Auf Umwegen zur Reife

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Paul war ein guter Schüler. Doch der Schulalltag im Sportgymnasium hat immer weniger Zeit für das Fußballtraining gelassen.

Weil man selbst entscheiden kann, wann man zu Prüfungen antritt, muss man in einer privaten Matura-Schule eigenständig und zielstrebig arbeiten. (K. Stummvoll)

Weil Annas Vater weiß, dass sie hier, anders als früher, viel weiterbringt, zahlt er das Schulgeld gern. Auch der Stress mit den Schulkameraden fällt weg.

Es ist Viertel neun in der Früh. Eine Schulglocke läutet schrill: Unterrichtsbeginn in der Maturaschule Dr. Roland in Wien-Neubau. Anna (Name von der Redaktion geändert) packt ihr Handy in die Tasche und steuert ihre Klasse an. Seit knapp zwei Jahren ist die 19-Jährige hier Schülerin. Davor hat sie ein Gymnasium im vierten Bezirk in Wien besucht, ist dort aber in mehreren Fächern durchgefallen und musste eine Klasse wiederholen. Doch auch dann blieb der Schulerfolg aus. Dazu kam, dass sie von den anderen gemobbt wurde. "Hier wollte ich einfach nicht mehr bleiben", erzählt Anna. Mitten im Sommersemester der sechsten Klasse brach sie das Gymnasium ab und wechselte zu Dr. Roland -einer von fünf privaten Maturaschulen in Wien.

Eigenständigkeit gefordert

"Wir bereiten heuer über 1400 Schüler auf die AHS-Matura und die Berufsreifeprüfung vor", sagt Geschäftsführer Matthias Roland (siehe Interview unten). Nicht nur für ihn liegen die Vorteile gegenüber dem Regelschulwesen auf der Hand -auch für Karin Stummvoll, Geschäftsführerin der Humboldt Matura-Schule, wo derzeit über 200 Schülerinnen und Schüler entsprechende Vorbereitungskurse besuchen. "In einer Maturaschule sind alle Schüler freiwillig. Sie arbeiten im Team und kommen dadurch auch leichter voran", meint Stummvoll. Weil man selbst entscheiden könne, wann und in welcher Reihenfolge man für Prüfungen lerne und zu diesen antrete, müsse man aber auch eigenständig und zielstrebig arbeiten. "Als Externist die Matura abzulegen, ist also nicht einfacher als im Regelschulwesen -nur anders."

Für Anna war dieses "anders" zentral. "Latein ist heute mein Lieblingsfach. Das war früher nicht so", erzählt sie. Ihr Interesse daran habe ihr Lehrer an der Maturaschule geweckt, der sie gemeinsam mit den anderen in ihrer Klasse auf die kommissionelle Maturaprüfung vorbereitet. Die Hauptfächer Mathematik, Deutsch, Englisch, Latein oder Französisch werden jeden Tag bis zur Matura unterrichtet -in Kursen am Vormittag, Nachmittag oder Abend. Die Nebengegenstände kommen nacheinander und geblockt an die Reihe.

Aus acht verschiedenen Lehrplänen können AHS-Externisten in Wien derzeit wählen, meist orientiert sich der Unterricht am Lehrplan eines Oberstufenrealgymnasiums. Zuerst muss man freilich beim Externistenprüfungsreferat des Wiener Stadtschulrats ansuchen -Voraussetzung dafür ist der positive Abschluss der achten Schulstufe. Im Anschluss erhält man ein Dekret, in dem die erforderlichen Zulassungsprüfungen sowie Maturafächer aufgelistet sind. Dann kann man loslegen. Der Besuch eines Vorbereitungslehrgangs ist dafür aber nicht zwingend; auch im Selbststudium kann man sich den Stoff aneignen.

Grundsätzlich müssen Externisten pro Fach eine Prüfung ablegen, wobei sich der Prüfungsstoff über die nicht-absolvierten Schulstufen erstreckt. Am Ende werden alle Externisten vor einer so genannten Externistenprüfungskommission an einer öffentlichen Schule geprüft -in Wien finden sich diese an vier Schulstandorten.

Zu wenig Zeit für Training

Wie viele Personen jedes Jahr zur Externistenmatura antreten, ist indes nicht zu klären. "Darüber führen wir keine Statistiken", heißt es aus dem Wiener Stadtschulrat. Die Ansuchen um Zulassung seien aber gestiegen. Auch im Bildungsministerium gibt es keine Zahlen. Insgesamt steht man dem Externistenprüfungswesen aber positiv gegenüber: Es stelle "eine wichtige Säule des österreichischen Bildungswesens dar", weil das Nachholen eines Bildungsabschlusses die Durchlässigkeit und Chancengerechtigkeit erhöhe. Dass Matthias Roland die externe Matura als Erfolgsrezept gilt, überrascht indes nicht. "Die Zeit für die Ausstellung der amtlichen Zulassungs-Bescheide muss sich aber verkürzen", meint er. Auch brauche es mehr kommissionelle Prüfungstermine.

Bei Paul wird es schon im Herbst so weit sein. Zwei Prüfungen fehlen ihm noch; die vorwissenschaftliche Arbeit, die ab Herbst auch für alle Externisten -wie für alle "Zentralmaturanten" im Regelschulwesen - vorgeschrieben ist, hat er schon fertig: "Aggressionen im Profisport" lautet der Titel. Bis vor einem Jahr hat der 19-Jährige, der in der zweiten österreichischen Fußballliga kickt, ein Wiener Sportgymnasium besucht. Er war ein guter Schüler, doch der Schulalltag hat ihn belastet und immer weniger Zeit für das Training gelassen. War er im Ausland, konnte er längere Zeit nicht am Schulunterricht teilnehmen und musste oft den Stoff nachholen, wofür ihm aber wieder die Zeit fehlte. Seit über einem Jahr ist Paul nun Maturaschüler. Die Vorteile des Externistensystems sieht er darin, dass er sich auf jeden Gegenstand individuell vorbereiten kann und nicht immer am Unterrichtsgeschehen teilnehmen muss. Ob eigenständig lernen oder sich für Prüfungen anmelden -Paul muss sich freilich all das selbst organisieren. "Hier liegt es ganz allein an dir, ob du die Matura schaffst oder nicht", sagt er.

Berufsreifeprüfung als Alternative

Für Melanie wird es erst in knapp zwei Jahren ernst. Da der 20-Jährigen für die AHS-Matura die nötigen Schuljahre fehlen, hat sie sich für die Berufsreifeprüfung entschieden. Auch sie ermöglicht (anders als eine bloße Studienberechtigungsprüfung) die uneingeschränkte Zulassung zu allen Studien; anders als eine AHS-Matura bietet sie aber keine umfassende Allgemeinbildung. Der Entschluss, diesen Weg zu beschreiten, "reifte" bei Melanie in den vergangenen Jahren. "Ich habe in der Gastronomie gelernt, möchte aber die Branche wechseln und Human Ressources studieren", erzählt sie. Seit einem Monat drückt sie wieder die Schulbank. Auf die Prüfungen in Mathematik, Deutsch, Englisch und Buchhaltung sowie Kostenrechnung wird sie an der Humboldt Maturaschule vorbereitet. Zur Berufsreifeprüfung antreten wird sie an der Vienna Business School am Hamerlingplatz in Wien. Wieviele es ihr gleichtun, wird im Unterschied zur Externistenmatura im Bildungsministerium zentral erfasst: Pro Jahr sind es österreichweit rund 3000 Personen (meist Lehrlinge).

Die Pausenglocke läutet. "Ich hole mir noch schnell einen Kaffee", sagt Anna. Ihr ist bewusst, dass das Schulgeld an der Maturaschule hoch ist. 338 Euro beträgt es bei Dr. Roland monatlich, wobei man sozial Schwächeren entgegenkomme und die Höhe vom regelmäßigen Schulbesuch abhängig sei, wie man versichert. Anna jedenfalls wird nach wie vor von ihren Eltern unterstützt. Weil ihr Vater weiß, dass sie hier im Gegensatz zu früher viel weiterbringt und zielstrebig ist, zahlt er gerne. Hier könne sich seine Tochter auf die Fächer und Prüfungen besser konzentrieren, sagt er, auch der Stress mit den Schulkameraden falle weg. "Hier wird Wissen vermittelt - nicht mehr und nicht weniger."

Anna selbst würde jedenfalls nicht an ihre alte Schule zurückkehren, dieser Lebensabschnitt liegt hinter ihr. Im Februar tritt sie zur Matura an. "Ich zähle heute schon die Monate bis dahin", sagt die 19-Jährige. Noch muss sie einiges schaffen, unter anderem ihre vorwissenschaftliche Arbeit im Fach Musik. "Danach möchte ich Instrumental-und Gesangspädagogik an der Musikuniversität Wien studieren", erzählt Anna. "Davon träume ich heute schon."

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