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Zur Frage der Ausbildung der V olkssdiullehrer

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Die gesetzliche Regelung unseres Unterrichts- und Erziehungswesens, die von allen Beteiligten dringend gefordert wird, hat auch die Frage der Lehrerbildung zur Diskussion gestellt, wobei zum Teil recht verschiedene Auffassungen zutage getreten sind. Angesichts dieser Sachlage erscheint es zweckmäßig, auf das Für und Wider der bezogenen Standpunkte einzugehen.

Die heutige Form der Lehrerbildungsanstalten basiert auf dem Reichsvolksschulgesetz von 1869, das eine vierjährige Lehrerbildung vorsah. Nach 1886 wurde in einigen Anstalten auch eine Vorbereitungsklasse geführt. Seit 1945 ist die Lehrerbildungsanstalt durch Eingliederung des bis dahin nur fakultativen Vorbereitungsjahres ohne gesetzliche Grundlage allgemein fünfjährig geworden, jedenfalls aber eine mittlere berufsbildende Lehranstalt geblieben, obwohl ihren Abgängern auch der Zugang zur Hochschule ermöglicht wurde.

Dieser Zustand ist in mehrfacher Hinsicht unbefriedigend. Es ist schon ein Uebelstand, daß die 28 österreichischen Lehrerbildungsanstalten, von denen die Hälfte konfessionelle Privatschulen sind, viel zuviel Lehramtskandidaten ausbilden, die dann, trotz der erworbenen Hochschulberechtigung, begreiflicherweise doch zum Lehramt drängen. Ein weiterer Uebelstand ist die Doppelaufgabe, die den Lehrerbildungsanstalten jetzt aufgebürdet ist, nämlich in fünf Jahren die Mittelschulausbildung und gleichzeitig auch die Berufsausbildung zum Lehrer durchzuführen. Das ist eine allzu starke Belastung der Schüler mit Unterrichtsstunden und Aufgaben. Ungünstig ist es auch, daß es bei dieser Verquickung von zwei großen Bildungsaufgaben praktisch seht schwer ist, an sich lernfähige Schüler mit wenig Lehr- und Erziehungstalent rechtzeitig auf einen anderen Bildungsweg umzuleiten, weil erst im vierten Jahrgang der Lehrerbildungsanstalten die schulpraktischen Hebungen einsetzen. Zu diesem Zeitpunkt findet der wenig geeignete Schüler keinen Anschluß mehr an eine andere mittlere Lehranstalt.

Es ist auch eine Tatsache, daß in den Städten mit Mittelschulen jetzt die meisten, um nicht zu sagen alle lernfähigen Schüler in die Mittelschule geschickt werden Was jetzt in den großen Städten an besseren Schülern an der Hauptschule zurückbleibt, ist vor allem bei den Buben wenig, und gute Untermittelschüler verlassen nur aus praktischen Gründen die eingeschlagene Schulbahn, keinesfalls deshalb, weil sie sich zum Lehrberuf innerlich hingezogen fühlen, was mit 14 Jahren auch kaum erwartet werden kann. Dadurch ist die Auswahlmöglichkeit gegenüber früheren Zeiten besonders bei den männlichen Lehramtszöglingen immer geringer geworden, und die Anmeldungen zur Aufnahmsprüfung in die Lehrerbildungsanstalt gingen in den letzten Jahren kaum über die Zahl der vorhandenen Plätze hinaus. Maturanten von Mittelschulen aber können mit Rücksicht auf die in den zwei letzten Jahren durchzuführende eigentliche Lehrerausbildung vernünftigerweise nur in den vierten Jahrgang der Lehrerbildungsanstalten aufgenommen werden. Die Basis, auf der gegenwärtig die Volksschullehrerausbildung ruht, ist offenkundig zu schmal geworden, was sehr bedenklich ist. Ferner können die Lehrerbildungsanstalten in ihrer gegenwärtigen Organisationsform zur Ausbildung von Lehrern für andere Schularten nicht berangezogen werden. Sie können auch nur in bescheidenem Maße der Lehrerfortbildung dienen.

