Schulwahl ist kein Autokauf

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Österreichs Schülerinnen und Schüler erhalten demnächst ihre Zeugnisse - viele von Schulen,in die sie eigentlich nicht passen. Über die Qual der Schulwahl aus Elternperspektive.

Werner Z. hatte keine andere Option: Es war die letzte Schule, die noch für seinen Sohn infrage kam, die letzte Chance, eine Lernheimat zu finden für diesen schwierigen jungen Menschen. "Er hat uns von Geburt an immer an unsere Grenzen geführt“, erzählt der 47-jährige Vater, der seinen richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen will. "Jeder hat ihm attestiert, hochintelligent zu sein, aber er hat sich nie ins System gefügt.“

Eine Eigenschaft, die dem Burschen, nennen wir ihn Philipp, eine Odyssee durch die Wiener Schullandschaft bescheren sollte. Schon in der Volksschule machen disziplinäre Probleme einen Schulwechsel nötig. Nach der vierten Schulstufe fassen Philipps Eltern ein öffentliches Gymnasium ins Auge; doch nachdem es den Jungen wegen seines Notendurchschnitts ablehnt, fällt die Wahl auf eine katholische Privatschule. Spätestens in der dritten Klasse kulminieren die Schwierigkeiten: Philipp verliert zusehends den Anschluss und stört den Unterricht. Als eine Psychotherapeutin bei ihm eine "Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung“ (ADHS) diagnostiziert und Psychopharmaka verschreibt, bessert sich die Situation - bis der Pubertierende der Faszination des Computerspiels erliegt und die achte Schulstufe mit einem "Nicht genügend“ beendet. In ihrer Verzweiflung wählen die Eltern eine Informatik-Fachschule für ihren Sohn. "Doch dort hat das Desaster erst richtig begonnen“, erinnert sich Werner Z. Bereits im Halbjahreszeugnis kassiert Philipp acht "Nicht genügend“.

Großeltern als Sponsoren

Es ist jener Moment, als die "w@lz“ den Eltern als letzter Ausweg erscheint. Schon einmal ist die Privatschule mit Öffentlichkeitsrecht im 14. Wiener Gemeindebezirk auf ihrem Radarschirm aufgetaucht, doch angesichts jährlicher Kosten von bis zu 10.000 Euro hat man den Gedanken daran schnell verworfen. Nun aber ist der Leidensdruck so groß, dass sich Philipps Großeltern bereit erklären, als Sponsoren einzuspringen.

Seitdem ist ihr einstmals renitenter Enkel nicht mehr wiederzuerkennen. "Philipp ist förmlich aufgeblüht“, freut sich sein Vater, "er wirkt zufrieden, umgänglich und hat Freunde.“ Statt "Nicht genügend“ bringe der 16-Jährige heute eher Zweier nach Hause. "Offenbar hat er seinen Platz gefunden.“

Es ist ein Platz, der für Charaktere wie Philipp maßgeschneidert scheint: Statt prüfender Lehrer gibt es Mentorinnen und Mentoren, die ihre Jugendlichen individuell unterstützen und sie auf ihre Prüfungen am BORG Wien-Landstraße vorbereiten; statt fünfzigminütiger Unterrichts-Happen gibt es geblockte Vertiefung in ein Fach; und statt Sessel-Kleberei gibt es Projekte und Auslandsaufenthalte - ganz nach dem Vorbild der "Walz“, der früher üblichen Gesellenwanderung. "Wir sind nicht die Schule für die Welt“, relativiert Renate Chorherr, die selbst begeisterte Ursulinen-Schülerin war, Englisch und Geschichte studierte und nach einem Schwenk zur Waldorfpädagogik 2000 die "w@lz“ ins Leben rief. "Die Jugendlichen, die zu uns kommen, müssen schon ein bisschen unkonventionell sein.“

Sie müssen bereit sein, unter Planen am Kamp zu schlafen, in der Schweiz bei Forstarbeiten mitzuhelfen oder in der Toskana kreativ zu werden. Und sie müssen intellektuell imstande sein, den geblockten Stoff eines Faches aus zwei Schuljahren zu bewältigen. Gute Noten mitbringen müssen sie nicht zwingend: Wie wenig aussagekräftig Zeugnisse sind, hat die Schulleiterin hundertfach erlebt. Ebenso wenig wie die Zensuren seien auch die zur Wahl stehenden Schulen zu vergleichen: "Ich würde mir die Standorte und Lehrkräfte einfach anschauen“, rät sie. "Diese Mühe müssen sich Eltern machen. Schulwahl ist ja kein Autokauf.“

