle. Österreich gehört heute schon zu den Ländern mit der höchsten Steuerbelastung der Welt. Der Ehrgeiz vieler Projektemacher sollte sich einmal daran orientieren. Die Konsequenz

müßte daher lauten: Ausrichtung nach dem wirtschaftlich Möglichen, darum Reihung der Dringlichkeiten nach der Bedeutung für Staat und Gesellschaft, dann Realisierung im Einklang mit dem wirtschaftlich Erreichbaren. Denn der andere Weg muß zwangsläufig in die weitere Aufweichung des Geldwertes führen, was letztlich auch die österreichsche Substanz unserer Wirtschaft gefährden müßte.

Gleichrangig mit der Budgetpolitik steht die Politik der Sozial- und Wirtschaftspartner. Lohnpolitik — im engeren wie im weiteren Sinne — ist damit ein wirtschaftlicher Bestimmungsgrund erster Ordnung für die Zukunft. Auch sie bedarf einer Orientierungshilfe am wirtschaftlich Erreichbaren, also die Ausrichtung an der langjährigen, gesamtwirtschaftlichen Produktivitätssteigerung. Zwingen kann dazu die Sozial-und Wirtschaftspartner niemand; wo man solches versucht hat, ist es kläglich schiefgegangen. Der Rationalist mag lächeln, aber auf gemeinsame Einsicht kann gerade hier am allerwenigsten verzichtet werden. Seien wir daher froh, wenn die beiden Partner so eng wie möglich zusammenarbeiten, ob instituionalisiert oder nicht, tut nichts zur Sache.

Ein Land, in dem sich leben läßt

„Wie macht ihr das in Österreich eigentlich, daß ihr in einer Zeit der Unruhe und der Gewalt, der Streiks und sozialen Spannungen wie eine Insel des Friedens dasteht?“, so wird man in jüngster Zeit häufig von weitgereisten Gästen unseres Landes gefragt. Das ist nicht nur ein Kompliment, sondern auch eine Herausforderung. Österreich hätte nämlich alle Voraussetzungen dazu, der Welt zu beweisen, daß man eine moderne Industriegesellschaft sein kann, die nicht nur auf Leistung, sondern auch auf das Menschliche etwas gibt, mit einem Wort, in der es sich leben läßt, ohne vom Marcuseschen Trauma erfaßt zu sein. Zu einem haben wir jedenfalls keinen Grund mehr: zu jener österreichischen Verzagtheit und zu jenem Kleinmut, wie sie leider noch da und dort anzutreffen sind. Mut und Selbstbewußtsein sind es, die wir auch in der Wirtschaft für diese siebziger Jahre nötig haben.

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