Das sind die Gründe, die eine Reform der Lehrerbildung notwendig erscheinen lassen. Nun herrscht zwar Uebereinstimmung über die Notwendigkeit einer Reform, aber hinsichtlich der Art dieser Neuorganisation gingen die Meinungen, wenigstens bis vor kurzem, weit auseinander.

Von der einen Seite wird vorgeschlagen, den bestehenden Lehrerbildungsanstalten ein weiteres Ausbildungsjahr zu geben und die nun sechsjährige Ausbildungszeit in zwei Teile zu teilen, in ein vierjähriges Unterpädagogium, dem die Allgemeinbildung mit abschließender Mittelschulmatura zufällt, und in ein zweijähriges Oberpädagogium, das die eigentliche Volksschullehrerausbildung zu besorgen hat. Ober- und Unterpädagogium sollen eine Anstalt bilden und unter einer Leitung stehen. Als Begründung für diesen Vorschlag wird in erster Linie geltend gemacht, daß in diesen Anstalten schon von der ersten Klasse an die Einstellung zum künftigen Lehrberuf gepflegt und ein entsprechendes Berufsethos und eine gewisse Heimatverbundenheit entwickelt werden kann. Ich glaube nicht irrezugehen, wenn ich annehme, daß bei dieser Stellungnahme das Vorhandensein von vierzehn konfessionell-katholischen Lehrerbildungsanstalten und deren besondere Erziehungsabsicht eine entscheidende Rolle spielt. Es ist aber auch richtig, daß in den derzeit bestehenden Lehrerbildungsanstalten tatsächlich eine gewisse berufsethische Grundeinstellung erzielt wifd, die in den anderen allgemeinbildenden Mittelschulen nicht erzielt werden kann. Es ist nur die Frage, ob es nicht möglich ist, dieses Berufsethos auch in einer vom „Unterpädagogium" losgelösten zweijährigen Lehrerausbildung bei Maturanten zu entwickeln, die sich mit 18 Jahren bewußt dem Lehrberuf züwenden. Im übrigen ist zu bedenken, daß beim Festhalten an der „seminaristischen" Lehrerbildung die genannten anderen Mängel nicht beseitigt werden können. Daher schlagen wir vor: Eine mindestens zweijährige theoretisch-praktische Lehrerausbildung an eigenen Bundeslehrerakademien, die den betreffenden Landesschulräten so wie die Bundesmittel- schulen unterstehen, und Zulassung von Absolventen aller Mittelschultypen, die die Eignung zum Lehrberuf besitzen und bei einer Aufnahmsprüfung ihre Fähigkeit für eine weitere Ausbildung in Musik, Gesang und Zeichnen nachweisen.

Voraussichtlich würde es nicht notwendig sein, in jedem Bundesland eine eigene Bundeslehrerakademie zu errichten. Die bestehenden Lehrerbildungsanstalten könnten in Reformrealgymnasien oder in einen neuen Typ von Mittelschulen, in „Sozialgymnasien" umgewandelt werden, die in ihrer geistigen Einstellung auf die Arbeit in sozialen Berufen hinlenken sollen, zu denen ja auch der Lehrberuf gehört. Dadurch würde auch die Möglichkeit erhalten bleiben, an einer besonderen Mittelschultype die ethische Einstellung zürn Lehrberuf zu entwickeln. Auf jeden Fall aber ist eine Schultype notwendig, in der der Lateinunterricht erst in der ersten Klasse der Oberstufe einsetzt, um tüchtigen Hauptschülern, vor allem denen in den Orten ohne Mittelschulen, den Anschluß an die höhere Bildung und damit auch den Zugang zur Lehrerbildung offenzuhalten. In den drei Universitätsstädten könnte eine Zusammenarbeit zwischen Hochschule und Lehrerakademie in der praktischen Ausbildung der Mittelschullehrer ins Auge gefaßt werden.

