Diktiert die Wirtschaft die Bildung? Bildungsinhalte

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Wie lassen sich junge Menschen auf eine Tätigkeit im raschen wirtschaftlichen Wandel vorbereiten? Wie kann man der Zeit "vorausbilden"? Diese Fragen werden zur Nagelprobe für die Bildungspolitiker (siehe Dossier 10/98).

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Wie lassen sich junge Menschen auf eine Tätigkeit im raschen wirtschaftlichen Wandel vorbereiten? Wie kann man der Zeit "vorausbilden"? Diese Fragen werden zur Nagelprobe für die Bildungspolitiker (siehe Dossier 10/98).

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Die Teilnehmer einer kürzlich durchgeführten Umfrage haben den höchsten Grad an Befürchtungen der österreichischen Bevölkerung der Zunahme der Arbeitslosigkeit zugebilligt. Arbeit hat auch in anderen Umfragen einen sehr hohen Stellenwert. Anscheinend ist es in Österreich sehr schwer, in der öffentlichen Meinung klarzulegen, daß Arbeit in und von Unternehmen geschaffen wird und nicht allein durch das Wort von Politikerinnen und Politikern. Arbeit entsteht auch nicht durch Bildung alleine (außer für die im Bildungsgeschäft Tätigen), aber Arbeit ohne Bildung ist in seltenen Fällen gute Arbeit.

Die Wirtschaft ist für viele immer noch etwas Imaginäres. Daher haben auch einige Öffentlichkeitsarbeiterinnen und -arbeiter ein leichtes Spiel bei der Verunsicherung von unterschiedlichst gebildeten Bevölkerungskreisen, wenn es um die wirtschaftliche Weiterentwicklung Österreichs, insbesondere im Rahmen der EU, oder generell um Zukunftsfragen geht.

Um die Zukunft , insbesondere der jungen Generation, besser absichern zu können, wird die "Wirtschaft" gerne von "der Schule" befragt, was denn die Erfordernisse der Wirtschaft der Zukunft wären.

Mit einer wie immer auch befriedigenden Antwort auf diese Frage läßt sich das sehr komplizierte Problem der Interdependenz von Bildung und Wirtschaft vermutlich nicht hinlänglich lösen.

Bildungssystem und Wirtschaftssystem müssen als Partner im Netzwerk moderner Gesellschaften verstanden werden.

Unter (wirklichen) Partnern wird nicht diktiert. Nirgends so auffallend oft und gut wie in einer funktionierenden Partnerschaft gibt es das aktive Zuhören, das intermittierende Rückfragen, wenn Verständnisprobleme auftauchen und das Vereinbaren des gemeinsamen weiteren Weges, das Teilhaben am Wohlbefinden des anderen und der Verzicht auf Rechthaberei, ja sogar auf Urheberschaft. In dieser Haltung entstehen und bestehen nachhaltig gegenseitige Achtung und Hilfe ; sie ist der Grundstein für friedfertiges Zusammenleben und gemeinsamen Erfolg durch Schaffung der permantenen "win-win -Situation".

Das gegenwärtige Verhältnis zwischen Bildungs- und Wirtschaftssystem zeigt jedoch dieselben Erscheinungsformen wie die nicht idealer Partnerschaften zwischen Menschen allgemein. In vielen Fällen handelt es sich eher um eine Notgemeinschaft als um eine Partnerschaft. Durch diesen Grauschleier gilt es einmal durchzublicken: nicht von den eklatanten Fehlhaltungen der Partner auszugehen, sondern von dem, was erfolgsförderlich sein könnte. Es geht wohl vor allem um die Sichtweisen, die sich von ein und demselben Gegenstand von unterschiedlichen Standorten ergeben: Ein Gesichtspunkt: der des Schulwesens Das Schulwesen als eine Großorganisation, in der die einmal eingeführten Verhaltensnormen an vielen Ecken sichtlich auf Schwierigkeiten stößt, beginnt sich mit viel Experimentellem und Konzeptionellem auf ein noch nicht wirklich sichtbar zukünftiges Wirken umzustellen. Für viele im Schulwesen ist bereits jetzt klar, daß die Lehrerrolle der Zukunft nur in marginalen Bereichen die des Informationsvermittlers sein kann. Die Ausbildung auf Pädak oder Uni war aber bisher genau daraufhin ausgerichtet. Information wird in besonders anschaulichen Formen auf allerhand Speichermedien sehr günstig zu haben sein. Die "wer weiß mehr-Spielchen" werden in sehr naher Zukunft nicht mehr sein als Unterhaltung. Es werden Problemlöserinnen und Problemlöser gefragt sein. Daran ist schon jetzt merklicher Bedarf.

Verfügbares Wissen hinkt der Zeit mehr oder weniger nach: Das Schulwesen hat in den meisten Fällen zu Informationen nur Zugang, wenn eine Veröffentlichung vom Neuen berichtet. Eine didaktische Aufbereitung der Informationen für das Wissen ist dabei noch nicht inkludiert. Wer Forschungs- und Medienarbeiten kennt, weiß, daß es sich um mitunter jahrelange Vorlaufphasen handelt, bis ein gesichertes Wissen an die Öffentlichkeit dringt.

Wie kann man der Zeit "vorausbilden"? Wie kann man also junge Menschen auf eine Tätigkeit im raschen wirtschaftlichen Wandel vorbereiten?

Diese Fragestellung wird in Zeiten raschen Wandels zur Nagelprobe unserer Bildungspolitikergeneration. Sicher ist: nicht durch Anhäufung von Information allein. Soweit es sich gegenwärtig erkennen läßt, wird der Umgang mit Informationen, vielleicht auch das Wissensmanagement, eine Schlüsselqualifikation der Zukunft sein.

Die Lehrerausbildung, aber noch mehr die Weiterbildung der Lehrer, wird sich daher auf diese Anforderungen hin revolutionär ändern. Die Kooperationen mit der das Bildungswesen umgebenden Umwelt, vor allem der Wirtschaftswelt ist nicht nur eine Bringschuld, sondern auch eine Holschuld, die vom Schulwesen einzulösen wäre.

Ein Blickwinkel: die Wirtschaftswelt Die Äußerungen der Wirtschaft sind im Regelfalle so unterschiedlich und gegensätzlich wie die Wirtschaft selbst unterschiedlich sein muß, um ihr Überleben zu sichern. Zudem ist jede Unternehmerin und jeder Unternehmer zumeist in der Tagesarbeit so verhaftet, daß die "großen" wirtschaftpolitischen Themen und noch mehr die schul- und bildungspolitischen nicht Gegenstand ständiger Überlegungen sein können. Geklagt wird nicht selten über die gegenwärtigen und tagesaktuellen Unzulänglichkeiten und Probleme. Diese sind jeweils ernstzunehmen, weil sie die individuelle Lage der Unternehmerschaft wiedergeben. Einige Probleme aber, die die Berufseinsteiger betreffen, treten immer häufiger und nahezu gleichlautend in den Wortmeldungen aus Unternehmen auf. Es verdichtet sich etwa die Sichtweise in den Unternehmen (und das nicht nur bei der Unternehmerschaft, sondern auch bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Betrieben), daß der Übergang von der Schulzeit in die Berufslaufbahn zunehmend auf Seiten der Neueinsteiger Probleme bereitet. Absolventen besonders langer Bildungsgänge weisen dabei betriebsablaufstörende Desorientierungen auf, deren Behebung beiden Seiten (den Beschäftigten und den Neueinsteigern) große Anstrengung abfordert. Erwünscht wäre aus der Sicht der Betriebsangehörigen zum Beispiel: * Klarheit über die eigenen Vorstellungen von Arbeit, Aufstieg, finanzielle Ansprüche für die geleistete Arbeit; * realitätsnahe Einschätzung der eigenen Stärken und deren Nutzbarkeit für den betreffenden Betrieb; * Umgang mit Fremdbildern als Verhaltens-feed-back und Verwendung dieser Informationen für die eigene Arbeit; * Steigerung der Einfühlungsfähigkeit in die Lebenswelt anderer; * Fähigkeit, für andere Verantwortung zu übernehmen und andere zu motivieren: * Umgang mit der zur Verfügung stehenden Zeit; * Gut zuhören und mitteilen können; * neugierig sein und bleiben, weiterlernen wollen, nicht erst auf Anstöße dazu warten.

Die Flexibilisierung der Arbeitszeiten, die ersten Ansätze zu Teleworking und Telelearning, die Neuerungen in der Gewerbeordnung, die Veränderung der rechtlichen Bedingungen betreffend die Werkverträge sind Vorboten zu erwartender Umwälzungen, die jenen weniger Probleme bereiten werden, die sich auf das schmerzarme Verlassen wohlerworbener Rechte und Gewohnheitsrechte vorbereitet haben bzw. damit umgehen können.

Die beste Arbeitsplatzversicherung der Zukunft ist die Weiterbildung. Allerdings sind auch in der Weiterbildung die bisherigen Haltungen und Vorstellungen zu verändern und den Strömungen der Zeit anzupassen: * Weiterbildung wird nicht mehr den durchgehenden Charakter schulischer Veranstaltungen haben; * Weiterbildung wird sich mit der Tagesarbeit vermischen: arbeitend lernen und lernend arbeiten wird erfolgsversprechend sein; * die Lehrbeauftragten der Gegenwart werden Prozeßbegleiter sein, helfend eingreifen, wenn Informations- und Übungssequenzen empfehlenswert sind und die Leistungen kontrollieren usw.

* Mittel- und Kleinbetriebe werden zunehmend als Lernort bevorzugt werden, weil sie eine größere Betreuungskapazität durch die qualifizierten Beschäftigten anbieten können ; * Eigenvorsorge in der Weiterbildung geht vor Fremdversorgung. All die vielen Fördermaßnahmen, die mitunter nach sehr eigenwilligen Kriterien Gelder an bestimmte Personengruppen verteilen, werden endlich durchschaut werden. Die in den Vergabekriterien innewohnende Ungerechtigkeit bei der Mittelzuteilung wird erkannt werden.

Angst vor der Zukunft ist nicht der beste Wegbegleiter. Wer sich durch ständiges Bemühen an der Veränderungen der Zeit orientiert, wird vermutlich nicht so unglücklich unter die Räder kommen wie all jene, die die Umwälzungen nicht wahrnehmen wollen oder können.

Der Autor ist Geschäftsführer des Instituts für Bildungsforschung der Wirtschaft in Wien.

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