Österreichs Mütter und Väter haben das wohl immer schon geahnt: Sie haben sich mit anderen Eltern ausgetauscht, "Tage der offenen Tür“ besucht, Homepages durchforstet oder sich dank Orientierungshilfen wie dem Wiener Schulführer ( www.schulfuehrer.at) einen Überblick verschafft. Und dennoch haben nicht wenige von ihnen mutmaßlich falsch entschieden. "Im Rahmen von PISA 2009 sind die Interessen der 15- bis 16-Jährigen mit den Schwerpunkten der Schulen, die sie besucht haben, verglichen worden“, erzählt der Salzburger Erziehungswissenschafter Ferdinand Eder im FURCHE-Gespräch. Vor allem an den berufsbildenden mittleren und höheren Schulen sei das Ergebnis ernüchternd gewesen: Bei nur 20 bis 30 Prozent der Schüler hätten sich die persönlichen Interessen mit dem jeweiligen Schulprofil gedeckt. Die Jugendlichen selbst hätten freilich nur zu 15 bis 20 Prozent angegeben, sich in der falschen Schule zu fühlen: "Diese Diskrepanz ist dadurch erklärbar, dass das Urteil der Schülerinnen und Schüler stark vom Erfolg und der sozialen Einbettung abhängt“, weiß der Forscher. "Hier gibt es dasselbe Phänomen wie im Berufsleben: Sehr viele Menschen üben Tätigkeiten aus, die sie nicht besonders mögen. Sie sind aber zufrieden, weil die Arbeitsumgebung und das Gehalt passen.“

Um die Schulwahl treffsicherer zu machen, wünscht sich Eder jedenfalls einen Ausbau "objektivierter Beratung“, bei der die Interessen und Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler von Experten diagnostiziert werden. "Eltern sind zwar liebevolle, aber nicht immer die besten Berater ihrer Kinder, weil sie immer auch eigene Interessen haben“, so Eder. Meist würden Familien versuchen, ihr Kind in jenem Milieu zu halten, in dem sie sich selbst befinden. Das führe bei Kindern aus Oberschichtfamilie oft zur Über- und bei Kindern aus Unterschichtfamilie nicht selten zur Unterforderung.

Alles nur Gefühlssache?

Wie eigennützig Eltern bei der Schulwahl auch agieren mögen: Dass es derzeit zu wenig Beratung und objektive Testmöglichkeiten gibt, wird auch von Theodor Saverschel beklagt. Als Präsident des Bundesverbands der Elternvereine an mittleren und höheren Schulen Österreichs plädiert er dafür, Mütter und Väter ehestmöglich über das Abschneiden ihres Kindes bei den Bildungsstandard-Tests in der vierten Schulstufe (siehe Seite 22) zu informieren, um die Schulwahl nötigenfalls überdenken zu können. Das zuständige Bundesinstitut BIFIE rückt diese Hoffnung freilich in weite Ferne: Schließlich würden die Bildungsstandards erst Ende Mai erhoben, ein Zeitpunkt, zu dem die Schulwahl meist getroffen sei. Auch die Veröffentlichung gesamtschulischer Ergebnisse bei den Tests der achten Schulstufe würde den Eltern kaum weiterhelfen: "Ein Blick auf Mittelwerttabellen würde ihnen wohl wenig bringen“, meint die Leiterin des BIFIE-Salzburg, Claudia Schreiner. "Schulwahl ist und bleibt eben auch Gefühlssache.“

Nicht zuletzt braucht es auch ein Quäntchen Glück: Dass etwa Philipp heute in der "w@lz“ so gut mit seinem Mentor harmoniert, ist laut Vater Werner Z. ein Geschenk des Himmels. Ob auch seine jüngere, pflegeleichte Tochter Nina hier so gut aufgehoben wäre, spukt ihm indes noch im Kopf herum: "Momentan glaube ich, dass diese Schule für alle Kinder das Beste wäre. Aber wie lange es noch Großeltern gibt, die das alles zahlen können, sei dahingestellt.“

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