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Schauspieler-Erziehung

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Befragt nach dem Programm seiner Verlagsproduktion, gab ein bekannter deutscher Verleger einmal zur Antwort, daß er es als sein Programm betrachte, keines zu haben — es sei denn, gute Bücher herauszubringen. Beantwortet sich etwa in ähnlicher Weise auch die Frage, was denn nun eigentlich als Programm einer Schauspielschule, wie etwa des Reinhardt-Seminars an der Akademie für Musik und Darstellende Kunst, zu gelten habe? Hervorgerufen durch äußere Ereignisse, wurde in letzter Zeit viel über dieses Thema diskutiert — wahrscheinlich zu viel.

Sicher wird das Ziel der Ausbildung mit einer gleich lapidaren Feststellung zu umreißen sein — das Ziel, gute Schauspieler heranzuziehen. Die Frage selbst hat sich damit keineswegs beantwortetet — im Gegenteil: gerade hier beginnt sie. Denn was kann getan werden, um dieses Ziel auf einigermaßen sicherem Weg zu erreichen?

Natürlich ist der „gute Schauspieler" weitgehend Produkt Seiner selbst, seines Talentes, seines Fleißes und seiner Persönlichkeit, so daß allenfalls Arbeitsmethode, Handwerk und innere Disziplin von der Schule zu lehren sein wird. Genügt das aber?

Sehr bedeutende Persönlichkeiten des Theaters, so wird zudem häufig argumentiert, haben ihren Weg gemacht, ohne in ihrer Jugend eine Ausbildung genossen zu haben. Auch das ist richtig. In der Mehrzahl dieser Fälle allerdings haben harte Lehrjahre in einer Theaterprovinz, wie es sie heute gar nicht mehr gibt, die Schulzeit ersetzt. Und einige wenige werden kraft ihres Ingeniums einer Anleitung freilich gar nicht bedürfen. Schon Stanislawsky war sich bewußt, daß seine Methode dem Genie entbehrlich sei, und so wird es immer wieder Naturen geben, denen Zügelung und Bewußtmachung ihrer schöpferischen Kräfte mehr Schaden als Nutzen zufügen mag. Eine Schule jedoch, die ihre Arbeit auf geniale Ausnahmen zuschneiden wollte, wäre von vornherein zum Scheitern verurteilt.

Dennoch bezeichnet das, was man als künstlerische Begabung anspricht, weit eher die Grenze jeder Erziehung — die zwar Kräfte wecken und freimachen, nicht aber Wunder wirken kann — wogegen ein weites Feld vielfach noch unausgeschöpfter Möglichkeiten dort offensteht, wo es ganz allgemein um die Entwicklung der jungen Persönlichkeit geht, deren Erscheinungsbild durch die jeweilige komödiantische Verwandlung hindurch doch immerzu spürbar bleibt.

Vielleicht wird das, was überhaupt angestrebt werden sollte, am deutlichsten offenbar, wenn wir von den Anforderungen des Bühnenstücks ausgehen und eingedenk bleiben, daß dem Schauspieler aufgetragen ist, Vermittler und Diener am Werk der Dichtung zu sein (was keineswegs einer Beschneidung seines eigenen schöpferischen Anteils gleichkommt). Die Namen einiger moderner Theaterdichter, wahllos herausgegriffen, beleuchten die Situation: ob Lorca, Giraudoux, Dürrenmatt, Camus, Brecht, Ionesco, Sartre oder Eliot —, wer vermöchte zu behaupten, daß sie sich ohne geistige Bemühung einfach erschließen, ihre Texte sich also „von selber spielen", wie das im Theaterjargon heißt? Wenn aber die Bühnendichter von heute die sensitiven und intellektuellen Kräfte des Zuschauers in besonderer Weise beanspruchen — und wie sollte dies anders sein, da doch unsere Zeit sich auf allen Gebieten in einem komplizierten Strukturwandel befindet und jahrhundertealte Denkvorstellungen aufzugeben gezwungen ist? — wenn eine derartige Leistung vom Publikum verlangt wird, muß dann nicht auch hinsichtlich der Interpretation gefordert werden, daß alle ihre Organe für solchen Dienst geschult und vorbereitet werden, um so das dargestellte Werk in der ganzen Transparenz seiner Bezüglichkeiten vorzustellen?

