Manager in der Krise Leadership - © Illustraiton: iStock/DrAfter123

Corona: Manager in der Krise

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In Krisenzeiten sehnen sich Menschen nach starken Führungspersönlichkeiten. Was der Covid-19-Schock für das Management bedeutet und weshalb es so wichtig ist, die „Soziale Ökologie“ nicht aus dem Blick zu verlieren.

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In Krisenzeiten sehnen sich Menschen nach starken Führungspersönlichkeiten. Was der Covid-19-Schock für das Management bedeutet und weshalb es so wichtig ist, die „Soziale Ökologie“ nicht aus dem Blick zu verlieren.

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Eine Krise lenkt unsere Aufmerksamkeit immer auf die Führungspersönlichkeiten unserer Gesellschaft: Wie reagieren sie? Überlegt oder widersprüchlich? Selbstbewusst oder zögerlich? Und genau dies erleben wir auch heute – in einer Zeit, in der sich das Covid-19-Virus über den Erdball verbreitet und die Wirtschaft weltweit vor dem Kollaps steht.

Auch jetzt erwarten sich Menschen Orientierung von den Entscheidungsträgern – doch oft sind sie von dem, was sie hören und sehen, alles andere als beruhigt. Menschen wissen, dass jede Krise auch eine Zeit der Unsicherheit und Ambivalenz ist, in der große Veränderungen anstehen. Sie fürchten, dass sich Regeln ändern, dass Prioritäten neu geordnet werden und dass einige derer, die früher „oben“ waren, sich danach „unten“ wiederfinden.

Die globalisierten Lieferketten waren ein großer Fortschritt in der Management-Praxis. Doch nun haben sie sich als erschreckend anfällig erwiesen.

Daher verlangen sie nach Führungspersönlichkeiten, denen sie vertrauen können, die ihre Interessen schützen, statt der eigenen Agenda oder jener ihrer Freunde. Sie wollen Führungspersönlichkeiten, die sich auf praktische Lösungen konzentrieren – jenseits von Ideologien und politischen Ränkespielen.

Dass in den letzten Wochen so viele Führungspersönlichkeiten an diesen Anforderungen zu scheitern drohen, zeigt vor allem eines: Unsere Organisationen müssen sich darauf konzentrieren, wie sie die ihnen anvertrauten Menschen besser führen können, also auf Leadership – und zwar ebenso, wie sie sich im letzten Jahrhundert auf das Management von Effizienz fokussiert haben.

Tatsächlich sind diese beiden Funktionen, Leadership und Management, nicht gleichbedeutend. In jedem Unternehmen bedeutet gutes Management, dass die geleistete Arbeit den Zielen der Organisation entspricht. Doch was sind diese Ziele und wie werden die Fähigkeiten aller zusammengeführt und orchestriert? Dies ist das Hoheitsgebiet von Leadership. Wir alle kennen den Ausdruck: Management bedeutet, die Dinge richtig zu tun – Leadership bedeutet, die richtigen Dinge zu tun.

Natürlich ist es schwierig herauszufinden, was die richtigen Dinge sind. Denn diese Erkenntnis erfordert Urteilsvermögen, strategischen Weitblick und Kompromissfähigkeit. Eine Herausforderung, die angesichts der heutigen beispiellosen Vernetzung, gegenseitigen Abhängigkeiten und Komplexität noch an Dramatik zugenommen hat.

Weshalb? In den vergangenen 200 Jahren hat sich ein riesiges, von Menschenhand geschaffenes Netzwerk aus Organisationen und Institutionen gebildet. In den Spitzen zahlreicher Unternehmen, öffentlichen Einrichtungen und Regierungen hat sich zwar mittlerweile die Vorstellung verbreitet, dass wir die Hüter unserer natürlichen Umwelt sind.

Die vom Menschen erschaffene Ökologie haben wir dabei jedoch aus den Augen verloren. Gemeint ist jenes Netzwerk aus Myriaden von miteinander verbundenen Unternehmen, Verbrauchern, Investoren, Institutionen des öffentlichen Sektors, Regierungen und NGOs. Sie alle sind Teil eines Netzwerks, das Peter Drucker „Soziale Ökologie“ nannte. Wie die natürlichen Ökosysteme muss auch diese soziale Ökologie gepflegt und sorgfältig gesteuert werden.

