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Durch ihre modernen Organisationsprinzipien wurde die katholische Kirche zur Avantgarde für die Wirtschaft. Doch wie steht es heute um Marketing und Kundenfreundlichkeit des "Unternehmens" Kirche? Helmut F. Karner, Manager, Unternehmensberater und Christ, im Furche-Gespräch.

Die Furche: Sie haben immer wieder betont, dass Sie für Ihre Führungsaufgaben in den verschiedensten Unternehmen, in denen Sie tätig waren, sehr viel von Ihrer Zeit in der Katholischen Hochschuljugend und vom Gedankengut des Christentums profitiert hätten. Heißt das, überspitzt formuliert, Sie haben mit dem Evangelium in der Hand einen Großkonzern geleitet?

Helmut F. Karner: Ja, auch wenn man es nicht so deklariert hat. Eine der wesentlichen Herausforderungen an Führungskräfte in immer schneller werdenden Zeiten ist heute, dass sie Mut zur Unschärfe haben. Führungskräfte haben nicht die Zeit, sich intensiv vorzubereiten. Wer sich die Zeit nimmt, manche Entscheidungen zu intensiv vorzubereiten, tut das Falsche, weil manche Entscheidungen, wenn sie dann endlich reif sind, nicht mehr gebraucht werden. Es gibt heute so viel Unvorhergesehenes, das ich einschätzen können muss. Man kann diesen Umgang mit der Unschärfe als Instinktsicherheit oder - wie das Paul M. Zulehner einmal genannt hat - als Trittfestigkeit bezeichnen. Ich muss heute in wesentlichen Führungssituationen trittfest sein, auch und gerade dort, wo ich vorher nicht wissen konnte, wie fest der Stein sitzt und wie steil die Wand ist.

Die Furche: Kann man solche "Trittfestigkeit" trainieren?

Karner: Man kann sie sich nicht "anstudieren", sondern man erwirbt sie sich durch Arbeit und Übung im sozialen Umfeld. Egal ob Leute bei den "Roten Falken" oder bei der "Katholischen Jungschar" waren: Sie haben dadurch Vorteile. Aber es kommt natürlich auch auf inhaltliche Trittfestigkeit an, und da haben wir als Christen unglaubliche Vorteile. Wenn ich heute schwierige soziale Situationen einschätzen muss, wie es in jedem Unternehmen tagtäglich vorkommt, dann ist mir die Bergpredigt eine Hilfe, weil sie mich sensibilisiert, mich dem oberflächlichen Entweder-Oder unserer Managementgesellschaft zu entziehen. Die Bergpredigt folgt einer anderen inneren Logik. So muss es - nach der Kategorie der Barmherzigkeit - auch in einem Unternehmen erlaubt sein, Fehler zu machen.

Die Furche: Die Informationsgesellschaft hat unser Wirtschaften enorm beschleunigt. Was hat sich dadurch verändert?

Karner: Das Phänomen, das entscheidende Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft hat, ist die große Geschwindigkeit des Wandels, die sich selber so dramatisch verändert, dass der Wandel durch kein anderes gesellschaftliches Element nachvollzogen werden kann. Das hat zur Folge, dass der Wandel oft nicht kontinuierlich passieren kann, das heißt, er findet in Brüchen, Diskontinuitäten statt. Stellt man sich auf die Brüche ein, antizipiert man sie, so kann jedes Unternehmen daraus Nutzen ziehen. Durchbrüche finden immer nach Brüchen statt, aber nur, wenn wir es schaffen, uns auf Diskontinuitäten einzustellen. Es ist wichtig, die Chancen oder auch das Chaos positiv zu nützen, da eine Selbsterneuerung erst nach Brüchen erfolgt. Das Problem beim Wirtschaften ist ja nicht das Lernen des Neuen, sondern das Verlernen der "alten Sachen". "Learning new skills is easy, unlearning old habits is tough", sagen die Amerikaner.

