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Erziehung der Erzieher

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Das Erlebnis des größten Zusammenbruches der Menschheit in der Stunde, wo sie sich auf der Höhe ihres Werdens wähnte, zwingt den ernüchterten Überlebenden, Wege zu suchen, die aus dem Chaos zu einer Neuordnung führen. Diese Auseinandersetzungen umfassen auch die Neugestaltung unseres Erziehungs- und Schulwesens. Hier ist als Kernfrage die Neugestaltung der Lehrerbildung erneut in die Mitte gerückt und erregt -die Gemüter.

In neueren Zeitläuften hörte man ja oft die Meinung, daß der Lehrer einer der wichtigsten Mitgestalter am Gesamtschicksal sei und daß diese oder jAe geschichtliche Wendung der Schule, also ihrer Lehrerschaft, des erfolgreichen Volkes zuzuschreiben wäre. In der Tat greift der Lehrer entscheidend in den Werdegang des jungen Menschen ein. Die Begegnung mit ihm gehört zu den wichtigsten unseres Lebens, ihr Segen oder Unsegen erstreckt sich auf unser Gesamtdasein. So ist es begreiflich, daß die Lehrerbildung mehr denn irgendeine andere Frage des öffentlichen Lebens alle angeht und daß um sie sich.alle kümmern sollten.

Auf diesem Gebiete treten zwei Rieh-' t u n g e n einander gegenüber. Die einen verlangen eine wissenschaftliche Erweiterung der bisherigen Lehrerbildung mit dem Ziel der Angleichung an das Vollakademiker-tum. Alle Anwärter des Volksschullehr-amtes sollen demnach zunächst eine Mittelschulbildung und erst dann entweder an der Hochschule oder an einem hochschulartigen Institut mit zwei- oder dreijährigem Lehrgang ihre fachlich-berufliche Ausbildung erhalten. Andere Kreise hingegen legen den Hauptton wie bisher auf eine langjährige, von vornherein planmäßig angelegte Berufsausbildung in Lehrersemi-narien (in denen womöglich Schule und Heim verbunden sind). Ein politisches Verlangen strebt, die eigentliche Lehrerbildung zu einem staatlichen Alleinrecht zu erklären. Andere lehnen jedes Erziehungsmonopol des Staates ab, da es den Grundfreiheiten eines wahrhaft demokratischen Gemeinwesens widerspricht und in Wirklichkeit das unveräußerliche Recht der Ersterzieher, nämlich der Eltern, auf die Wahl von Schule und Lehrer aufhebt.

Das Für und Wider der Forderung nach hochschulmäßiger Lehrerausbildung, mit der wir uns hier befassen, sei der größeren Übersichtlichkeit wegen in eine Reihe von Unterfragen zergliedert.

Wie jedes Tun, s,o muß auch das erzieherische Tun wertmäßig nach dem angestrebten Zweck beurteilt werden. Die Gründe, die man für die Umgestaltung der Lehrerbildung ins Feld führt, sind nicht sos/ehr Forderungen des Lehrerbe r u f e s als des Lehrer Standes. Als treibende Kraft erscheint dabei vor allem das Verlangen nach Geltung des Standes, , eine Art soziales Ressentiment. Selbstverständlich steht hinter dieser Forderung der Angleichung an die Vollakademiker auch das ebenso begreifliche Verlangen nach wirtschaftlicher Gleichstellung. Die hohe Wertung des Lehrerberufes, zu der wir uns bekannten, legt Zeugnis dafür ab, daß wir bereit sind, für alles einzutreten, was zur Hebung des Lehrerstandes zweckmäßig beitragen kann. Zunächst aber muß es in einer demokratischen Zeit, wo der alte Kastengeist im Sterben liegt und künstliche Schranken endgültig fallen sollen, wo wir die Verwirklichung einer tatsächlichen Volksgemeinschaft so sehr ersehnen, befremden, wenn man noch so sehr in Kategorien derüberwundenen Vorzeit denkt und Unterscheidungen wie Akademiker oder,

Nichtakademiker einen solchen Wert beimißt. Wir hoffen doch ernstlich, daß es bei uns, wenigstens in dieser Beziehung, bald geradeso sein wird wie in den angelsächsischen Ländern und namentlich in Amerika, wo ich während meines dreijährigen Aufenthaltes nie etwas von einer solchen sozialen StÄfung der Gebildeten gehört habe. Es ist um so verwunderlicher, wenn dieser Ruf nach Einreihung in das Voll-akademikertum vorwiegend aus Kreisen kommt, die doch sonst für die volle Einebnung aller gesellschaftlichen Unterschiede sind.' Hier wie sonstwo scheint ein schwer zu überwindender Atavismus am Werke zu sein. Wir sollten doch so viel Glauben an die Macht unserer wiedergeborenen Demokratie und ihre Kraft haben, Kastenabgrenzungen aufzuheben.

