Es ist alles noch komplizierter

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Im Ringen um einfache Lösungen überbieten Ökonomie- und Ökologie-Populismus einander gegenseitig. Das löst keine Probleme, sondern schafft neue.

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Im Ringen um einfache Lösungen überbieten Ökonomie- und Ökologie-Populismus einander gegenseitig. Das löst keine Probleme, sondern schafft neue.

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"Denken hilft" - ein T-Shirt-Spruch, der sich immer wieder als wichtige Weisheit entpuppt. Auch wenn es um die Verbesserung der Welt geht, gilt: Denken hilft. Wo hohe Ziele wie Zukunftsfähigkeit, Gemeinwohl und Gerechtigkeit zur Diskussion stehen, steht die Sonne des Geistes aber nicht immer besonders hoch. Und dann werfen, etwas frei nach Karl Kraus, auch Zwerge lange Schatten. Es ist alles sehr kompliziert - gerade dann, wenn es um Dinge wie Nachhaltigkeit geht. An dieser Komplexität haben sich schon manche "Denkfabriken", Aktivistinnen und Zukunftsforscher die Zähne ausgebissen.

Was so problematisch ist: Unterkomplexe Lösungsvorschläge und simple Orientierungsangebote spielen auch im gesellschaftlichen Diskurs, in der Politik und bisweilen sogar in der Wissenschaft eine immer größere Rolle. Die großen Trivialisierer haben Hochkonjunktur. Ob "Neoliberalismus","Hirnforschung" oder "Wachstumsgrenzen": Wer das große Wort führt und gut formulieren kann, kommt mit Simplifizieren durch, die jedem Erstsemester ein "nicht bestanden" einbringen würden.

Wachstum: Zwischen Manie und Phobie

Die Rolle von Wissen für die Bewältigung großer Herausforderungen wirft heikle Probleme auf. Forscher wie Helmut Willke fragen gar, ob die Forderung nach allgemeiner Partizipation sinnvoll sein kann, "wenn die Mehrheit von den meisten politisch zu verhandelnden Problemen nichts mehr versteht". Was man jedenfalls feststellen kann: Nicht nur im Ringen um die Nachhaltigkeit scheinen Gefühle, Orientierungssehnsucht und Einfachheit immer wichtiger zu werden, während Fachkompetenz, Streitkultur und Komplexitätsbewusstsein eher an Bedeutung verlieren.

Schauen wir uns die Sache näher an, und zwar anhand eines Themas, dass für Felder wie Wirtschafts- und Finanzpolitik, Verteilungsfragen und Umweltschutz eine entscheidende Rolle spielt: Wachstum. Der Diskurs darüber, könnte man zuspitzen, schwankt zwischen Wachstumsmanie und Wachstumsphobie. Auf der einen Seite diejenigen, für die alles Gute, Wahre, Schöne am Wachstum hängt und die insistieren, ohne Wachstum sei alles nichts. Auf der anderen Seite eine durchaus bunte Truppe von Leuten, die Wachstum ablehnt und Rezepte anbietet, wie man aus der Wachstumswirtschaft aussteigen kann.

Die immer noch deutlich dominierende Position in diesem Diskurs lautet: Wachstum ist nicht nur notwendig, sondern auch dauerhaft möglich, weil technische Innovationen es erlauben, Werteproduktion und Umweltverbrauch zu entkoppeln. Diese Auffassung findet sich von der lokalen bis zur globalen Ebene - sie ist "Mainstream". Man muss hier sehr genau hinschauen, um nicht den großen Vereinfachern auf den Leim zu gehen. Meist ist nämlich von relativer Entkopplung die Rede - und die bedeutet einfach, dass der Umweltverbrauch langsamer wächst als das Bruttoinlandsprodukt. Worauf es aber zumindest im reichen Teil der Welt ankommt, ist "absolute Entkopplung": Der Verbrauch an Material, Energie und Fläche muss drastisch reduziert werden, wenn nachhaltige Entwicklung angestrebt wird.

Wollte alle Welt so leben wie der durchschnittliche Österreicher - wir bräuchten mehrere Planeten. Auf gut wienerisch: Das geht sich nicht aus. Heute werden die Effizienzeffekte besserer Technik regelmäßig durch Wachstumseffekte überkompensiert - und es spricht wenig dafür, dass das in der Zukunft anders wird.

Schon der sogenannte "Rebound-Effekt" führt oft dazu, dass relative Effizienzsteigerungen nicht zu einer Reduktion des Gesamtverbrauchs führen, weil auf Effizienzverbesserungen nicht selten mit Verbrauchserhöhungen reagiert wird. Technik allein kann Nachhaltigkeit nicht sichern.

