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Politische Jugenderziehung?

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Der Begriff „politische Erziehung“ hat in der jüngeren Vergangenheit, besonders aber während des abgelaufenen Jahrzehnts, einen wenig sympathischen Beigeschmack erhalten. Der österreidier der ersten Republik erinnert sich hiebei an mandie unliebsame Verquickung von Politik und Pädagogik zu den Zeiten eines Otto Glöckel, von Jugendbewegung und kulturkämpferisdicr Hetze in den Jahren zwisdien 1920 und 1930, sodann an die spätere Einriditung welt-ansdiaulidier Zwangskurse für Universitätshörer, bis schließlich das Dritte Reich mit den verschiedenen Arten von „Schulungen“, angefangen vom Schulungsabend über das Sdiulungslager und die Schulungsburg bis zum KZ, diese bewegte Tradition zu einem würdelosen Höhepunkt führte. Daher ist es verständlich, wenn die öffentliche Meinung Erörterungen dieser Art mißtrauisch gegenübersteht. Man kann aber ein Problem — nodi dazu von solcher Wichtigkeit — nicht dadurch aus der Welt schaffen, daß man darüber schweigt.

Niemand wird bestreiten, daß die Erziehung ein widitiger Faktor des öffentlichen Lebens ist, noch in Abrede stellen, daß nadi den Erstarrungserscheinungen der diktato-risdien Systeme das politische Leben von neuen Kräften durdipulst wird; schließüdi wird niemand übersehen können, daß zwischen Erziehung und Politik, diesen beiden bedeutenden Sektoren des staatlichen Gemeinschaftslebens, außerordentlich enge Be-

Ziehungen bestehen. Ist doch eines der Grundphänomene aller Erziehung, nämlidi das Wechselspiel von Freiheit und Autorität, zugleich das Grundproblem aller menschlichen Vergesellschaftung, somit des politischen Lebens schlechthin.

Vielgestaltig sind die Kräfte, die er-zieherisdi auf den Mensdien wirken. Die Pädagogik als Wissenschaft hat diese Kräfte natürlich längst fein säuberlich in ein System gebradit. Sie unterscheidet planmäßige Faktoren der Erziehung (Erziehung in organisierter Form) und amorphe Erziehungsmächte (wie zum Beispiel die Einwirkung der Umwelt und des täglichen

Lebens), ferner natürliche, ergänzende und ersetzende Erziehungsfaktorcn. Naturgemäß wird die erste und grundlegende Erziehungsarbeit in der Regel von der Familie geleistet. Dazu treten in unserer Zeit ergänzend vor allem die Schule und die Jugendorganisationen. Die im übrigen nicht zu unterschätzende Wirkung amorpher Erziehungsmächte, wie Presse, Rundfunk, Film, Theater und Vergnügungswesen, spielen in der politischen Erziehung des Jugendlichen eine untergeordnete Rolle gegenüber den drei genannten Erziehungsgemeinschaften, weshalb wir sie von unserer auf das Wesentliche sich beschränkenden Erörterung aus-sdiließen.

Audi in der Politik erhält der Mensch die erste Orientierung von daheim. Mögen viele Eltern auf dem Standpunkte stehen, daß „Politisieren“ eine Sache für die „Großen“ und selbst für diese nicht immer bekömmlich sei, so vermitteln dodi häufig zwischen den Eltern geführte Gesprädie, der Freundeskreis der Familie, das ganze „Milieu“, wie man zu sagen pflegt, eine erste politische, und zwar parteipolitisdie Grundhaltung. Dieser politisdie Elementarunterricht ist allerdings eine Angelegenheit, die sidi aus dem innerhalb der Familie fast allein wirksamen Grundprinzip alles Unterrichtens, dem Vor- und Nachmachen, ohne besondere Planung ergibt, so daß die Fragestellung unseres Themas im Sinne eines „ob“ oder „wie“ hier kaum von Belang ist.

Widitig ist dagegen die Feststellung, daß eine solche Erziehung schon in sehr frühem Alter einsetzt und daß sie nornialerweisc ziemlich einseitig ist.

