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HOCHSCHULSTUDIUM — ERZIEHUNG ZUM POLITISCHEN DESENGAGEMENT?

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Politische Erziehung und staatsbürgerliche Bildung, Begriffe, die man nicht mit aller Gewalt auseinanderhallen sollte1, haben einen festen Platz unter den Fragen um die Grundlagen pädagogischen Bemühens. Schon die Antike hat sich damit beschäftigt. Eine einfache Überlegung der Problematik der Erziehung führt unwillkürlich auf die Gesellschaft. Man darf Erziehung freilich nicht mit politischer Erziehung identifizieren, und auch die Ordnungsmacht in Form des Staates hat keineswegs ausschließliche Rechte, die Form der Bildung zu bestimmen. Man darf aber auch nicht ins andere Extrem verfallen und die politische Komponente in der Erziehung übersehen. Die pädagogischen Zielvorstellungen werden maßgeblich durch die Antwort auf die Frage, was der Mensch sei, bestimmt, und diese Frage wiederum stark durch die Ansichten der Erzieher, ja der zu Bildenden über die Gesellschaft gefärbt. Die Wichtigkeit der politischen Bildung steht also außer Frage. Sie kann aber heute noch durch den Hinweis auf die außerordentlich starke Verpolitisierung des Lebens im allgemeinen unterstrichen werden. Konnte doch vor kurzem erst Horst Ehmke feststellen: „In einem Maß, das sich bis zu diesem Jahrhundert niemand hätte vorstellen können, ist heute die Politik unser aller Schicksal geworden2." Ganz besonders gilt das natürlich für demokratische Staatsformen. Man kann streiten, welche Hindernisse theoretischer Art bestehen, mit dem Begriff „Demokratie" fertig zu werden. Ich meine Hindernisse, die außerhalb des guten Willens und der Intellektuellen Ehrlichkeit und Einsicht der Diskutierenden liegen. Daß aber das, was man von der Demokratie hält, für diese Demokratie nicht gleichgültig sein kann, dürfte einleuchfen. Ja, man kann sogar sagen, daß von der Qualität der geistigen Verarbeitung des Begriffs und seiner Entwicklung stärkste Impulse für die Demokratie im positiven wie im negativen Sinn ausgehen.

Eine demokratische Gesellschaftsordnung wie die unsere, die jeden beruflichen Handgriff mit höchstem Ernst „verschult", müßte folgerichtig auch die geistige Verarbeitung der Grundlagen der Demokratie und die praktische Beherrschung der demokratischen Verhaltensweisen, die sich ohne Zweifel nur mit Anstrengung lernen lassen, von den Spielregeln bei Diskussionen bis zur Führung von Protokollen, rational planen. Denn die Demokratie, darüber sind wir doch einig. Ist keine leichte Staatsform, kein triviales, sozusagen instinktiv erfaßbares Phänomen, dessen Funktionieren man ohne besondere Bildung (im Doppelsinn des Wortes sozusagen der natürlichen Entwicklung anheimstellen darf.

Es ist selbstverständlich — und ein Ausfluß demokratischer Einstellung, daß man der Wissenschaft einen Freiraum, der sozusagen aus dem politischen Geschehen herausgehalten ist, einräumt. Es ist aber nicht zu verstehen, wenn man die gesamte Berufsausbildung an der Universität politisch sozusagen steril hält, so daß von den wissenschaftlichen Impulsen, die der junge Mensch während seiner Hochschulausbildung gemäß den Vorschriften erhält, das politische Desengagement geradezu als akademisches Ideal erscheint, das mit Eifer zu kultivieren sei. Man wird zugeben müssen, daß klare Präambeln, emotionsgeladene Feierlichkeiten und ebenso sonstige, meist höchst lustbetonte Abwechslungen im Bildungsgeschehen nicht genügen. Man wende nicht ein, jemand, der Interesse hat, kann ja politische Wissenschaften studieren! Als ob eine Lehrkanzel für Moral die Konfrontierung aller mit moralischen Begriffen überflüssig machte! Die Grundlagen des politischen Geschehens sind so fundamental wichtig geworden, so daß jedes Universitätsstudium von einem Cursus political begleitet werden sollte.

Dieser Kurs müßte für alle Studenten verpflichtend sein. Da man während des Kurses, um seinen Erfolg zu sichern, von einer Fortsetzung anderweitiger Studien wird absehen müssen, könnte man zum Beispiel an eine Absolvierung des Kurses in den Ferien denken. Aber ein solcher Kursus hätte nur dann einen Sinn, wenn er wenigstens drei Monate dauert. Der Mindestumfang des Stoffes, die Sfundenanzahl und die methodischen Grundprinzipien sollten gesetzlich geregelt sein. Dem Gegenstand adäquat sollten nur Übungen, Gespräche und aktive Anteilnahme am Bildungsvorgang als pädagogische Methoden in Frage kommen. Das Prinzip der Selbsttätigkeit, das besonders von den Pflichtschulpädagogen durchdacht worden ist und wird3, müßte sich in jeder nur möglichen Form durchsetzen. Dem Studenten sollte die Wahl der Kursierter und der Gruppen völlig offenstehen. Auslosungen müßten verhindert werden. Die Kursierter müßten sich mit einem detaillierten Plan Ihren Studenten stellen. Zu diesem Plan sollten die Studenten Abänderungs- und Erweiterungsanträge auch gegen den Willen der Leiter durchsetzen können. Die dauernde Abstimmung mit den gesellschaftspolitischen Entwicklungen wäre damit garantiert. Der Kurs Ist völlig gebührenfrei zu halten. Daß man enge Tuchfühlung mit Einrichtungen der Demokratie, wie Parlament, Parteizenfralen, Administration, Jurisdiktion, ja auch Gewerkschaftsbund und kirchliche Zentralstellen usw., halten muß, braucht nicht näher begründet zu werden. Allerdings sollte sich der Kurs in diesem Fall nicht in Führungen und Diskussionen erschöpfen, sondern zur Übernahme praktischer, kurzfristiger Aufgaben führen, die tatsächlich gebraucht werden und Verwerfung finden.

Wir wissen eigentlich nicht, wohin uns die Demokratie führt. Diese Erkenntnis müßte uns veranlassen, nicht die uns geläufige und liebgewordene Form der Demokratie zu tradieren oder nur die Verwirklichung unserer Idealvorstellungen anzustreben, sondern wir müßten den Versuch machen, immer klarer zu erkennen, was Demokratie In Ihrem Wesen ist, was sie an uns für Forderungen stellt und vor allem, was sie in der Zeit „wird". Hur so werden wir unser Leben demokratisch bewältigen.

1 Heilger, Marian: Einige Gedanken zur staatsbürgerlichen Erziehung und politl- zehen Bildung, in: Lebendige Demokratie, Wien 1967, p. IS.

1 Ehmke, Horst: Die Generation, auf die wir gewartet haben. In: Der Monat, Heft 23S. 1968, p. 12.

Z. B.: Ledwinka, Walter: Selbsttäflgkeit der Schüler, In: Kommentar zum Österreichischen Hauptschullehrplan (hg. v. Ludwig Lang), p. 73—77.

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