Massive Verschiebungen

Globalisierte Lieferketten mit ihrem Anspruch des Just-in-time werden zu Recht als großer Fortschritt in der Managementpraxis betrachtet. Allerdings darf man dabei nicht übersehen, dass diese Ketten erschreckend anfällig sind, wie sich gerade jetzt ganz deutlich zeigt. Zwar wird das globale virtuelle Unternehmen gefeiert, dessen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter über den ganzen Globus verteilt tätig sind, unabhängig von Raum und Zeit, doch auch hier gilt es abzuwägen: Welche sozialen Auswirkungen hat die massive Verschiebung der Arbeitsplätze? Steht der zusätzliche Gewinn für das Unternehmen in Relation zum möglichen Vertrauensverlust in dessen Führung?

Ein weiteres Beispiel dafür ist das Abgeben von Führungsverantwortung an digitale Systeme, etwa die Verwaltung von Anlageportfolios durch künstliche Intelligenz und automatisierte algorithmische Handelsprozesse – was immer deren Nutzen hinsichtlich Produktivität und Effizienz sein mag. Wenn Regierungen oder die öffentliche Hand ganze Sektoren, wie etwa die Automobilindustrie, zu tiefgreifenden Umstrukturierungen zwingen wollen, gilt es, diese an die enormen Kosten dieser Top-DownTransformation zu erinnern: Neben den sozialen Kosten bedeutet diese auch die Vernichtung von wirtschaftlichem Wohlstand.

Regierungen vergessen dabei, dass die soziale Ökologie aus gewachsenen Systemen besteht, die nicht durch Regierungsbeschlüsse von oben grundlegend verändert werden können. Sonst kann es passieren, dass die unbeabsichtigten Folgen dieser „Therapie“ schädlicher sind als die Krankheit. Die deutsche „Energiewende“ mit ihrem Mikromanagement ist ein Beispiel für das Scheitern einer solchen Vision.

Denn verantwortungsvolle Führung bedeutet heute zweierlei: Einerseits geht es darum, die Umwelt zu schonen, andererseits gilt es, die Gesellschaft am Laufen zu halten, indem wir die soziale Ökologie pflegen und nähren.

Hört sich dramatisch an? Ist es auch. Denn der Covid-19-Schock trifft uns in einer Zeit, in der sich unser wirtschaftliches, soziales und politisches Gefüge bereits am Limit bewegt. Mit einem Mal werden nun Änderungen erforderlich, die unter „normalen“ Umständen nicht durchzusetzen sind. Zugleich erzwingt die beispiellose Krise von den Führungskräften vor allem in der jetzigen Phase des Feuerlöschens, überholte Annahmen zu überdenken.

Das Vertrauen nicht verspielen

Je mehr Einfluss eine Führungskraft hat, umso eher muss sie sich bewusst werden, dass ihr Einsatz einer größeren Sache dienen sollte – und dass es darum geht, das Vertrauen, das die Gesellschaft in sie setzt, nicht zu verspielen. Das betrifft vor allem jene, die die längste Zeit vom Boom an den Börsen profitiert haben: Investoren, die sich hinter dem anonymen Emissionshandel versteckt haben. Oder Vorstände und Führungskräfte von Dow-Jones-Unternehmen, die Aktienkurse stützten, indem sie massive Rückkäufe tätigten und damit – bewusst oder unbewusst – jene Börsenblase aufpumpten, die gerade erst geplatzt ist.

Diese vom Glück verwöhnte Minderheit sollte sich daran erinnern, dass sie nicht in Aktien investiert, sondern in „reale“ Menschen, für deren Lebensunterhalt und Leben sie verantwortlich ist. Einfach wegzulaufen ist inakzeptabel – sowohl aus ethischer als auch aus wirtschaftlicher Perspektive. Unsere Gesellschaft braucht gerade in Krisen Leitlinien, um Lösungen zu entwickeln, die unseren sozialen Zusammenhalt nicht gefährden. Nur so kann es gelingen, das menschliche Potenzial – die am meisten benötigte Ressource auf diesem Planeten – ganz zu entfalten. Nicht weniger als das ist es, was wir im Moment brauchen.

Der Autor ist Gründer und Präsident des Global Peter Drucker Forums, das jährlich in Wien veranstaltet wird. Das Forum 2020 hat das Thema „Leadership Everywhere – A New Perspective on Management“.

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