Bert Brecht hat in seinen Notizen öfter vom „wissenschaftlichen Zeitalter der Kunst“ gesprochen. Setzen wir uns über die von ihm gemeinte Einschränkung der Wissenschaft im Sinnedes dialektischen Materialismus hinweg, so werden wir diesei Formulierung zustimmen können. Und gerade für eine so kom plexe Kunstform, wie es das Theater nun einmal ist, kann es nicht gleichgültig sein, zu welchen Vorstellungen des Welt- und Menschenbildes die Wissenschaft gelangt ist. Malerei, Musik und Literatur unserer Tage sind gleichermaßen auf die Suche gegangen — wie kann der Schauspieler demnach dem Theater als der Zusammenschau vornehmlich jener Künste dienstbar gemacht werden, ohne sich selbst dieser Situation bewußt geworden zu sein?

Das Medium muß wissen, wozu es gebraucht wird. Und niemand sollte befürchten, daß seine medialen Kräfte dadurch gemindert würden. Der Schauspieler ist ja kein Mondsüchtiger aut dem Dach, den man nicht anrufen darf. Die Faszination seiner Verwandlung beruht, neben vielem anderen natürlich, nicht zuletzt auf einem Akt klarer geistiger Erkenntnis, was sich durch romantische Gefühlsschwindeleien nicht einfach verdecken läßt.

Wie aber läßt sich der Blick dafür schärfen, einer jungen Generation mit dem verdächtigen Streben nach rascher Karriere, die zu Umwegen keine Zeit läßt, das Gefühl für essentielle Werte vermitteln? In historischen Darlegungen, Literaturvorlesungen, dramaturgischen Kursen? Zum Teil, vielleicht. Vor allem aber in der Begegnung mit echten Persönlichkeiten und ihrem Werk.

Eine Ausstellung mag den Anlaß liefern, an Ort und Stelle über bildende Kunst und ihren Einfluß auf die moderne Szene zu sprechen, die Inszenierung eines bedeutenden Werkes, um mit dem Autor, dem Regisseur, Bühnenbildner und Verleger zu diskutieren. Junge Maler und Bildhauer, die Plastiken und Gemälde für kurzfristige Ausstellungen herleihen, sollten sich zum Gespräch stellen, Kritiker die Auseinandersetzung mit jungen Menschen des Theaters von morgen nicht scheuen. Der Lyriker etwa vermag durch den Vortrag seines Gedichtes den Sinn für Wortsuggestivität zu steigern, der Architekt, der moderne Bauformen erläutert, das dynamische Empfinden. Metaphysische Betrachtungsweise läßt sich nicht durch philosophische Seminare anregen, doch wird die Ahnung einer höheren Sinngebung von solchen Manifestationen schaffenden Geistes ausgehen können. Wenn mithin die Schule zum Ort ideeller Austragungen wird, ist schließlich das Frage-und-Antwort-Spiel um die wirkenden Kräfte der Gegenwart gar nicht aufzuhalten.

Weltoffenheit und Überwindung provinziellen Denkens entsprechen seit je dem Begriff eines theatrum mundi, dei zwar metaphysisch gedacht, aber ?auch; aufauüenGeographie anwendbar bleibt. Mit Hilfe der ausländischen Kulturinstitute, durch Lehrer- und Schüleraustausch mit einem Wort durch ein gastlich und gastfrei gefühltes Häus, muß Orientierung erreicht und so der Begriff allmählich in die Praxis übersetzt werden.

Das Nächstliegende, das, was wir solides Handwerk des Berufes nennen und eingangs vielleicht etwas zu beiläufig erwähnt haben, soll unter solchen Bestrebungen gewiß nicht leiden. Im Gegenteil! Eine umfassende Ausbildung, die auch die Ansprüche neuer Künste und Kunstgattungen bedenkt — Musical, Rundfunk, Film und Fernsehen —, ist als praktisches Rüstzeug unerläßlich. Hier ist nur freilich ein Lehrsystem durch viele Jahre erprobt worden, das sich im einzelnen sicher ergänzen läßt — so ist heuer bereits die musikalisch-gesangliche und tänzerische Ausbildung erweitert worden —, das jedoch seine Brauchbarkeit für die Praxis sehr augenfällig erwiesen hat. (Unter den Bühnenkräften der Wiener Theater stehen die Absolventen des Seminars an erster Stelle — sie haben sich darüber hinaus im gesamtdeutschen Sprachraum in glänzenden Positionen bewährt.)

Anders steht es um die Heranziehung junger Regisseure, deren Unterricht bisher mit jener der Schauspielschüler gleichgeschaltet war. Dies scheint im ersten Jahr durchaus von Vorteil, da auf solche Weise dem späteren Schauspielerführer die Möglichkeiten und Grenzen artistischer Leistung ebenso wie der ihr zugrundeliegende psychische Prozeß bewußt gemacht wird. Späterhin freilich sollte die analytisch-kritische Beschäftigung mit dem Theater und dem Drama sowie ein umfassendes Studium aller mit der eigentlichen Inszenierungsarbeit verbundenen Probleme (von der technischen Werkstättenarbeit bis zur Psychologie der Menschenführung) stärker forciert werden. Was den ersten Teil betrifft, so könnte eine bereits angebahnte Zusammenarbeit mit dem Theaterwissenschaftlichen Institut der Universität rasch weiterhelfen.

Mehr noch als beim einzelnen Schauspieler wird es bei den Regieaspiranten auf individuelle Führung ankommen, da das Talent zum Spielleiter sich in so jungen Jahren noch kaum wirklich offenbaren kann.

Soll nicht alles theoretisch bleiben, wird die Erarbeitung eines Regiebuches, des geistigen und szenischen Konzepts der Inszenierung also, im Hinblick auf ein Ensemble und ein Theater durchgeführt werden müssen. Hiefür steht nun der Schülerkreis des letzten Jahrganges, außerdem eine moderne Lehrsaalbühne und, last not least, das Schönbrunner Schloßtheater zur Verfügung. Erstmals wird auch der Versuch unternommen, Arbeitsteams von Regie- und Bühnenbildschülern zu bilden, die gemeinsam eine Inszenierung auszuarbeiten haben, wovon einige Szenen bis zum vermeintlichen Fertigstadium geprobt werden sollen.

*

Niemals kann freilich die Schulaufführung die Betriebspraxis eines großen Theaters ersetzen, weswegen zu fordern sein wird, daß der Student im Laufe seiner Schulzeit eine Volontärtätigkeit als Regieassistent ausübt. In einer selbständig gearbeiteten Lehrsaalaufführung hat er schließlich seine Fähigkeit als Regisseur praktisch zu zeigen, um mit solchem Gesellenstück sein Anrecht auf ein Diplom zu erweisen Den Meisterbrief wird freilich keine Schule ausstellen können — nur die Bewährung durch viele Jahre verhilft dazu.

Hingegen kann die Schule auch hier durch viele lebendige Beispiele anregen und vor frühzeitiger Fixierung bewahren helfen, wie sie sehr leicht durch die starke Persönlichkeit eines Lehrers bewirkt werden kann. Gastkurse hervorragender Regisseure vermitteln einen Einblick in die verschiedensten Arbeitsmethoden und sind auch als Anschauungsunterricht für den letzten Jahrgang der Schauspielklasse willkommen, dessen Übergang in die Berufspraxis im dritten Jahr gefördert werden muß. Stilfragen und subtile Probleme der Interpretation können hier freimütig erörtert und praktisch erprobt werden, wozu die Praxis des gehetzten Bühnenalltags später doch nur höchst selten mehr Zeit läßt. Was aber läßt sich Besseres für die Jahre unseres Studiums fordern, als daß sie uns auch späterhin in Rückbesinnung und Erinnerung Mut geben und weiterhelfen?

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