Königgrätz und die Krankheiten des Euro

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Wie die EU ähnlich wie die Truppen des österreichischen Kaisers bei einer Schlacht in Nordböhmen 1866 in ein verheerendes Debakel steuert. Historische Euro-Sequenzen.

Bei Königgrätz hat 1866 die österreichische Monarchie gegen Preußen eine folgenreiche Niederlage erlitten. Grund dafür war vor allem ein strategischer Fehler: Die Österreicher hatten sich gegen eine preußische Armee tapfer verteidigt, aber die Flankensicherung gegen eine zweite Armee völlig vernachlässigt.

Die gegenwärtige europäische Politik ist auf beunruhigende Weise ähnlich. Man schüttet Geld in Fässer ohne Boden wie in Griechenland und verteidigt energisch einen einheitlichen Wechselkurs des Euro. Zu kurz kommt dabei die andere große Gefahr, die Europa bedroht: mangelndes Wachstum, sinkende Konkurrenzfähigkeit und immer mehr Arbeitslose.

Wechselkurse waren in der Geschichte gelegentlich Instrumente einer Politik, die die Wettbewerbsfähigkeit verbessern (aber nie sie erschweren) sollten, und ansonsten Maßstab für die Messung der Unterschiede in der Leistungsfähigkeit einzelner Volkswirtschaften, Ergebnis und nicht Ziel. Ein einheitlicher Wechselkurs erschwert allen Ländern, für deren Leistungsfähigkeit dieser Wechselkurs zu hoch ist, die Rückkehr zum wirtschaftlichen Wachstum. Frühere Mächte haben sich öfter Tiere als Symbole gewählt, Adler, Stiere oder Löwen. Auf die Idee, eine Meßlatte zur gemeinsamen Fahne zu verklären, ist vor der EU noch niemand gekommen.

Abseits des Euro

Aber lassen wir den Euro beiseite. Noch kritischer ist derzeit ohnedies die offene Flanke der europäischen Politik, das fehlende Wirtschaftswachstum. Die Prognosen für 2013 werden fast schon monatlich nach unten korrigiert. Die Arbeitslosigkeit in der EU nähert sich der 19-Millionen-Marke, und vor allem Jugendliche haben vielerorts selbst bei bester Ausbildung immer weniger Chancen. Dazu kommen die enormen sozialen Kosten der Sparprogramme in Form einer faktischen Verelendung nicht geringer Teile der Bevölkerung. Nehmen wir das gezwungener Maßen fleißig sparende Griechenland als Beispiel: Seit 2009 hat sich die Arbeitslosigkeit auf aktuell 26 Prozent fast verdreifacht, unter Jugendlichen lag sie zuletzt bei 56 Prozent. Theoretisch soll dieser Konsolidierungskurs irgendwann Stabilität und in der Folge auch wieder Wachstum bringen.

Praktisch wird heuer und im nächsten Jahr die griechische Wirtschaft schrumpfen. Ist ein solcher Kurs über Jahre durchzuhalten? Der deutsche Altkanzler Helmut Schmidt ist nicht mehr dieser Meinung. Er will sogar Revolutionen in Europa nicht mehr ausschließen.

Klassische Instumente funktionieren nicht

Die klassischen Instrumente der Wirtschaftspolitik funktionieren derzeit nicht. Die europäische Zentralbank überschwemmt die Märkte mit Liquidität, aber ohne Wirkung auf den realen Sektor. Die üblichen "monetären Transmissionsmechanismen sind gestört“, wie die EZB selber feststellt. In der Praxis heißt das, weder die Haushalte konsumieren wegen des billig gewordenen Geldes mehr, noch investieren die Unternehmen mehr. Kein Wunder bei der hohen allgemeinen Verunsicherung. Auch das Instrument keynesianischer Konjunkturpolitik, höhere Staatsausgaben, kann nicht eingesetzt werden, wenn wegen Überschuldung gerade die besonders betroffenen Staaten unbedingt sparen müssen

Und die Alternativen? Zur Idee einer grünen Industriepolitik hat vor Kurzem Dennis Meadow, immerhin einer der Gründungsväter des Club of Rome, in der FAZ festgestellt, die sei "reine Fantasie“.

Die Praxis bestätigt ihn leider. Die Grünen haben in Deutschland ständig vorgerechnet, der Ausbau der Solarenergie könne 200.000 Arbeitsplätze schaffen. Richtig, aber nur im Prinzip. Denn schnell haben die Chinesen den Markt für Solarpanele erobert und den größten Teil dieser Arbeitsplätze gesichert - aber eben in China. Und wenn die Sonne nicht scheint, wird der Strom heute in Deutschland durch teure alte Kohlekraftwerke produziert, was die Stromkosten im wichtigsten Industrieland Europas enorm erhöht, während die USA mit billigem Schiefergas ihre Zahlungsbilanz verbessern und die Energiekosten ihrer Industrie drücken. Deutliche Warnungen etwa der Voest, der nächste Hochofen könne aus Kostengründen gar nicht mehr in Westeuropa gebaut werden, will keiner hören.

