6994189-1987_03_15.jpg
Digital In Arbeit

Trocken, kindisch, umständlich

Werbung
Werbung
Werbung

Mit dem Wandel der Zeit ändern sich auch die Ansprüche an das Schulbuch. Ein Blick auf die Entwicklung der Schulbücher zeigt, daß sich unbestechliche moralisch-pädagogische Verantwortung erst langsam durchsetzen konnte. Daß die Ubereinstimmung des Schulbuches mit dem Lehrplan und Lehrstoff, mit didaktisch-methodischen Grundsätzen und wirtschaftlichen

Aspekten schwierig ist, bezweifelt niemand. Daß aber die Bedürfnisse all jener, für die das Schulbuch in erster Linie gedacht ist, am wenigsten berücksichtigt werden, gibt zu denken — auch den befragten Schülern.

Auffallend ist die einhellige Kritik der vierzehn- bis achtzehnjährigen Gymnasiasten an den Geographiebüchern, die vielfach längst veraltete Daten enthalten, wie etwa das Arbeitsbuch 4 von Hilmar Fördermayr und Rudolf Krenn. Aktualität wird vermißt. Angst und Einsamkeit sowie wichtige Erfahrungsbereiche der

Schüler wie beispielsweise Familie, Sexualität, Freizeit und Arbeitsplatz werden zuwenig oder zu oberflächlich behandelt.

Die interessierten Berufsschüler suchen in ihrem Buch für „Politische Bildung“ vergeblich nach einem Hinweis über die Möglichkeit des Zivildienstes, obwohl bereits am 6. Februar 1974 ein Bundesgesetz darüber erlassen wurde. Lehrling Peter sieht in dieser Tatsache eine beunruhigende gesellschaftliche Tendenz; seine Auffassung vom vielzitierten Pluralismus ist irritiert.

Bedauert wird auch, daß die Probleme der Gegenwart „kein Thema“ sind. Die „heile Welt in Österreich“ geistert unheilvoll, weil „unwahr“ nach wie vor durch die Geschichte- und Sozialkundebücher — wohl im Vertrauen auf das mangelnde Urteilsvermögen des „unreifen Lesers“.

Daß Kinder und Jugendliche hierin vielfach unterschätzt werden, beweist Katja, Schülerin der vierten Klasse einer Allgemeinbildenden Höheren Schule. Sie empfindet ihr Deutscharbeitsbuch seitenweise geradezu als Hohn. Unter der Uberschrift „Sprachliches Gestalten“ findet sich ein Dialog, der in sehr ähnlicher Form bereits in den unteren Klassen angeboten wurde... „Unecht, wie für Volksschüler, so redet kein Mensch, lächerlich“, ist ihr Kommentar.

Bernhard wieder, sechzehnjähriger Berufsschüler, hat Schwierigkeiten mit seinem Warenkunde-Buch. „Zu wenig Information, zu unübersichtlich, zu umständlich erklärt“, beschwert er sich und bekennt: „Beim Lesn von so an Biachl kumm i ma oft vua wia a Trottl.“

Die große Schwester eines Buben aus der ersten Klasse Hauptschule macht auf folgende Beschreibung elterlicher Aufgaben im Einführungsheft zu „Zeiten, Völker und Kulturen“ aufmerksam: Die Eltern „müssen durch die Arbeit in ihrem Beruf Geld verdienen, um die Familienmitglieder zu erhalten. Sie müssen aber auch die Kinder erziehen und dafür sorgen, daß sich alle wohl fühlen“. Mit dieser sterilen Formulierung wird die Familie als Hort freudloser Pflichterfüllung dargestellt, die weder ein Gefühl von Wärme noch Geborgenheit aufkommen läßt und das Elterndasein beinah als Schicksalsschlag vor Augen führt.

Trockene Abhandlungen scheinen oberstes Gebot für Schulbuchautoren zu sein. Fürchten sie, durch Freude und Humor den Eindruck von Unseriosität zu erwecken? Die wenig fesselnde Lektüre ist umso bedauerlicher, als so die große Chance vergeben wird, die Schuljugend zum Lesen zu motivieren.

Bemerkenswert ist, daß an berufsbildenden Schulen der Sprache als wichtigstes Kommunikationsmittel immer weniger Bedeutung beigemessen wird. Für die Volksschule stehen zehn Deutschlesebücher zur Auswahl zur Verfügung, für die Oberstufe der AHS fünf, für Höhere Technische Lehranstalten lediglich zwei. Etwa fünfzig Prozent aller Schüler über fünfzehn Jahren besuchen berufsbildende Pflichtschulen. Ihnen werden nur zwei Literaturkundebücher angeboten, was nicht erstaunt, wenn man weiß, daß in den meisten der Berufsschulen gar kein Deutschunterricht existiert.

Im dualen Ausbildungssystem haben die Wirtschaftstreibenden ein wesentliches Mitspracherecht. Sind Fachwissen, praktisches Können, gute Geschäfte alles? Ein vor kurzem ausgelernter Drogist macht sich seine eigenen Gedanken darüber. „Nur wer seine Unzufriedenheit verbalisieren kann, nur wer sich entsprechend artikulieren kann, ist in der Lage, Forderungen durchzusetzen. Vielleicht will man verhindern, daß der Schüler von heute zum unerwünschten Mitsprecher von morgen wird.“ Eine unbegründete Sorge? Ruft „Sprachlosigkeit“ nicht laut genug nach einem „Sprachrohr“, das, wenn es geschickt genug ist, zu einer Bedrohung werden kann?

Laut 63 a Abs. 2, 64 Abs. 2 und 58 Abs. 2 des Schulunterrichtsgesetzes sind die Schülervertreter berechtigt, die Auswahl des Schulbuches mitzubestimmen. Sie wünschen sich aber auch, bei der Erarbeitung von Schulbüchern wenigstens um ihre Meinung gefragt zu werden.

„Ich kann zwar nicht mit fachlichen oder pädagogischen Ratschlägen aufwarten“, meint ein achtzehnjähriger Mittelschüler, „aber ich kann sagen, was uns interessiert—und das sollte auch die für das Schulbuch Verantwortlichen interessieren.“

Die Autorin ist Lehrerin und Schriftstellerin.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung