6915035-1981_23_01.jpg
Digital In Arbeit

Krieg an falscher Front

Werbung
Werbung
Werbung

Vor kurzem nahm ich an einer vom Management-Club veranstalteten Diskussion teil. Dabei ging es im wesentlichen um die Frage: Brauchen wir weiterhin Wirtschaftswachstum? Die Antworten darauf waren sehr unterschiedlich.

Interessant war, daß schon bei der Erklärung der Vorfrage, ob wir uns derzeit in einer Krise befänden, die Meinungen stark auseinandergegangen sind.

Krise und Wirtschaftswachstum sind Begriffe, um die eine heftige Debatte ausgebrochen ist, die leider oft an wesentlichen Aspekten der Probleme vorbeiführt.

Wenn es um die Beurteilung der gegenwärtigen wirtschaftlichen Situation geht, teilen sich die Diskussionsteilnehmer nur allzu bald in zwei feindliche Lager: Die Optimisten stellen überlegen lächelnd fest, daß dank der Leistungsfähigkeit unserer Marktwirtschaft ohnedies alle Probleme bald bereinigt würden. Die Pessimisten wiederum prophezeien - mit dem intellektuellen Genuß, es vorher gewußt zu haben - den bevorstehenden Untergang.

Mir scheint, daß hier an einer falschen Front gekämpft wird: Daß wir wirtschaftliche Probleme haben, bestreiten weder die einen noch die anderen. Und daß wir diese Probleme lösen wollen, stellt letztlich auch niemand ernsthaft in Frage.

Nehmen wir also die Probleme ernst und streiten wir nicht um den Begriff Krise!

Nun zeigt aber eine nähere Analyse der gegenwärtig vorrangig anstehenden Schwierigkeiten, daß sich in den vergangenen Jahren die Problembereiche im Vergleich zu den Jahren des Aufschwungs nach dem Zweiten Weltkrieg deutlich verändert haben:

Stark gestiegene Arbeitslosenraten, rasche Geldentwertung, rasch anwachsende öffentliche Verschuldung, Absatzschwierigkeiten im Grundstoffbereich, stagnierende Nachfrage in einigen Schlüsselproduktionen (Auto, Elektrogeräte, Bauten), chronische Passivierung der Leistungsbilanzen (vor allem durch die stark gestiegenen

Energiepreise) sind einige dieser „neuen" Erscheinungen.

Nun heißt die häufig sowohl von Wirtschaft wie auch von Gewerkschaft propagierte Lösung für diese Probleme: „Durchstarten!". ÖGB-Präsi-dent Anton Benya wird nicht müde, in dieses Horn zu blasen. Bei jeder sich bietenden Gelegenheit stellt er fest, daß alles unternommen werden müsse, um ein Wirtschaftswachstum zu erzielen; nur so könnten die Arbeitsplätze gesichert werden.

„Nur kein Wachstum!" antworten im Chor die „Grünen". Das Wachstum habe uns all die Probleme mit der Umwelt, den Raubbau an unseren natürlichen Ressourcen und den Streß am Arbeitsplatz gebracht!

Wird nicht auch hier zum Teil eine vordergründige Auseinandersetzung ausgetragen? Daß Wirtschaftswachstum nicht ausreicht, um Arbeitsplätze zu sichern, beweist die hohe Arbeitslosigkeit in den Industrieländern, die

selbst m deri letzten Jahren ein - wenn auch deutlich verringertes - Wirtschaftswachstum zu verzeichnen hatten.

Daß andererseits eine stagnierende Wirtschaft kein Garant für eine heile Umwelt ist, zeigt das Beispiel so mancher Entwicklungsländer.

Wirtschaftswachstum ist meiner Überzeugung nach eben kein Ziel an sich. Aufgabe der Wirtschaft ist es, die Bevölkerung ausreichend mit den notwendigen Gütern und Leistungen zu versorgen!

Diese Aufgabe kann und soll bei Mangel und Bedürftigkeit zu Wirtschaftswachstum führen. Im Falle der Überversorgung hingegen, wie sie manche Industrieländer kennen, wird Stabilisierung und sogar Einschränkung die naheliegende Lösung sein.

Eine Ausnahme von dieser Regel wäre vertretbar: Die. Industrieländer könnten aus einer ernstgenommenen Solidarität mit den Ländern der Drit-

ten Welt ihre wirtschaftlichen Bemühungen weiter vorantreiben, um die Frucht ihrer Anstrengungen in angemessener Form beim Aufbau dieser Länder einzubringen.

Solange wir aber nur für uns selbst sorgen, ist weiteres Wachstum fragwürdig.

Dem kann nun entgegengehalten werden, daß in den Industrieländern derzeit ein Wirtschaftssystem existiefp, das, um zu funktionieren, auf Wachstum angewiesen sei.

Dieses Argument läßt sich nicht einfach vom Tisch wischen. Auch der engagierteste Umweltschützer ist auf materielle Versorgung angewiesen und sicher daran interessiert, daß es zu einem möglichst reibungslosen Übergang zu einer umweltfreundlichen, eher autarken Wirtschaft kommt.

Es nützt ja das beste Ziel nichts, wenn wir es nicht so ansteuern, daß wir es lebend erreichen. Wem ist damit gedient, wenn wir heute - auch aus einer richtigen Überzeugung heraus - plötzlich das Steuer herumreißen und an unserer unüberlegten Courage zugrunde gehen?

Kurzfristig mag es daher stimmen, daß wir in einer Übergangszeit (von fünf bis zehn Jahren) noch auf Wachstum angewiesen sein könnten, eben weil unser Wirtschaftssystem komplex und träge ist. ^

Es nützt uns aber nichts, auf einem Weg weiterzumarschieren, von dem wir heute erkennen können, daß er uns in die Irre und damit auch langfristig ins Chaos führt, nur weil der Weg bisher so breit und bequem war.

Wirtschaftswachstum als Selbstzweck ist für eine Gesellschaft ebenso absurd, wie Verdauen für den Menschen als Selbstzweck absurd ist. Diesen Vergleich stellte schon vor vielen Jahrzehnten der englische Sozialhistoriker Richard Tawney an: „Das Übel unserer Zivilisation … besteht darin, daß die Industrie selber sich in eine Stellung der ausschließlichen Vorherrschaft unter den menschlichen Interessen versetzt hat, die keinem einzelnen Interesse zukommt. Wie ein Hypo-’ chonder, der so vom Prozeß seiner eigenen Verdauung absorbiert ist, daß er ins Grab sinkt, ehe er zu leben begonnen hat - so vernachlässigen unsere Industriegesellschaften die wahren Ziele, für die es sich lohnt, Reichtümer zu erwerben, in ihrer fieberhaften Hingabe an die Mittel, mit denen Reichtümer »ewonnen werden."

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung