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Wirtschaft und Schule

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Unter diesem Titel hat die „Sozialwissenschaftliche Arbeitsgemeinschaft” in Wien I, Sonnen- felsgasse 19, eine überaus gründliche Studie veröffentlicht, aus der wir untenstehend die wichtigsten Gedanken wiedergeben. Die „Furche”

Wir leben in einer Kulturepoche, die von der Bewältigung der Probleme der Wirtschaft geprägt wird. Im Stadium der gegenwärtigen arbeitsteiligen Leistungskultur ist aber unbestritten festzustellen, daß das Wissen um die Ganzheit menschlicher Arbeitsleistung weitgehend verlorengegangen ist. Die Gefahr liegt nun darin: Ist ein Punkt erreicht, wo die Arbeit den arbeitenden Menschen nicht mehr befriedigt, weil er keine seelische Bindung mehr zu seiner Tätigkeit hat, dann ist der Sinn dieser Kultur selbst gefährdet. Eine der Hauptforderungen unserer Kulturepoche lautet daher, daß die Arbeit nicht vom eigentlich Menschlichen getrennt werden darf. Der Mensch müßte wieder eine seelische Beziehung zu-seiner Tätigkeit besitzen, vor allem nach der Richtung, daß er sich als Glied einer miteinander arbeitenden Gemeinschaft erleben lernt.

Steht fest, daß für das Gedeihen unserer Gesellschaft die enge seelische Verbindung des Arbeitenden zu seiner Tätigkeit wesentlich ist, dann zeigen sich für unsere Nachwuchsgeneration einige Gefahrenpunkte:

Erste Gefahr: Das Absterben des echten Berufswillens. An seine Stelle tritt ein nackter Erwerbswille. Die Gefahr wird dadurch vergrößert, daß die theoretisch freie Berufswahl in der Praxis nicht immer möglich ist. Von ihr sind besonders die Mittel- und Unterschichten der industriellen Gesellschaft (sehr summarisch gesagt, etwa die Schicht der Arbeiter und die Schicht der Angestellten und mittleren Führungskräfte) bedroht. Es wäre also gegen die Einstellung anzukämpfen, daß man die Arbeit nicht mehr als Dauerberuf und Berufung empfindet, sondern sie nur noch als „Job” ansieht.

Zweite Gefahr: Die heutige Gesellschaft setzt voraus, daß jeder seiner Aufgabe in ihr mit etwas Verständnis für den Gesamtzusammenhang nachkommt. Gerade in der Diskussion um das Problem .Wirtschaft — Schule wird der Mangel der Fähigkeit bei der Nachwuchsgeneration beklagt, sich die Lebensverhältnisse des Mitmenschen vorzustellen und sich für die gesellschaftlichen Zusammenhänge interessieren zu können. In der nüchternen gegenwärtigen gesellschaftlichen Wirklichkeit hat diese Fähigkeit immer mehr abgenommen. Ueberspitzt ausgedrückt wäre dies jener junge Mensch, der denkt, „mich geht nichts an als ich selbst”, und der für den Nachbarn kein Verständnis mehr aufzubringen vermag. Bednarik hat diesen Typ in „Der junge Arbeiter von heute” für die Arbeiterwelt dargestellt. Er mag für heute übertrieben haben, aber es ist nicht ausgeschlossen, daß es noch so kommen wird. Was hier für die Welt der Arbeiter gesagt ist, stellen Hochschulprofessoren auch beim durchschnittlichen Studententyp fest: Im Gegensatz zur Generation, die nach dem Krieg die Hörsäle bevölkerte, zeigt sich der Durchschnittsstudent wenig aufgeschlossen für Lebensformen, die anders sind als jene, in denen er selbst lebt.

Die dritte Gefahr ergibt sich aus der vorhergehenden: diese ausgeprägten „Individualisten” im schlechten Sinn wollen in der Gemeinschaft, und zwar von der kleinsten bis zur größten, keine verantwortliche Aufgabe mehr sehen. Solche Menschen sind aber weder im Betrieb noch im Staat brauchbar.

Kann nun die Schule überhaupt leisten, was angesichts der Gefahrenherde unserer Welt von ihr erwartet wird? Nämlich die Heranbildung eines Menschen, der die höchst komplizierte abendländische Kultur in richtiger Weise zu tragen vermag?

Wollen wir uns nicht selbst aufgeben, so müssen wir mit Ja antworten. Die Grundforderung der Wirtschaft an die Schule ist also: Das Schulwesen hat dem jungen Menschen für die selbstgewollte Mitarbeit an der gegenwärtigen Wirtschaft auszurüsten und ihm diese Mitarbeit als eine sittliche und soziale und nicht bloß vom reinen Nützlichkeitsstandpunkt getragene Aufgabe einzuprägen.