Das nicht sehen zu wollen, darf man als Ökonomie-Populismus bezeichnen. Es ist freilich auch nicht zielführend, diesem mit einer Art Ökologie-Populismus zu antworten. Diese Form des Nachhaltigkeitspopulismus kennt, grob gesagt, zwei Varianten. Die individualistische Variante behauptet, dass Sie und ich und wir alle die Welt dadurch retten können, dass wir anders (sparsamer!) reisen, wohnen und konsumieren. Gerade im Diskurs über "Postwachstum" setzen viele auf diese einfache Lösung. Maßhalten lautet die Parole, mit all den bekannten Nebenwirkungen von lautstark vorgetragenen Maßhalteappellen, vor allem: Die meisten Leute wollen einfach nicht mitmachen. Dazu kommt noch, dass es so etwas wie einen "moralischen Rebound" gibt: Studien zeigen, dass Menschen sich gerne mit ökologisch und sozial eher ungutem Verhalten für ihre nachhaltigen Handlungen belohnen - gut gemeinte Appelle zu nachhaltigem Verhalten können somit durchaus nach hinten losgehen.

Zu einfach gedachte Nachhaltigkeit

Die Systemvariante des wachstumskritischen Nachhaltigkeitspopulismus sagt, dass wir das System (fundamental) umbauen oder - noch radikaler - am besten gleich ganz "aussteigen" müssen. Von China lernen heißt Siegen lernen, belehrt uns ganz ironiefrei die Publikation "2052" des Club of Rome - mit dem simplen Rezept, dass Demokratie für die Lösung der Umweltprobleme zu lahm ist und deshalb massiv eingeschränkt gehört. Aus dem Kapitalismus aussteigen will die so genannte Gemeinwohlökonomiebewegung. Der Weg rein ins Gemeinwohl und raus aus dem Kapitalismus ist mit partizipativen Prozessen gepflastert. Der dahinterstehende Glaube: Statt durch vom Volk entfremdete Politiker soll sich durch Konvente der wahre Volkswille zeigen, der dann gleichsam automatisch zu Gemeinwohl, Nachhaltigkeit und Wachstumsbeschränkung führt. Dass basisdemokratische Prozesse sehr problematisch sein können - zum Beispiel weil sich gutsituierte Pensionisten viel leichter engagieren können als arme Alleinerziehende -, wird dabei ebenso gerne ausgeblendet wie die Frage, welche Rolle denn fachliche Expertise in Gremien spielt, die wirtschafts- und finanzpolitische Grundsatzentscheidungen fällen sollen. Nein, weder Technik noch Verzicht noch Partizipation allein werden uns einer nachhaltigen, wachstumsunabhängigen Wirtschaftsweise näherbringen. Entkopplung durch Innovation ist keine Lösung, der Glaube an das Gute im Menschen aber auch nicht. Auch hier gilt: "gut gemeint" ist oft das Gegenteil von "gut". Die Fixierung auf simple Lösungen für komplexe Probleme führt in eine Sackgasse. Weit besser wäre es, auf einen offenen Diskurs zu setzen, der seine eigenen Beschränkungen mitreflektiert. Die Anerkenntnis der simplen Tatsache, dass es für komplexe Probleme keine einfachen Auswege gibt, wäre schon ein Fortschritt -auch und gerade im politischen Raum.

Erfordert es zu viel Courage von politisch Handelnden, zuzugeben, dass für manche Probleme keine Lösungen verfügbar sind? Ist es wirklich ausgeschlossen, die Wachstumsproblematik klar zu benennen, ohne gleich eine "Lösung" parat zu haben? Gerade Menschen, die an Marktwirtschaft und Innovation glauben, sollten anerkennen können, dass ein Lernprozess wie nachhaltige Entwicklung definitionsgemäß ergebnisoffen ist. Wir wissen nicht, wie eine wachstumsunabhängige Wirtschaft aussehen kann - und wir können es auch nicht wissen.

"Es ist alles sehr kompliziert" - so wird Fred Sinowatz gerne zitiert. Das Original ist komplizierter - und höchst relevant: "Ich weiß schon," hat er gesagt, "das alles ist sehr kompliziert so wie diese Welt, in der wir leben und handeln, und die Gesellschaft, in der wir uns entfalten wollen. Haben wir daher den Mut, mehr als bisher auf diese Kompliziertheit hinzuweisen; zuzugeben, daß es perfekte Lösungen für alles und für jeden in einer pluralistischen Demokratie gar nicht geben kann.". Das war 1983. Ein Blick auf aktuelle Debatten zeigt, dass diese Worte nichts an Aktualität eingebüßt haben.

Der Autor leitet das Kompetenzzentrum für Nachhaltigkeit an der Wirtschaftsuniversität Wien.

Öko-Populismus

Warum einfache "Lösungen", Unwissen und Meinungsterror unsere Zukunft bedrohen. Von Fred Luks. Metropolis 2014 248 S., kart., € 19,80

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