Erst mit Beginn der Schulpflidit ergibt sich die Möglidikeit einer ausgleichenden Einflußnahme. Daß die Schule politische Erziehung zu leisten habe, ist aus dem oben Gesagten einleuchtend. Offen bleibt die Frage, w i e diese Erziehungsarbeit zu leisten ist. Gehen wir von der kaum bestreitbaren Tatsache aas, daß, wie zu jeder produktiven Tätigkeit, auch in der Politik zunächst der Besitz eines bestimmten „Wissens“ nötig ist, so ergibt sich von selbst die Forderung, daß wir nicht durch Politik, sondern zur Politik zu erziehen haben. Im andern Falle wäre ja das Ergebnis, nämlich eine auf allgemeinen Erkenntnissen aufgebaute besondere Willensbildung, dem Ansatz vorweggenommen. Es war also ein schwerer Fehler der letzten östeireichisdien Schulreformen, beziehungsweise Reformversuche, von politischen Parteiprogrammen auszugehen.

Zur Vermeidung von Mißverständnissen würde man besser tun, im Rahmen der Schule lieber von staatsbürgerlicher, statt von politischer Erziehung zu sprechen. Die Elemente solcher staatsbürgerlicher Erziehung sind leicht aufzuzeigen. Dem Stoff nach handelt es sidi um alles das, was unter den Begriff der Heimatkunde fällt: einen gründlichen Einblick in die Geschidite, die geographischen Verhältnisse, die wirtschaftliche und soziale Struktur des Landes. Alles dies sind Materialien, die durdiaus sine ira et studio partei-politisdier Auswertung geboten werden können. Klare Einsichten in soldie konkrete Gegebenheiten werden von sidi aus zu selbständigem Nachdenken führen und in Verbindung mit einer überlegten ethischen Unter mauerung die Bildung einer ernst zu nehmenden Persön-lidikeit bewirken, die weitab von jeder Sdiablone liegt.

Hier ist das schwierigste Stück Arbeit vom Erzieher zu leisten. Dieser, selbst schon geformte Persönlichkeit, muß ebenso imstande sein, feste Anleitung zu geben, wie er es vermeiden muß, seine Eigenart dem Zögling aufzuzwingen. Audi hier gibt es Inhalte von allgemeiner Verbindlichkeit. Vor allem meine ich die Tatsache, daß die europäische Gesellschaftsordnung durch das christliche Sittengesetz in einfacher und unmißverständlicher Weise in ihren Grundlagen umschrieben ist. Daß ein Einsiditiger diesen Tatbestand in Frage stellen könnte, ist kaum denkbar. Sollte aber wirklich einmal einem Lehrer die Einsicht in die Zusammenhänge zwischen Christentum und Abendland verschlossen sein, so würde dies dodi nichts an dem Umstände ändern, daß er die Grundsätze des Christentums, vielleicht nicht unter dem Titel des Christentums, aber doch jedenfalls als Grundwahrheiten unserer gesellschaftlichen Ordnung zum Ausgangsund letzten Orientierungspunkt seiner erzieherischen Tätigkeit zu machen nidit wird vermeiden können. Aufbau und Funktion der Familie, Eigentumsbegriff und soziale Ordnung, der Humanitätsbegriff: das gesamte Forderungsprogramm unserer Tage ist verankert im diristlichen Sittengesetz.

Sdiwieriger als in Familie und Sdiule gestalten sich die Verhältnisse in den Jugendorganisationen. Daß solche Vereinigungen dem Bedürfnis der Jugend nach Geselligkeit entspredien und auch vom erzieherischen Standpunkt aus begrüßenswert sein können, soll hier nicht erst eigens bewiesen werden. Eine Frage wäre hingegen, ob es anzustreben ist, daß diese Organisationen durch politisdie Parteien gebildet werden. Die Vergangenheit hat uns zweierlei gelehrt: erstens, daß durch parteipolitische Jugendverbände allzu früh das Trennende in der Volksgemeinschaft hervorgehoben und dadurch der Charakter des politisdien Lebens als einer friedlichen Auseinandersetzung untersdiied-licher Meinungen im Geist demokratischer Zusammenarbeit verfälscht wird; zweitens, daß durdi eine vorzeitige Kopierung des Lebens der Erwachsenen im Jugendlidien ein gefährlicher Zustand der Präpotenz erzeugt wird. Unpolitische Vereinigungen, wie zum Beispiel die Pfadfinder, scheinen weit empfehlenswertere Wege zu gehen.

Letzte Lösungen liegen bei der Beantwortung unserer Frage freilidi nicht im Organisatorischen, sondern wie überall im öffentlichen Leben bei den E r-wachsenen, die für den Geist verantwortlich sind. Die Erwachsenen aber müssen sich der Tatsache bewußt sein, daß das Jugendalter nur Vorbereitung auf das tätige Leben ist und daß es ein schweres Vergehen bedeutet, den jugendlichen Idealismus für parteipolitisdie Manöver zu mißbrauchen. Wie sagt der Chronist des letzten Krieges? — An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen!

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