Abgesehen von der anachronistischen Eigenheit der Forderung nach der Akademi-sierung der Lehrerbildung schießt sie auch sachlich über das Ziel hinaus, indem sie die wirklichen innerberuflichen und die gesamt-volklichen Bedürfnisse außer acht läßt. Wird der Lehrer durch die vorgeschlagene Art der Bildung, im ganzen gesehen, dadurch geeigneter oder ungeeigneter für seine Berufstätigkeit? Der Lehrerberuf ist nicht Selbstzweck, sondern für das Kind, für das werdende Volk da. Bodenständigkeit, Naturnähe, Volksnähe, Kindesgemäßhek muß den Volksschullehrer auszeichnen. Man hat in den letzten Jahrzehnten so viel geklagt über die Naturferne, über die Ver-künstelung unseres gesamten Gesellschaftslebens und vor allem auch unseres Bildungswesens. Drängt die geplante Lehrerbildung nicht; gerade in diese Riditung, die man wohl mit Recht als eine Fehlentwicklung bezeichnet hat? Man klagt über die rein verstandesmäßige Abrichtung in den Schulen, über die Intellektualisierung unserer ganzen Kultur. Wird aber der neue Plan nicht eben diesen Zug zur grauen Theorie hin, ins Lebensferne, fördern? Gewiß besteht die Gefahr, daß der Lehrer, der bisher nodi im Volk verwurzelt war und sein eigenes Berufsgepräge hatte, nun ,auch ein mehr oder minder entwurzelter „Intelligenzler“ wird, daher audi viel weniger seinshaft erzieherisch zu wirken vermag. Man hüte sich vor der alten Wahnvorstellung, daß man mit bloßem Mehrwissen alles leisten kann. Bei der Erziehung ist eine ausgeglichene Weltanschauung, das heißt .wahre Lebensweisheit, noch mehr ausschlaggebend für den Erziehungserfolg als das Fachwissen.

Der Lehrerberuf war bisher etwas in sich Abgeschlossenes, verhältnismäßig Endgültiges, in dem man ruhte, für das man mit Leib und Seele lebte. Die gewünschte Neuordnung, die die Grenzen zu den übrigen Ständen und Benifen verwischen muß, wird wohl neue Unrast in die Lehrerwelt hineintragen und dahin führen, daß sich viele in der Volksschule und im eigenen Stande nicht mehr beheimatet fühlen werden. Für viele wird der Lehrerberuf und Lehrerstand nicht mehr Lebensziel, sondern Durchgangsstufe werden. Wollte man aber durch gesetzliche Maßnahmen die Lehrer in ihrem Stand abriegeln, so würde zufolge solchen Zwanges die Berufsunzufriedenheit noch größer sein als die, die man zu beheben suchte.

Würden die Anwärter des Volksschullehramtes zuerst durch die allgemeine Mittelschule gehen und ihre Fachausbildung erst nach der Matura beginnen, so würde dadurch sicherlich nicht eine so abgerundete, berufsverankerte, aus dem Gesamtbildungsgang allmählich herauswachsende Lehrerpersönlichkeit verbürgt werden als ein von den untersten Stufen her u n t e r r i c h 11 i c h und erziehlich planmäßig angelegter und lurchgeführter Bildungsgang. Jberdies wird ein .erst an die allgemeine Ausbildung angehängter Fachunterricht gewisse Fächer, die man unterbewertend nur Fertigkeiten nennt, die aber für den Volks-'oildner Lebens- und Berufswert haben, fast notwendigerweise vernachlässigen: Musik, Volksgesang, Zeichnen. Denn diese Kenntnisse müssen viel früher als nach erlangter Mi^telschulreife gründlich erworben werden, dem Lehrer gleichsam in Fleisch und Blut übergehen. Es ist fraglich, ob zum Beispiel die Beherrschung einer zweiten Fremdsprache oder etwas keimhafte Kenntnisse der höheren Mathematik das Versagen auf musikalischem Gebiete ausgleidien würden, zumal in dem Lande Mozarts, Beethovens, Schuberts.

Die Selbstverständlichkeit, daß bei der Lehrerbildung das Hauptaugenmerk auf die Erziehung der künftigen Erzieher zu lenken ist, kann nicht zur Geltung kommen, wenn der spätere Lehramtsanwärter ohne festes Berufsziel im ungeschiedenen Strome der Mittelschüler dahinschwimmt. Der erfahrene Schulmann weiß, daß weder bei der Erziehung noch beim Unterricht die rein verstandesmäßige Begabung oder die Fülle des Wissens den Hauptausschlag geben, in der Volksschule schon gar nicht. Kandidaten, die die bisherige Bildungshöhe nur mit Mühe erklommen haben, wurden später ausgezeichJ nete Volksbildner und haben sich vielfach besslr bewährt als so mandie Glanzschüler. Bei der Lehrerausbildung ist daher nicht nur auf die Verstandesleistung zu achten, sondern vor allem audi auf die Veranlagung zu Unterricht und Erziehung. Wie sollte dies aber in der allgemeinen Mittelschule geschehen?

Gegen die bisherige /Lehrerbildung führt man ins Feld, daß die Berufsentscheidung in ein reiferes Alter verlegt werden soll, um Fehlberufe zu vermeiden. Nun, die meisten Menschen müssen in der Mitte des zweiten Lebensjahrzehntes ihre Berufswahl treffen. Den Lehrerberuf kennen die jungen Menschen von der Schule her besser als jeden anderen. Im allgemeinen zeigt sidi die Neigung zu diesem oder jenem Beruf sehr früh, und um so früher, je ausgesprodiener die Eignung ist. Übrigens haben bisher gar nicht viele Lehrer ihren Beruf gewediselt. Eher ist zu besorgen, daß nach allgemeiner Mittelschulreife und einigen Jahren hochschulartiger Bildung die Versuchung gerade für tüchtige und an sich lehrbegabte junge Menschen größer sein wird, einem anderen Berufe sich zuzuwenden, der ihnen zufällig mehr Vorteile zu bieten scheint, als das Volksschullehramt bietet. Ebenso könnte es umgekehrt geschehen, daß in Zeiten, da in anderen Berufen mit Maturaerfordernis die Zukunftsaussichten sinken, für den Erzieherberuf völlig Ungeeignet e, nur aus Erwerbsgründen in den Lehrberuf einströmen — zum Schaden der Schule und des Standes —, für viele der Lehrerberuf zum Notberuf wird. So könnte das alte Sprichwort wieder wahr werden: Ludi magister ultima spes. Die jüngsten Erfah- _ rungen in gewissen Ländern, die die akademische Laufbahn für den Lehrer vorschrieben, scheinen diese Befürchtung zu bestätigen. “

Ändern soll man, was als Mißstand empfunden wird oder sich nach allseitiger sachlicher Prüfung als unzweckmäßig erweist.-War unser bisheriger äster1 reichischer Lehrer seiner Aufgabe nicht gewachsen? War die Lehrerbildung rückständig? Könnte man nicht umgekehrt sagen, daß es wenige Länder gab und gibt, die so tüchtige Volksbildner besitzen wie Österreich? Konnte man nicht immer wieder feststellen, daß Kinder, die von auswärts hierher übersiedelten, eher unter als über der Bildungshöhe unserer Volks- und Hauptschulen standen?

Mit der Verakademisierung und Verstaatlichung will man die Lehrerbildung, restlos dem Einfluß der Kirche und der christlichen Religion entziehen. Seit fast 80 Jahren haben wir die neutrale bekenntn'slose Schule, die, abgesehen von dem bisher noch geduldeten Religionsunterricht, offiziell die wichtigste und tiefgreifendste Erziehungsmacht, das volle grundsatzfeste Christentum, ausschaltet. Wenn diese Erziehung, dfe im Grunde einer unreligiösen Erziehung gleichkommt, bisher ihre unheilvollen Folgen nicht voll zeitigte, so lag das daran, daß das gesamte Bildungsgut und zum Teil, besonders auf dem Land, der Lebensurgrund noch von christlidier Kultur und Überlieferung durchtränkt waren und auch daran, daß ein großer Teil der Lehrerschaft überzeugte Christen waren. Es ist eine ganz widersinnige und jeder geschichtlichen Erfahrung widersprechende Behauptung, daß die Gemeinschaft, die Gesellschaft, grundsätzlich areligiös sei oder sein müsse. Im gewissen Sinne ist ein geordnetes Gemeinschaftsleben ohne Religion noch weniger möglich als ein geordnetes religionsloses Privatleben. Alle, die nicht ewig blind sein wollen, hat dies die jüngste Menschheitskatastrophe gelehrt. Die führenden Staatsmänner der zwei größten Demokratien der Welt haben unzweideutig als einzige Rettung für die Menschheit die Rückkehr zu den sittlichen Grundsätzen des Christentums erklärt. Die zwingendste Folgerung aus dieser Erkenntnis ist eine wahrhaft christlidie Erziehung unserer Jugend. Keine christliche Erziehung ist möglich ohne christliche Erzieherper-sönlichkeiten. Es wäre demnach eine Gesetz-, gebung schwerste Verfehlung an der Zukunft unseres Volkes, die uns die letzten Möglichkeiten nähme, unserer Jugend die Lehrer, zu geben, die sie braucht, Lehrer, die ganze Menschen, ganze Österreicher, aber auch ganze Christen sind.

Der Lehrerberuf in sich, das richtig verstandene Wohl des Lehrerstandes, die heutige Lage und die Zukunft unseres Volkes kennzeichnen als Bestform der Lehrerbildung die ausgesprochene Berufsschule, deren beherrschender Hauptzweck die Heranbildung der Lehrerpersönlichkeit sein muß. Für Lehrer christlicher Kinder müssen wir Lehrerberufsschulen verlangen, die das Heranreifen von Erzieherpersönlichkeiten verbürgen, die im Christentum verwurzelt sind. Unter keinen Umständen dürfen unsere katholischen Lehrerbildungsstätten preisgegeben werden, diese Anstalten, die immer der Sendung verpflichtet sind, das Ethos christlicher Erziehung und christlichen Erzieherberufes zu verkünden.

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