6718305-1964_51_39.jpg
Digital In Arbeit

Wirtschaftspolitik ist notwendig

Werbung
Werbung
Werbung

Der österreichischen Volkswirtschaft ging es 1964 besser, als wir es noch vor einem Jahr erwartet hatten. Wieder einmal haben wir mehr dem Gefühl als gewonnenen Erkenntnissen folgend und auf gut Glück hof- fand, unseren Weg an allerlei Hindernissen und Abgründen vorbei gefunden. Wie leicht nämlich auch an sich gesunde und kräftige Volkswirtschaften das Gleichgewicht verlieren können, haben uns gerade im vergangenen Jahr Italien, Holland und Großbritannien gezeigt. Und bei uns? Nun, wir haben wieder ein reales Wirtschaftswachstum von 6 Prozent erreicht aber die Preissteigerung von 4 Prozent sieht — wenn wir den Index betrachten — beängstigend aus, immerhin haben wir aber noch zumindest in der Hochkonjunktur unsere Zahlungsbilanz — auch wenn wir den Kapitalzustrom abrechnen— aktiv gestalten können. Mit anderen Worten, die Preissteigerungen haben die Produktionskosten unserer Wirtschaft im Verhältnis zu unseren Konkurrenten nicht so stark erhöht, daß wir an Konkurrenzkraft nennenswert verloren hätten. Sind wir also Pessimisten oder gar Miesmacher, wenn wir uns an den bisherigen Erfolgen nicht so richtig freuen können und bei jedem Jahreswechsel die Gefühle des Reiters über den Bodensee haben, wenn wir uns wundern, wie wir durch all die Schwierigkeiten des vergangenen Jahres doch unseren Weg gefunden haben?

Schwächen bestehen fort

Ich meine, das Gefühl einer gewissen wirtschaftlichen Existenzunsicherheit ist durchaus berechtigt und findet seine Begründung in vielen, allerdings in Zeiten der Hochkonjunktur nicht offenkundig werdenden Schwächen der österreichischen Wirtschaft, aber auch im Erkennen der Zufälligkeit der richtigen Wahl unserer wirtschaftspolitischen Maßnahmen. Lassen wir uns durch die verhältnismäßige Blüte der österreichischen Volkswirtschaft in den Zeiten der Hochkonjunktur, nicht darüber hinwegtäuschen, daß die strukturellen Schwächen unserer Wirtschaft fortbestehen. Nach wie vor sind unsere Betriebe in einem allzu hohen Maß eine Sammlung von Grenzproduzenten, also von Unternehmungen, die nur zum Zug kommen, wenn die leistungsstarke westeuropäische Konkurrenz in der Hochkonjunktur ausgelastet ist und keine weiteren Aufträge übernehmen kann oder die Aufträge so klein oder spezialisiert sind, daß sie für sie nicht rentabel erscheinen. In solchenFällen kommt man nach Österreich „einkaufen“.

Nach wie vor ist unsere Wirtschaft allzusehr auf die Wirtschaft der Deutschen Bundesrepublik ausgerichtet. Das geht solange gut, als es in der Deutschen Bundesrepublik gut geht. Aber wer kann das garantieren? Nach wie vor sind wir in einem wachsenden Ausmaß abhängig von ausländischer Forschung und ausländischen technischen Entwicklungen. Immer mehr leben wir von den wissenschaftlichen Brosamen, die von den Tischen der Reichen, oder sollten wir nicht lieber sagen, der fleißig Forschenden, abfallen. Noch immer ist es uns nicht gelungen, unsere schwachen Wirtschaftszweige zu sanieren, wie die leistungsschwachen landwirtschaftlichen Kleinbetriebe, der unter ungünstigen geologischen Voraussetzungen arbeitenden Salz- und Bunt- metallbergbau, die allzu zahlreichen Mühlen- und Sägewerke und die unerklärlicherweise besonders leistungsschwache Möbelindustrie und viele Teile der eisenverarbeitenden Industrie. Noch immer ist der sehr kapitalintensive Fremdenverkehr die bedeutendste Wachstumsindustrie unseres Landes, während die Wachstumsindustrien der fünfziger Jahre, wie Papier, Stahl, die Starkstromindustrie, die Aluminium- und die Kunstdüngererzeugung, die Erdölindustrie und einige Sektoren der Textilindustrie, hinsichtlich des Wachstums international gesehen günstigenfalls im Mittelfeld liegen. Die Wachstumsindustrien der sechziger Jahre sind bei uns, von einigen Ausnahmen abgesehen, wie zum Beispiel die Pulvermetallurgie, nicht zum Durchbruch gekommen.