Durch eine solche Organisation der gesamten Lehrerbildung, i die csich nur noch auf Maturanten erstreckt,, die bei Nichteignung zum Lehrberuf in kürzester Zeit einer anderen Studienlaufbahn zugeführt werden könnten, wäre es auch möglich, die Lehrerausbildung für alle Schularten in einem viel höheren Maße zu intensivieren, als es bei einer fünf- oder sechsjährigen Volksschullehrerausbildung geschehen kann. Das wäre ökonomischer, würde Geld, Zeit und Kraft ersparen, die jetzt vielfach verschwendet werden, und es würden nach einer langen Ausbildungszeit nicht so viele Hoffnungen zerstört und so viel Erbitterung hervorgerufen werden müssen. Sechsjährige in sich geschlossene Lehrerbildungsanstalten würden. an diesem bedauerlichen Zustand nichts ändern.

Im Zusammenhang mit der neuen Form der Lehrerbildung muß auch ein leider weit verbreiteter Irrtum berichtigt werden. Gewiß ist eine über die Matura hinausgehende Ausbildung von Volksschullehrern an eigenen Akademien eine „akademische" Ausbildung. Aber in diesem Zusammenhang sollte von einer „hochschulmäßigen" Lehrerbildung in dem Sinne nicht geredet werden, daß an eine Anpassung der Volksschullehrerausbildung an den üblichen akademischen Vorlesungsbetrieb der Universitäten gedacht sein könnte. Das kann kein vernünftiger Mensch wünschen. Bei der ganzen Reform der Lehrerbildung wird eher an die Angleichung des praktisch-theoretischen Teiles auch der Mittelschullehrerausbildung, an die Methoden der allgemeinen Lehrerbildung unter ausreichender Zuhilfenahme von Uebungsschulen gedacht als umgekehrt1.

Es ist klar, daß der Entschluß, die hier vorgeschlagene neue Form der Lehrerbildung zu wählen, mehr Mut und mehr Phantasie erfordert als der Beschluß, an die jetzt bestehenden Lehrerbildungsanstalten unter einem neuen Namen ein Schuljahr anzuhängen. Im übrigen sei auch bemerkt, daß selbstverständlich allen gegenwärtig an den Lehrerbildungsanstalten wirkenden Lehrkräften die erworbenen Rechte weitestgehend Zu wahren wären.

Es ist anzunehmen, daß Absolventen der Lehrerakademien, die die praktische Befähigung zum Lehrberuf bereits erworben haben und sich zum Unterricht an mittleren Lehranstalten hingezogen fühlen, durch das Studium der entsprechenden wissenschaftlichen Fächer an den Hochschulen unter günstigeren Bedingungen als jetzt das Lehramtszeugnis für Mittelschulen erwerben können. Das hätte auch noch den Vorteil, daß die immerhin längere Zeit erfordernde wissenschaftliche Ausbildung zum Mittelschullehrer wenigstens auf dem gesicherten Einkommen des Volksschullehrers ruhen würde, ein Weg, den schon jetzt viele Volks- und Hauptschullehrer unter weit schwierigeren Bedingungen gegangen sind. Das ist auch der einzige Weg, der es ermöglicht, die bedauerliche Kluft zwischen dem Beruf als Pflichtschullehrer und dem des Mittelschullehrers zu schließen und zu einer graduierten Einheit des Lehrstandes und seiner Arbeit hinzuführen.

Wenn eine grundlegende Reform der Lehrerbildung durchgeführt werden soll, dann ist für sie gerade jetzt der geeignete Zeitpunkt. Der Bedarf an Lehrern aller Schularten wird in den nächsten Jahren gering sein, und dadurch ist die Möglichkeit gegeben, die neue Lehrerbildung in engerem Rahmen sorgfältig aufzubauen.

i Vgl. Dr. L. Zechner, „Zum Problem der Auslese für den Beruf des Mittelschullehrers". „Oester- reichische Hochschulzeitung" vom 15. März 1954.

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