Verschiedentlich wird auch von einem neuen Marshall-Plan geträumt, der Europa aus der Krise führen könne. Tatsächlich? Der Marshall-Plan beseitigte zwei drängende Problem des Jahres 1947: den verbreiteten Hunger in Europa und den drückenden Liquiditätsmangel. Für Investitionen fehlte es an Geld, nicht an Mut und Risikobereitschaft. Die heutige Problemlage ist geradezu umgekehrt.

Die Ursachen der Stagnation

Die Ursachen der heutigen Stagnation sind vielfältig. Der internationale Wettbewerb hat sich massiv verschärft. In ihm kann man sich nur mit hoher Beweglichkeit, aufwendiger Forschung, günstigen Kostenstrukturen und mit viel Kapitaleinsatz behaupten.

In so ziemlich allen diesen Bereichen ist die EU-Politik nicht mehr fördernd, sondern zunehmend behindernd tätig. Die bürokratischen Hindernisse werden umfassender. Der Philosoph Peter Sloterdijk hat bereits gehöhnt, wenn es so weitergehe, werde man bald für das Einschlagen eines Nagels ein Gutachten der Kommission für Technikfolgenabschätzung, der Gleichstellungskommission und der Umweltschutzbehörden brauchen. Ist das nur mehr reine Polemik? Der Generaldirektor einer österreichischen Großbank hat 2012 berichtet, von seinen 2000 Mitarbeitern seien 400 nur mehr mit der Erfüllung von Meldepflichten und der Einhaltung von Kontrollvorgaben befasst.

Außerdem ist die österreichische Rechtssprechung der deutschen nunmehr darin gefolgt, die bloße Vergabe von Sanierungskrediten sei Untreue, wenn die Rückzahlung nicht einwandfrei durch die Bonität des Unternehmens oder aber durch ausreichende Sicherheiten gewährleistet ist. Wer je mit Firmensanierungen zu tun hatte, kann den umfassenden Verhinderungseffekt solcher Rechtsauslegung ermessen.

Forschung und Entwicklung werden rhetorisch massiv gefördert. Die Praxis sieht anders aus. Die Universitätsleitungen protestieren immer häufiger gegen die ungenügenden Mittel, und der akademische Mittelbau rebelliert immer lauter gegen die immer schmäleren Zukunftsperspektiven, während Spitzenkräfte der technischen und naturwissenschaftlichen Bereiche rasch von amerikanischen Universitäten oder Konzernen abgeworben werden. Es ist völlig unbestritten, dass Investitionen in den europäischen Peripheriestaaten wie etwa Griechenland besonders dringend wären. Nun hat ein griechischer Exminister in Wien öffentlich verkündet, in seinem Land könnten nicht einmal Grundbücher eingeführt werden, weil die damit verbundene größere Klarheit der mächtigen Lobby der Steuerhinterzieher schaden könnte. Das erhöht die Rechtssicherheit nicht wirklich. Aber das ist noch lange nicht alles. Griechenland ist ein viel besserer Standort für die Solarenergieproduktion als etwa Deutschland, und die Regierung hat daher ähnlich wie in Deutschland die Einspeistarife ins öffentliche Netz auf zwanzig Jahre garantiert. Prompt stieg das internationale Interesse an Großinvestitionen in diesem Bereich. Und nun belegt die Regierung ausgerechnet solche Fotovoltaik-Firmen mit einer Sondersteuer in Höhe von 25 bis 30 Prozent des Umsatzes. Wie soll das funktionieren? Stabilität der Rahmenbedingungen ist eine besonders wichtige Voraussetzung für Investitionen. Genau der wird in Europa durch immer neue Gesetze gründlich geschadet, nicht zuletzt mit den Ideen der europaweiten Haftung von Banken und höherer Eigenmittelausstattung ohne Rücksichtnahme auf die negativen Folgen für die Kreditvergabe. Die wichtigste Förderung von Wachstum wären derzeit der Abbau wachstumshemmender Überregulierung.

Die Gefährdung des Wachstums

Die europäischen Institutionen verteidigen derzeit entschlossen mit hohem Aufwand den Euro und gefährden eben dadurch die nicht minder wichtige offene Flanke Wachstum und Beschäftigung. Von einer Bündelung der Kompetenzen in Brüssel wird Besserung erwartet. Zu befürchten ist das Gegenteil. Denn wenn fixe Wechselkurse Sinn haben, dann ist es ihr Disziplinierungseffekt für die Politik. Und genau der geht verloren, wenn man mit den Kompetenzen auch die Verantwortung abschiebt. Die Folgen könnten dramatisch sein. Die Lehre aus Königgrätz sollte uns beunruhigen: Die Konzentration aller Ressourcen auf ein Problem hat schlimme Folgen, wenn ein anderes mindestens genau so dringend ist.

Die Philosophie wird bei der Lösung unserer Probleme wenig helfen. Statt dessen sei hier eine kleine literarische Reminiszenz angebracht: Barbara Tuchman hat seinerzeit ein viel beachtetes Buch über "Die Torheit der Regierenden“ geschrieben. Allein die aktuelle EU-Politik würde reichen, einen kompletten zweiten Band zu füllen.

* Manfred Drennig ist Manager und Autor. Er war wirtschaftspolit. Referent des ÖAAB

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