Die Furche: Auch wenn man der Kirche in Bezug auf ihr Management oft schwere Fehler nachsagt, hat sie doch - zumindest in ihren Dokumenten - avantgardistische Strukturen ...

Karner: Eines ist festzuhalten: Modernste Managementkonzepte und -strukturen, die in der neuesten amerikanischen Fachliteratur entfaltet werden, sind von der Kirche schon im vierten Jahrhundert erfunden worden. Modernste Organisationsprinzipien sind in einer unheimlichen Sauberkeit auch in der dogmatischen Konstitution "Lumen gentium" des Zweiten Vatikanums abgebildet, 30 Jahre bevor sie das moderne Management entdeckt hat. Das heißt, die katholische Kirche ist vor allem im Zweiten Vatikanum, aber auch in klösterlichen Formen eine Avantgarde für die Wirtschaft. Andererseits muss es die Kirche zur Kenntnis nehmen, dass es andere gesellschaftliche Bereiche gibt, die durch schnellere Feedback-Schleifen auch schneller auf das aggiornamento (der von Johannes XXIII. geprägte Begriff für die Anpassung an die Verhältnisse des modernen Lebens; Anm.) draufkommen. So gesehen gilt auch das umgekehrte Prinzip: Die Wirtschaft als Avantgarde für eine neue Ethik in unserer Gesellschaft.

Die Furche: Inwieweit lassen sich Prinzipien der Marktwirtschaft und Marketingstrategien auf das "Unternehmen" Kirche übertragen, das sich ja durch einen spirituellen Mehrwert auszeichnet?

Karner: Ich teile nicht die Auffassung, dass die Kirche einen spirituellen Mehrwert hat. Es herrscht heute in der neuesten Marketingwissenschaft Konsens darüber, dass die zukünftigen Lieferanten-Kunden-Beziehungen in der Wirtschaft Wertebeziehungen sind. Nehmen Sie das Beispiel der Transfair-Bananen. Die Leute geben heute das Doppelte für diese Produkte aus - da bilden sich neue Wertebeziehungen zwischen Lieferanten und Kunden, die offensichtlich nicht mehr vom Markt oder vom Preis bestimmt werden. In der Wirtschaft nennt man das nicht Mehrwert, sondern USP - unique selling proposition. Die Kirche ist zwar in einer anderen Branche tätig, wo die USP ein bisschen anders ausschaut, aber die Methode, mit diesen Inhalten umzugehen, ist genau die selbe. Der Vor- und zugleich der Nachteil von Wirtschaftsunternehmen gegenüber der Kirche ist, dass sie in viel schnelleren Feedback-Zyklen leben: Wenn ich als Unternehmen meine Kunden, Mitarbeiter und Eigentümer schlecht behandle, dann gibt es mich in einem Jahr nicht mehr. Daher lernen die Unternehmen viel schneller aus ihren Fehlern. Die neuesten Arbeitszufriedenheit-Statistiken der Arbeiterkammer zeigen, dass die Privatangestellten mit der höchsten Arbeitszufriedenheit die Teilzeitkassiere bei "Billa" und "Spar" sind. Die Unzufriedensten sind die Bankangestellten, die die sichersten Jobs haben und gut verdienen. Hier kommen völlig neue Wertebeziehungen zum Zug. Die angesprochenen Teilzeitkräfte können sehr flexibel ihre Arbeitszeiten gestalten und Zeiten tauschen, etwa um ihre Kinder von Schule und Kindergarten abzuholen, und werden damit in ihren subjektiven Bedürfnissen besser wahrgenommen als die saturierten Bankangestellten, die, vermeintlich, alles haben. In der metallverarbeitenden Industrie in Deutschland befinden sich 72 Prozent der Mitarbeiter in der inneren Emigration. In US-Unternehmen sind durchschnittlich 62 Prozent der Mitarbeiter nicht mehr loyal dem Arbeitgeber gegenüber. Wenn die Unternehmen nichts dagegen tun, entsteht dadurch der größte Schaden für ihre Produktivität.

