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Hauptschule — Lebensschule

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Im folgenden will ich nur einige brennende Fragen streiflichtartig beleuchten:

1. Unsere Hauptschule von heute hat vielfach ihre Tradition vergessen. Als sie der Gesetzgeber im Jahre 1927 an Stelle der alten 3jährigen Bürgerschule setzte, wollte er keineswegs einen neuen Untermitteltyp schaffen, sondern nur die alte Bürgermittelschule weiterbilden.

Die primäre Aufgabe der Schule, eine über die Volksschule hinausreichende abschließende Bildung zu gewähren und die Schüler für den Eintritt in das praktische Leben oder in Fachschulen vorzubereiten, blieb unverändert. Auch die Hauptschule wollte gleich ihrer Vorgängerin „Lebensschule“ bleiben. Es darf daher die sekundäre Aufgabe, besonders begabten Schülern den Uebertritt in die Mittelschule zu ermöglichen — praktisch ein äußerst seltener Fall! —, in den Vordergrund gerückt werden. Darum ist auch der Fremdsprachenunterricht im Sinne des Hauptschulgesetzes nur als nicht verbindlicher Gegenstand einzurichten. Es soll nach dem Willen des Gesetzgebers den Hauptschülern nur die Möglichkeit offenstehen, einen unverbindlichen Fremdsprachenunterricht zu besuchen. Es ist aber gesetzwidrig, wenn etwa der ganze 1. Klassenzug dazu verhalten wird, am Fremdsprachenunterricht teilzunehmen. Dies verstößt gegen den klaren Wortlaut und Sinn des Hauptschulgesetzes.

Um sehr viel wichtiger erscheint es mir, die Hauptschule als wirkliche Lebensschule zu gestalten. Das Versuchsfeld, der Gemüse- und Obstgarten, die Kleintierzucht sind im ländlichen Lebenskreis weitaus wichtiger als etwa „Englisch“. Hauswirtschaft, Kinderpflege, Anstandslehre sind fruchtbarer als ein Sprachunterricht, der von den Kindern als Zwang empfunden und von den Eltern zumeist nicht verstanden wird. Das Kind soll in seinem Lebenskreis bleiben, dann wird es auch nach Schulaustritt in diesen gerne zurückkehren.

Daß der praktische Lebensunterricht oft vernachlässigt wird, liegt wohl zum Teil darin begründet, daß es vielfach an Lehrkräften fehlt, die für den landwirtschaftlichen Unterricht, Hauswirtschaft u. dgl. besonders vorgebildet sind. Es müßte daher der Stoff der Lehrbefähigungsprüfung für Hauptschullehrer dahin revidiert werden, daß weniger Wissenschaft, aber dafür praktisches Bildungsgut Prüfungsstoff werde. Warum könnte zum Beispiel Landwirtschaftslehre nicht ein Prüfungsgegenstand werden?

Hier könnten im Verordnungswege alle Maßnahmen vom Bundesministerium für Unterricht getroffen werden, um die Ueber-führung der Hauptschule zur praktischen Lebensschule zu veranlassen.

2. Die Frage der Erweiterung der Schulpflicht ist schon vielfach in der Oeffentlichkeit erörtert worden. Da aber über die Einschaltung eines 9. Schuljahres ganz verschiedene Auffassungen bestehen, glaube ich nicht, daß es in absehbarer Zeit zu einer Einführung des 9. Schuljahres kommt. Hingegen besteht viel Verständnis und Aufgeschlossenheit für eine Weiterentwicklung unseres Berufsschulwesens. Wenn schon einzelne Länder die Berufsschulpflicht für die landwirtschaftliche Berufsschule eingeführt haben, wäre es nach meiner Auffassung möglich, eine solche in ähnlicher Form für die hauswirtschaftliche Berufsschule einzuführen. Die Schaffung einer zweijährigen Schulpflicht für die landwirtschaftliche und hauswirtschaftliche Berufsschule, jedoch nur auf die fünf Wintermonate beschränkt, würde einerseits unseren Arbeitsmarkt entlasten, anderseits unseren Landwirtschaften und Haushalten die jugendlichen Kräfte nicht allzulange entziehen. Besonders die hauswirtschaftliche Berufsschule mit dem klaren Bildungsziel der Vorbereitung auf die zukünftige Mutter und Hausfrau wäre für unsere heranwachsende weibliche Jugend ein Segen.

3. Die durch das Mittelschulges^tz 1927 geschaffenen vier Mittelschultypen scheinen der Jetztzeit nicht mehr zu ge-rügen. Wenn schon die damalige Mittelschulreform vom klassischen Bildungsideal der seinerzeitigen Mittelschule unter dem Zwang der Zeit einen bedeutenden Schritt ins praktische Leben getan hat, so müßte heute ein weiterer Schritt folgen. Wir können es uns als Kleinstaat nicht leisten, die Mittelschule nur als Vorbereitungsstätte für das Hochschulstudium zu belassen. Wie viele Schüler sind doch gezwungen, sofort nach der Matura ins Berufsleben zu treten! Dazu kommt, daß wir bereits heute ein großes Ueberangebot an Jungakademikern haben. Nichts ist aber für ein Staatswesen gefährlicher als das sogenannte „geistige Proletariat“. Die akademischen Studien verpflichten den Staat, dem Jungakademiker die Erlangung eines Berufes zu ermöglichen und die geistige Arbeit entsprechend zu honorieren.

Daher scheint es notwendig, schon dem Mittelschulabsolventen den Weg in das Berufsleben unmittelbar zu eröffnen. Ich kann mir vorstellen, daß die eine oder andere Obermittelschule Fachklassen mit Lehrwerkstätten führt, um dem Absolventen neben dem Abschlußzeugnis auch den Gesellenbrief ins Leben mitzugeben. Hier müßten sich einzelne Versuche gewiß lohnen.

4. Eine dringende gesetzliche Regelung erheischt die Schulaufsicht, Hier sind wir in der Zweiten Republik keinen Schritt vorwärtsgekommen. Es ist vielleicht gut so, um gerade diese Frage im Zeichen der Verwaltungsreform noch lösen zu können. Warum könnte dieser Verwaltungszweig nicht in mittelbarer Bundesverwaltung geführt werden, um so einen ganz gewaltigen Verwaltungsaufwand zu ersparen? Burgenland hat diese Lösung in der Ersten Republik auf sparsamste Weise vorexerziert, das Beispiel ist nachahmenswert. Um jedoch allen erziehungsberechtigten Faktoren (Kirche, Elternschaft, Lehrerschaft) ein Mitberatungsrecht zu gewähren, wären Schulbeiräte einzurichten (im Lande, im Bezirk, in Schulsitzgemeinden). Diese Lösung ist billig und gibt diesen Faktoren endlich die Möglichkeit, in der Verwaltung des Schulwesens mitzuwirken, während sie derzeit doch jedes Einflusses beraubt sind.

5. Eines der brennendsten Probleme ist die Regelung der Erhaltung unserer S ch u 1 e n, insbesondere unserer Pflichtschulen. Gerade auf diesem Gebiet hat eine österreichische NS-Gesetzgebung den früheren Zustand grundsätzlich umgestaltet. Während die Uebernahme des Personalaufwandes (Lehrerbezüge) durch das Reich vernünftig war, hat die Zerschlagung der bisherigen Schulgemeinden und die Einführung des Gastschulbeitragssystems auf der Sparte des Sachaufwandes zu völlig unklaren Rechtsverhältnissen geführt. Hier wieder eine klare, brauchbare Regelung zu schaffen, ist das Gebot der Stunde. Es kann nicht Aufgabe dieser Zeilen sein, den Weg im einzelnen zu weisen, der nach meiner Auffassung zum Ziele führt. Hierzu wäre eine eigene Abhandlung erforderlich. Jedenfalls kann die Entwicklung nicht dazu führen, den Ländern immer mehr an Personalaufwand und ihnen dazu noch eine Art Ausfallshaftung für den Sachaufwand aufzubürden. Zur Tragung der Sachkosten müßte wieder die Schulgemeinde gebildet werde % die hierzu in erster Linie berufen ist.

6. Ein besonders erfreuliches Zeichen unserer Zeit ist die große Schulfreundlichkeit der Länder und Gemeinden, wie sie in zahlreichen Schulbauten sichtbar wird. Seit dem letzten Kaiserjubiläum (1908) sind niemals so viele neue Schulen gebaut worden wie jetzt. So wurden in Niederösterreich allein mit Hilfe eines eigens dafür geschaffenen Schulbaufonds schon 86 neue Pflichtschulen und Landeskindergärten gebaut und 30 Bauten gehen ihrer Vollendung entgegen. In den übrigen Bundesländern ist es ähnlich. Vielleicht beweist nichts so klar den Kulturwillen unseres Volkes als die vielen neuen Schulanstalten. Diesen sichtbaren Aufbauwillen auf dem Schulsektor aufrechtzuerhalten, muß wohl eine unserer kulturellen Aufgaben bleiben.

7. Für eine gesetzliche Regelung ist bereits das Tor weit geöffnet: Für ein neues Bundeslehrerdienstgesetz. Da nur eine arbeitsfreudige Lehrerschaft die schwere Bildungs- und Erziehunzsaufgabe voll erfüllen kann, müßte gerade dieses Gesetz ehestens wirksam werden. Dies isfl rr'Mich, wenn beide Interessengruppen (Dienstgeber und Dienstnehmer) einen

Mittelweg suchen. Diesen zu finden, müßte schon Aufgabe der nächsten Monate sein.

8. Wenn Oesterreich seinen historischen Verpflichtungen nicht untreu werden will, darf es seiner ältesten humanistischen Bildungsstätten, der Stiftsgymnasien, nicht vergessen. Es muß Sache des ganzen Volkes sein, gerade diese ältesten Kultur-tiäger unseres Landes vor dem Verfall zu retten. Hierbei könnte durch Beistellung von Bundeslehrern als lebende Subventionen nicht nur diesen Schulanstalten, sondern auch dem Mittelschullehrernachwuchs geholfen werden.

Oft scheint es schwierig, gerade Schulfragen zu regeln, und doch können diese Probleme leicht gelöst werden, wenn man die Schule aus dem politischen Tagesstreit herausnimmt und sie im Sinne Maria Theresias eine Angelegenheit des ganzen Staatsvolkes und nicht eines engherzigen Parteiprestiges wird. Wenn wir nur das Wohl der österreichischen Jugend vor Augen haben, werden wir auch in der Schulfrage ein gutes Stück vorwärtskommen.

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