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Maturant und Geselle

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Für manche private Erziehungsangebote muß man sich früh entscheiden. Um zum Beispiel in der ersten Volksschulklasse der französischen Schule in Wien mithalten zu können, muß man schon in einem eigenen Vorschuljahr sprachliche sowie Lese-und Schreibkenntnisse erworben haben.

Viele Wiener Familien schicken ihre Kinder in das Lycee francais de Vienne, weil schon in der Vor-und Volksschule der Grundstock für gute französische Sprachkenntnisse erworben wird; Vierzehnjährige, die in eine österreichische AHS überwechseln, reden meist für den Rest ihres Lebens ordentlich Französisch.

Aber die Lycee-Einschreibung bedeutet auch die Entscheidung für ein Schulsystem mit hohen Leistungsnormen, strikter Leistungsbewertung nach dem französischen Punktesystem, starker Präferenz der naturwissenschaft-lichen und sprachlichen Fächer gegenüber dem Musischen und straffer Autorität.

Dank vieler Prüfungsarbeiten und Tests können „Flecke” und Leistungstiefs durch vermehrte Anstrengung ausgebügelt werden, das große Zittern vor der einen entscheidenden Arbeit entfällt. Lycee-Absolventen haben die Universitätsreife für Österreich und Frankreich, denn das Lycee ist eine französische Schule mit französischen Lehrern und Unterrichtssprache auf österreichischem Boden mit österreichischer Schülermehrheit. Letztere erhält den Unterricht in Deutsch, Religion und österreichischer Geschichte und Geographie durch österreichische Lehrer in deutscher Sprache. Alle Matura-Prüfungen werden vor den Schülern bis dahin unbekannten Prüfungskommissionen abgelegt.

Das Lycee hat übrigens die freigewordenen Räume der Wiener International School in der Grin-zinger Straße übernommen, dort ist seither die Vorschule und auch der schon für Dreijährige zugängliche französische Kindergarten untergebracht.

Die International School ist keine Schul-Alternative. Sie ist nur für Kinder mit englischer Muttersprache da, die wenigen Österreicher haben ihren Schulbesuch im Ausland auf Englisch begonnen bzw. werden wieder ins Ausland zurückgehen.

Kaum weniger interessant als eine Erziehung in einer fremden Sprache ist die vom Werkschulheim Felbertal in Ebenau angebotene Kombination einer AHS mit einer Handwerkslehre. Während aber das Lycee ein Halbinternat ist, ist Felbertal Vollinternat mit Heimfahr-Möglichkeit an jedem zweiten bis dritten Wochenende. Die Absolventen maturieren erst mit 19 Jahren, dafür nehmen sie neben dem Maturazeugnis den Gesellenbrief als fertige Tischler, Maschinenschlosser oder Radiomechaniker ins Leben mit. Das bedeutet Praxisbezogenheit und einen großen Startvorteil.

Das Werkschulheim ist aus der Pfadfinderbewegung hervorgegangen und zählt zu den Privatschulen, die sich eindeutig zu christlichen Grundwerten bekennen. Wer sich für diese Schule interessiert, kann ihr Anfang Juni einen dreitägigen Schnupperbesuch abstatten, bei dem auch die manuelle Begabung des Interessenten beschnuppert wird. In der Unterstufe wird eine handwerkliche Vorschulung vermittelt, die eigentliche Lehre beginnt in der 5. Klasse.

Aber auch eine Schule mit so klarem Image wie das Schigymnasium in Stams bietet echte pädagogische Alternativen. Auch in diesem Oberstufen-Gymnasium wird erst mit 19 Jahren maturiert (die Handelsschule dauert vier Jahre), um die Forderungen der Schule und des Sports in der knappen Zeit unterzubringen. Die Schüler erwartet ein zur Selbständigkeit erziehendes, dem Universitätsbetrieb ähnelndes System, in dem jeder gemeinsam mit dem Studienberater, der die Rolle des Klassenvorstandes spielt, selbst seine Lernziele und Prüfungstermine festlegt. Nur so lassen sich Trainings- und Renntermine mit den schulischen Erfordernissen vereinbaren.

Natürlich haben nur besonders gute Schifahrer Aufnahmechancen. Viele Absolventen studieren Sport in Verbindung mit einem zweiten zum Lehrberuf qualifizierenden Fach. Wie im Werkschulheim produziert die doppelte Belastung auch hier keineswegs mehr Ausfälle. Ebenau registriert sogar Durchhalte-Rekor-de.

Auch die Wiener Sängerknaben haben eine Schule, die sich ihren Tourneeplänen anpaßt und in Klassen mit höchstens zehn Kindern aufholt, was bei Auslandsreisen versäumt wird. Entsprechend dem Zeitraum zwischen Eintritt und Stimmbruch hat diese Schule zwei Volksschulklassen mit und vier Unterstufen-Gymnasialklassen ohne öffentlichkeitsrecht, hier überprüfen Kommissionen den Schulfortschritt. Der Ubertritt in eine zur Matura führende öffentliche Schule eigener Wahl ist reibungslos möglich.

Direkt berufsbezogen sind die Höheren Lehranstalten für Fremdenverkehrsberufe. Von den Vil-lacher Schülern zum Beispiel werden 60 Prozent elterliche Betriebe übernehmen. In der ebenfalls fünfjährigen Oberstufen-Lehranstalt (es gibt auch die dreijährige Hotelf achschule) nutzt jeder das Freifach Italienisch, aber niemand die Möglichkeit, das Latinum zu erwerben. Die Absolventen verlassen die Schule mit Matura und Lehrabschluß als Kellner, Koch, Gastgewerbe- und Reisebüro-Assistent.

Die Modeschule Hetzendorf führt zwar nicht zur Matura, eröffnet aber in fünf Jahren (ab 14) jungen Menschen mit Färb- und Formgefühl, räumlichem Vor Stellungsvermögen und modischer Phantasie gute Chancen auf die interessanteren Jobs in den Modebereichen. Acht Burschen unter 200 Mädchen verstehen sich als Vorhut.

Das Bild der privaten Angebote besonderen Charakters wäre unvollständig ohne die Waldorfbzw. Rudolf-Steiner-Schulen. Dem Menschenbild Rudolf Steiners verpflichtet, erziehen sie zur Selbständigkeit und fördern die Phantasiekräfte. So mancher Künstler und Architekt ging aus ihnen hervor, obwohl sie nicht mit der Maturaprüfung enden; auf sie müssen sich Studien-Interessenten anschließend an einer Maturaschule vorbereiten.

Es gibt an diesen Schulen keine Noten, keine Prüfungen, kein Sitzenbleiben, dafür sehr viel praktisch-künstlerischen Unterricht etwa im Schnitzen und Tischlern. Eigenes Denken und Arbeiten wird gefördert. Die Absolventen gelten als besonders kreativ.

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