Die Furche: Lassen sich diese Beispiele auch auf die kirchliche Situation übertragen?

Karner: Natürlich: Wie viele Mitglieder der Kirche befinden sich in der inneren Emigration! Unternehmen müssen auf derartige Krisensituationen reagieren, da sie sonst innerhalb kürzester Zeit in ihrer Existenz bedroht sind. Von diesem Produktivitätszwang könnte die Kirche lernen. Die zentrale Frage ist also: Wie geht die Kirche mit ihren "Kunden" und mit ihren Mitarbeitern um?

Die Furche: Was tun Sie, wenn Sie die Österreichische Bischofskonferenz einlädt, als ihr Berater zu fungieren? Welche konkreten Schritte würden Sie setzen, um das augenscheinliche Defizit an Leadership zu beheben?

Karner: Die allererste Notwendigkeit ist es, den Sinn für die Dringlichkeit dieses Veränderungsschrittes zu wecken. Es macht mich ungeduldig, wenn ich die zunehmende Sehnsucht der Österreicherinnen und Österreicher nach Sinn, nach Gott, nach Religion auf der einen Seite und auf der anderen Seite die Abnahme der aktiven Teilnahme am kirchlichen Leben sehe. Wenn das nicht genug Anlass für Dringlichkeit ist, dann weiß ich nicht, was noch kommen muss. Man müsste zuallererst diesen Sinn für Dringlichkeit bei den kirchlichen Führungspersonen schaffen. Das hieße dann: Wir müssen uns ändern, damit wir Gott und den Menschen besser dienen können. Es ist ein psychologisches Faktum: "There is no break through without a break down." 90 Prozent aller Veränderungen, sagen Sozialpsychologen, passieren nur über Schmerz, und diese Schmerzgrenze ist in der Kirche offenbar noch immer nicht erreicht. Die nötigen 20 Prozent Führungskoalitionäre, mit denen man die kritische Masse herstellen könnte, um eine Veränderung in Richtung Neubeginn zu bewerkstelligen, sehe ich derzeit jedenfalls nicht. Das wird vielleicht Generationen dauern, bis sich da etwas bewegt oder das derzeitige Problem biologisch erledigt hat. Und selbst dann: Gibt es überhaupt noch Kandidaten, die wir uns als kirchliche Führungspersonen wünschen würden?

Das Gespräch führten Matthias Opis und Andreas Pack.

Guter Rat aus dem Portfolio

In der schnelllebigen Welt von heute haben starre Berufsbezeichnungen ausgedient, ist Helmut F. Karner überzeugt. Demzufolge verwendet der Manager und Berater für sich selbst einen maßgeschneiderten Begriff: Portfolio Worker.

1947 in Baden geboren, studierte Karner an der Technischen Universität Wien Technische Mathematik und Computerwissenschaften - nicht ohne philosophische, soziologische, psychologische und theologische Vorlesungen zu besuchen. Durch sein Engagement in der Katholischen Hochschuljugend wurde sein Werdegang entscheidend geprägt.

Seit 26 Jahren ist Karner nun in Managementpositionen in der Wirtschaft tätig (unter anderem war er Generaldirektor von Olivetti Österreich, Europachef des US-Unternehmens "Northern Telecom", Geschäftsführer und Dean der Techno-Z-Fachhochschule Salzburg). Seit 1997 hält Karner Vorlesungen an der Donau Universität Krems. Zudem ist er mehrfacher Buchautor, Management-Coach, Unternehmensberater und "Spiritus Rector" des "Föhrenberg-Kreises", einer Gruppe von querdenkenden Unternehmern, Managern und Politikern. Zur Zeit begleitet er insgesamt acht Großkonzerne auf vier

Kontinenten in umfassenden Transformationsprozessen.

Nähere Hinweise im Internet unter: http://www.myworld.privateweb.at/hfkarner/default.htm und

http://www.foehrenbergkreis.at/static/index.html

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