Nur Ansätze für wissenschaftliche Orientierung

Die Aufzählung der Strukturschwächen unserer Wirtschaft mag nun als teilweise Begründung der Behauptung, daß es uns im vergangenen Jahr besser gegangen ist, als wir es verdient hätten, dienen. Eine weitere Begründung sehe ich darin, daß wir heute bestenfalls Ansätze für eine wissenschaftliche Orientierung unserer Wirtschaftspolitik geschaffen haben. Natürlich wird auch die Wirtschaftspolitik immer eine Kunst des Möglichen bleiben. Eine absolut sachliche Wirtschaftspolitik ist eine Utopie. Die Wirtschaftspolitik wird sich immer gezwungen sehen, Konzessionen zugunsten der Optik, der Macht, auch der Vorurteile oder der Einsichtslosigkeit machen zu müssen. Für unsere österreichische Lebensweise, sagt man uns nach, gelte der Satz, daß die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten der Umweg -sei. Der beste österreichische Wirtschaftspolitiker wäre somit einer, der den kürzesten Umweg zum Ziel wählt. Aber man muß das Ziel und das Gelände kennen, will man es erreichen. Und noch kennen wir in unserer Wirtschaftspolitik weder das Ziel noch das Gelände. Wir haben weder ein Entwicklungskonzept für unsere österreichische Volkswirtschaft noch sind wir hinreichend informiert über die Lage unserer Wirtschaft, ihre Entwicklungstendenzen, ihre Stärken und Schwächen gegenüber dem Ausland, ihre Reaktionen auf bestimmte wirtschaftspolitische Maßnahmen oder außenwirtschaftliche Erscheinungen. Ich will nur ein Beispiel für viele andere anführen, das uns im Gewerkschaftsbund tief beeindruckt hat, als wir nämlich im Jahre 1962 unerwartet einem Rückschlag gegenüberstanden und weder die Ursachen des Rückschlags herausfinden konnten noch wußten, wie wir aus dem Tief herauskommen werden. Der Zufall hat uns geholfen. Das beunruhigt uns Gewerkschafter und müßte eigentlich jeden verantwortungsbewußten Wirtschaftspolitiker beunruhigen. Während wir ein erstaunliches Maß an Wirtschaftswundern zustandegebracht haben, ist der Stand unseres Wissens von unserer Wirtschaft durchaus unbefriedigend.

Nun soll aber auch nicht vergessen werden, daß es uns nach langen, ja fast allzu langen und oft vergeblich erscheinenden Bemühungen im vergangenen Jahr doch gelungen ist, einen Ansatzpunkt für eine neue Entwicklung der österreichischen Wirtschaftspolitik zu schaffen. Die österreichische Gewerkschaftsbewegung, die lange Zeit ein einsamer Rufer in der Wüste des neoliberalistischen Stils der Wirtschaftspolitik war, konnte, dem Auftrag ihres Bundeskongresses folgend, die Unternehmervertretungen und die entscheidenden Wirtschaftspolitiker der bürgerlichen Regierungspartei überzeugen, daß Planung der Wirtschaftspolitik doch etwas mehr als ein durch die teilweisen kommunistischen wirtschaftlichen Mißerfolge in Mißkredit gebrachtes Wort ist. Wir konnten, auf westeuropäische Beispiele hinweisend, unsere Partner in der Wirtschaft wenigstens so weit bringen, daß sie einen Versuch wagten, wissenschaftliche Grundlagen für eine Versachlichung der Wirschaftspolitik, soweit eine solche nun einmal möglich ist, zu schaffen, die verfügbaren Fachleute zusammenzufassen und zu einer koordinierten Arbeit zu bringen und zuerst auf Randgebieten der Wirtschaft Teilplanungskonzepte zu versuchen. Der Wirtschaftsbeirat, der in engster Zusammenarbeit mit den Präsidenten der großen Wirtschaftsverbände und über sie mit der Paritätischen Kommission und der Bundesregierung eng kooperierte, war bekanntlich der Kristallisationskern für. die beginnende Umstrukturierung unserer Wirtschaftspolitik. Es mag etwas unbescheiden sein, wenn einer der Hauptbeteiligten an diesen Entwicklungen sie als erfolgreich, fruchtbringend, ja weitere und noch größere Erfolge versprechend bezeichnet. Aber gerade wenn wir die Stagnation, die in unserem wirtschaftspolitischen Denken der fünfziger und Anfang der sechziger Jahre herrschte, betrachten, und dann die Fortschritte des einen Jahres daneben halten, dann erweist sich dieser Optimismus als doch irgendwie nicht ganz unbegründet.

Ansätze sind weiter zu pflegen

Ich sehe nun die vor uns liegende Aufgabe vor allem darin, die erfolgversprechenden Ansätze weiter zu pflegen, die wissenschaftlichen Grundlagen für eine demokratische Planung der Wirtschaftspolitik und der Wirt- echaftsentwicklung zielbewußi weiterzuentwickeln, das Zusammenspiel der Apparate der Regierungsbürokratie und der großen Wirtschaftsverbände, der wissenschaftlichen Institute und auch vielleicht der großen Konzerne weiter zu verbessern. Denn vergessen wir eines nicht, noch sind die großen Aufgaben ungelöst. Die nächste Zukunft wird, so ist zu befürchten, ein geringeres Wachstum der Wirtschaft bringen. Das kann einen verstärkten Druck auf die Preise ergeben. Die Lohnpause ist bereits vor einigen Wochen zu Ende gegangen. Neue Entwicklungen auf dem Gebiete der wirtschaftlichen Integration unseres Landes in den westeuropäischen Wirtschaftsraum zeichnen sich ab.

So sehr wir also Mut und Hoffnung daraus schöpfen können, daß wir unvergleichbar größere Schwierigkeiten in der Vergangenheit überwunden haben, daß wir uns im schweren internationalen Existenzkampf bisher zumindest einigermaßen an der Oberfläche halten konnten, daß unser Wirtschaftswachstum international noch immer überdurchschnittlich stark ist, wenn man die Industriestaaten zum Vergleich heranzieht — dieses Mut- und Hoffnungschöpfen aus unseren vergangenen Erfahrungen soll uns aber nicht eine Anregung zu unbekümmertem In-den-Tag-Hinein- leben sein, sondern ein Ansporn, ungelöste Probleme mit neuen Methoden anzugehen, der österreichischen Wirtschaft eine klare Zukunftsperspektive zu zeigen, um den arbeitenden Menschen dieses Landes eine Heranführung ihres Lebensstandards an das westeuropäische Niveau zu ermöglichen und damit Fundamente für eine freiere, glücklichere Zukunft unseres Landes zu legen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung