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Kampf um die Schulgesetze

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Iri elfer soeben erschienen Febriiar-Ausgabfe det „Academia", der Zeitschrift dės CartelltėfBandes der katholischen österreichischen Studehten- Vetbindtirigfen, veröffentlicht P. D. unter obigem Titel einen Aufsatz, der mit aller wüfischenswferten Klarheit den katholischen Standpunkt in den gegenwärtigen Parteienvefhäridlungen über die Schulfrage umteißt. Wir geben den bedeutenden Beitrag im folgenden auszugsweise wieder.

Die „Furche“

Die Konvention des EufoparätfeS, die durch zwölf Staaten äls Vertragspartner ratifiziett ist, sagt in Artikel 26, 3: „In erster Lihife haben die Eltern dis Recht, die Art dėt Et- ziehung zu bestimmen, die ihre Kinder gfe- nießen sollen.“ Das Zusätzprotokoll vom 20. März 1952, das von der beratenden Versammlung mit 75 Stimmen bei 23 Enthaltungen, aber ohne Gegenstimme als „Empfehlung“ beschlossen wurde, drückt dies noch deutlicher aus: ,,Das Recht auf Bildung darf niemandem verwehrt werden. Der Staat hat bei Ausübung der von ihm auf dem Gebiet der Erziehung und des Unterrichtes übernommenen Aufgabe die Rechte der Eltern zu achten, die Erziehung und den Unterricht entsprechend ihren eigenen religiösen und weltanschaulichen Ueberzeu- gürigen sicherzustellen.“ — Wir glauben nicht, daß man in Oesterreich wird neue Gesetze schaffen können, ohne diese Grundlinien europäischer Haltung in der Schuifrage zu berücksichtigen.

Wir wollen also kein staatliches Schulmonopol direkter oder indirekter Art in Oesterreich. Wir können aber auch nicht schweigen angesichts der Möglichkeit, chaotiseh gewordene Dinge endlich zu ordnen, Weil es bei ihnen Um die kulturelle Substanz unseres Volkes geht, die wir Akademiker in erster Linie wahrzunehmen haben.

Darum müssen wir 2urh Beispiel die: von der Gegenseite immer wieder präsentierte Einhfeitsmittfelschule ablehnen. Sie wäre eben riieht mehr das, was wir unter Mittelschule verstehen, sondern eine verlän gerte allgemeine Volksschule. Eine solche aber könnte der österreichischen Wissenschaft und deft wissenschaftlichen Berufen nicht mehr den erforderlichen NächWuchs liefern. Es ist durch die uferlose Verbreiterung der Mittelschule — und leider hat man oft auf die Zahl der Mittelschüler mehr Wert gelegt als auf ihre Qualität —- schon ZUviel gesündigt würden, worüber unsere Hochschulen ein Lied zu singen wissen. Der Ufebergarig zur Einheitsmittelschule für alle Kinder bestimmter Altersgruppen könnte nur rioch das Ende jeder Auswahl sein und müßte feinen weiteren Niveauverfall bringen, der nicht aufzuhalten wäre. Noch gilt die österreichische Schule, der österreichische Akademiker auf der Welt etwas, aber täuschen wir Uns nicht: Wir sind auf dem absteigenden Ast — nicht bloß der materiellen Beengtheit unserer Verhältnisse wegen!

Wir könnteft es auch nicht verstehen, wenn bei eitler Neuordnung nicht endlich die. Hauptschule wieder zu dem gemacht würde, was sie vernünftigerweise sein muß, eine gehobene und lebensnahe Form der Pflichtschule, aber keine Quasi-Mittelschule, in der män die Fiktion einer allgemein fremdsprachlichen Bildung festhält, in der mail algebraische Binome quadrieren lernt, aber die Grundrechnungsarten und die Rechtschreibung des Alltages nicht ausreichend erwirbt. Die Hauptschule muß auch endlich (von dem Trug der sogenannten „Klassenzüge“ befreit werden, die eine Bildung vortäuschen, welche eben nicht jeder bewältigen kann. Und ės muß schließlich wieder dazu kommen, daß die Zeugnisse dieser Schule einen ernsten Gradmesser darstellen, nicht aber so „frisiert“ sind (bestimmte Schulbehörden erzwingen das förmlich von den Lehrern), daß viele Unternehmungen die Abgänger der Hauptschule erst selbst überprüfen müssen. Wollen sozialistische Reformeiferer die Tatsache übersehen, daß sie damit stärkste Förderer der so bedauerlichen Arbeitslosigkeit sind? Wäre es nicht besser, wir könnten aus einer leistungsfähigen Hauptschule den Nachwuchs für eine intelligente Facharbeiterschaft heranziehen, an dem eS unserer Wirtschaft heute bereits fehlt? ’

tlnd schließlich haben wir jüngst aus der Tagesprfesse erfahren, daß die Frage der künftigen Lehrerbildung ein Gegen stand besonders weitgehender Wünsche der Sozialisten Und ein Schwerer Differenzpunkt ist.

Die ehemals vierjährigen Lehrerbildungsanstalten sind heute fünfjährige Schulen, sie haben auch Fremdspfachilhterrieht und besitzen seit einigen Jahfėn die volle Hoch schulreife. Es ist ein von allen Fachleuten gebilligter Plan, diese Anstalten zur besseren Bewältigung ihrer umfangreichen Bildungsaufgaben sechsjährigeinzurichten, wie dies bereits ein Gesetz aus dem Jahre 1937 Vorsah, Nun sollten diese bewährten berufsbildenden Schulen ihrer Aufgabe entzogen werden; die Ausbildung unserer Völksschüllehrer und -lehrerinrten aber würdet! nach den sozialistischen Plänen höch- schulmäßige Institute oder ähnliche Einrichtungen übernehmen. Die Lehrerbildung würde also in viersemestrigen Kursen und nicht in einem jahrelangen Bildungsgang erfolgen. Man kann sich Unschwer ausrhalen, welche Wendung därrtit vollzogen werden soll, denn es haben ja die sozialistischen Schulreformer Wiederholt ihren Einwand gegen die Lehrerbildungsanstalten ausgesprochen; sie seien irgendwie zu konservativ (ihi pädagogischen Sinn), sie brächten einen Lehrertypus hervor, der zuwenig „dynamisch“ eingestellt sei. — Wir wissen schon, was das heißen soll. Man möchte eben unsere Schulen noch viel radikaler reformieren, als däs schon biShėr geschehen ist, aber die besonnene Haltung großer Teile der Lehrerschaft bildete ein gewisses Hindernis. Nicht für einen gėsUHdėn pädagogischen Fortschritt! Eš ist doch Wirklich außer Zweifel, daß viele wertvolle Neuerungen auf schulischem Gebiet von Pädagogen stammen, die nicht dem Sozialismus zugehören. Aber jene radikale Einstellung, die aus dem Mangel einer eigenen klaren Weltanschauung den Dynamismus um seiner selbst willen fordert, hat in der österreichischen Lehrerschaft zum Glück kein bedingungsloses Gefolge gefunden.

Vielleicht spielt bei der Kampagne gegen die Lehrerbildungsanstalten auch die Erwägung mit, daß ein Teil derselben konfessioneller Art ist und etwa ein Viertel der Lehrerschaft dort ausgebildet wird.

Jedenfalls soll die R e v o 1 u t.i o n i e- rung unseres Bildungswesens da- mit an entscheidender Stelle vorgetrieben werden. Daher muß die bisherige Art der Lehrerbildung fallen. — Können wir aber ein solches Experiment riskieren, das zürh Beispiel in der benachbarten Schweiz energisch abgelehnt wird und dessen klägliche Ergebnisse in anderen Ländern kein Geheimnis sind? Wer-meint im Ernst, daß Oesterreich heute, da Wir um denwisse n schaf t- lichen Standard unserer Hochschulen kämpfen, in jedem Bundesland ein höchschulmäßiges Institut schaffen könnte, das als Stätte einer höherwertigen Berufsbildung an die Stelle unserer Lehrer- und Lehrerinnenbildungsanstalten treten dürfte? Wer glaubt an die Möglichkeit der raschen Errichtungvonneün. Hochschulinstituten pädagogischer Art (für jedes Bundesland eines), die etwas weit Besseres sein müßten als die jetzigen Bildungsanstalten? Wenn man aber dies alles nicht für unmittelbar realisierungsfähig hält, dann wäre es geradezu ein Verbrechen an der österreichischen Volkserziehung, unsere Lehrerbildungsanstalten zu zerstören und vielleicht solche fragwürdige Kurse svie die deutschen „Schmalspurhochschulen“ an ihre Stelle zu setzen — weil der Reformfanatismüs unserer Sozialisten Cs so Wüfischt, Oder soll vielleicht das Wiener Pädagogische Institut, diese Pflegestätte enthusiastischer „Auslžgėn- pädagogik“ und eirttr überspannten Individualpsychologie, die Stätte der künftigen Lehrerbildung werden?

So Wird fhafi also sehr ZU bedenken haben, um welche großen Entscheidungen es geht, wenn hė'Ue Schulgesetze zii schaffen sind.

Als in den Jahren 1947 und 1948 die politischen Parteien ihre Schülprogramme veröffentlichten, mußte es den aufmerksamen Beobachter sehr nachdenklich machen, daß sich in den Schulfragen die Forderungen der Sozialistischen Partei und der Kommunistischen Partei fast vollständig deckten: Verstaatlichtes Bildungswesen, Einhėitsmiftėl- schüle, „höchschulmäßige“ Lehrerbildung. Die letzte geistige Gemeinsamkeit dėt beide’fi marxistischen Gruppen wurde bei diesem Anlaß offenkundig. Hinter ihren Programmen steht der gleiche StaatsSöziallsmüS, der gleiche Kollektivismus und L aiži s m ü s. So handelt es sich denn um Welt mehr als bloße ÖrgahisätiOhSpröbleme öder pädagogische Geschmackšfragėh; ės geht darum, ob der abendländische Geist unsėfėš Bildungswesens gesichert oder Hoch weiter uhterböhlt werden Söll. Die kööstfükfive Lösung der Schulfrage, wie sie der Entwurf des Ministers Dr. Hürdes Vörsan, wird in ihren Grundzügen dūfčhžūsėtžėn šėlti, und nur die energische Willensäußerung aller Ersonnenen kann noch prinzipielle Entscheidungen und revolutionäre Experimente verhindern, deren AüswitfcungeÄ folgenschwer sein müßten!

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