Neben dieser Grundforderung der Menschenbildung in der modernen Wirtschaft bestehen aber konkrete — weitgehende — wissensmäßige Aufgaben. Man gilt selbst heute vielfach noch als gebildet, auch wenn man sich in dem Getriebe unserer Wirtschaft nicht zurechtfindet. Der Mensch kann aber nur bestehen, wenn er den Bau seines eigenen Daseins einigermaßen durchschaut. Die der Schule hier gestellte Aufgabe ist freilich sehr schwierig, vielleicht so schwierig, daß ein völliges Ueberschauen unserer eigenen Welt erst auf der obersten Stufe unserer Bildungshierarchie, auf der Hochschule, erreichbar ist, während nach unten hin die Möglichkeit immer geringer wird. Trotzdem muß der junge Mensch von Anfang an und so früh wie möglich sehend und reif gemacht werden für die Welt, innerhalb der er zu leben und zu arbeiten hat, wobei natürlich die Mittel, den verschiedenen Altersstufen der jungen Menschen und den verschiedenen Schulstufen und Schultypen entsprechend, sehr verschieden sind.

Die Volks- und Hauptschule bereitet zwar nicht unmittelbar auf einen bestimmten Beruf vor. Doch ist es ihre Aufgabe, Lebenshilfen zu geben, die auch für die Arbeitsexistenz in der Wirtschaft unentbehrlich sind: Erziehung des Menschen zu Ehrlichkeit, Verantwortungsbewußtsein, gegenseitige Hilfsbereitschaft, Selbstinitiative u. a. Wirtschaftliche Tatbestände lassen sich zweifellos in allen Unterrichtsfächern verwerten. Erleichtert kann diese Aufgabe im Sinne der Wünsche der Wirtschaft werden durch eine Verlängerung der Schulpflicht, aber auch durch Schaffung von Tagesschulheimen.

Bei den Berufsschulen ist die Situation günstiger. Die Schüler sind bereits in das Berufsleben eingetreten. Eine Verfachlichung des Unterrichtes würde aber die Arbeit des Berufsschullehrers wesentlich erleichtern.

Es wird aber unmöglich sein, wirtschaftliche1 Tatbestände im Unterricht einzubauen, wenn nicht schon bei der Ausbildung der Lehrer und in der Lehrerfortbildung darauf Bedacht genommen wird. Die Wirtschaft selbst kann, insbesondere im Rahmen der Lehrerfortbildung, den Lehrern Einblick in ihren Ablauf gewähren. Die Kammern der gewerblichen Wirtschaft, die Kammern für Arbeiter und Angestellte und die Landwirtschaftskammern sollten in der Lage sein, die Bemühungen der Unter- richtsbehörden, die Fortbildung der Lehrer auch auf das wirtschaftliche Gebiet auszudehnen, zu unterstützen.

Was die Mittelschule betrifft, so erscheint die allgemeinbildende Mittelschule, auch vom Interesse der Wirtschaft her gesehen, keineswegs überholt. Im Gegenteil. Denn die grundlegende Bildung, die die Führungskräfte der modernen Wirtschaft brauchen, unterscheidet sich wenig von jener des Staatsbeamten, Lehrers, Rechtsanwaltes usw. Es geht auch nicht so sehr darum, den vorhandenen Fächern noch eines hinzuzufügen, doch müßte die Mittelschule im Rahmen der vorhandenen Fächer auch wirtschaftliche Bildung vermitteln. Das Problem ist zunächst eine Frage der Ausbildung der Mittelschulprofessoren. Die Aufgeschlossenheit des Mittelschullehrers gegenüber der Wirtschaftswelt von heute setzt auch eine Aufgeschlossenheit der Wirtschaft gegenüber dem Mittelschullehrer voraus. Die Pflege der Beziehungen zu den Mittelschulen müßte ein wichtiger Programmpunkt sowohl der Handelskammern, Arbeiterkammern und Landwirtschaftskammern als auch ihrer Gliederungen und der einzelnen Unternehmen sein.

Schließlich sei noch auf andere, die Beziehungen zwischen Wirtschaft und Schule betreffende Fragen hingewiesen.

Der ständig steigende Bedarf der Wirtschaft an Absolventen der mittleren technisch-gewerblichen Lehranstalten kann nicht mehr befriedigt werden. Die Schaffung von zusätzlichem Schulraum wäre daher dringend erforderlich.

Die überwiegende Zahl der Diplomingenieure der Technischen Hochschulen sind als Werkstätten-, Abteilungs- und Unternehmensleiter einen Großteil ihrer Arbeitszeit mit betriebswirtschaftlichen Fragen beschäftigt, ohne daß sie bis heute eine systematische Ausbildung hierfür erfahren. Eine bereits in den Technischen Hochschulen durchgeführte, für alle Studierenden obligatorische betriebswissenschaftliche Ausbildung erscheint daher höchst wünschenswert.

Umgekehrt wäre vielleicht eine enzyklopädische technische Ausbildung (vielleicht unter stärkerer Heranziehung der Lehrkanzel für Warenkunde und Technologie) für die Studierenden der Hochschule für Welthandel denkbar.

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