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NEUE JUGEND - NEUE SPIELE

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Dieses Thema als Kennzeichen und Aufgabe eines Spielgruppentreffens ist das Symptom einer Entwicklung, die das österreichische Laienspielwesen in den letzten Jahren durchmacht und die in Deutschland zum Begriff „Amateurtheater“ geführt hat. Ob der neue Begriff auch eine neue Wirklichkeit meint, wird sich zeigen, geht diese Entwicklung doch organisch aus der Laienspielbewegung hervor. Also keine Revolution, sondern die Verdeutlichung gewisser Tendenzen, die wir hier aufzeigen wollen. Das Laienspiel der Jugendbewegung war vor allem Bekenntnis im Überschwang einer sich befreienden Jugend, die sich von bestehenden Kulturformen der Erwachsenen absetzen wollte und gegen alle Per- und Konfektion ihren Laienstandpunkt setzte. Für sie stand die freie, spielerische Entfaltung der Persönlichkeit im Vordergrund. Dem entsprach ihre aufgelockerte Form und die Abneigung gegen alle Imitation des Theatralischen. Sie schuf sich ihre eigene Spielliteratur und griff gerne auf ältere, für ihre Zeit unkonventionelle Spiel- und Bühnenformen zurück. Inzwischen hat sich aber nicht nur das Theater, sondern auch die Jugend selbst gewandelt: Ihre Bekenntnisfreude hat abgenommen und ist vielen Erziehern mittleren Alters fragwürdig geworden. Die schöpferische Jugend bemüht sich heute trotz aller psychologischen Auflehnung mehr um Kulturformen der Erwachsenen. Man sucht immer mehr den dichterischen Text und verfolgt mit Interesse die Experimente des Berufstheaters, die spielerische Improvisationslust drängt nach künstlerischer Form. Gerade das Spiel in der Schule verlangt immer wieder das literarische Drama. Die orthodoxen Vertreter des Laienspiels konnten sich nicht mehr mit ihrem Spiel zu pädagogischen Zwecken begnügen, die Jugend will sich nicht mehr bloß „freispielen“, sondern in künstlerischer Form binden. Dazu hat das Abgleiten der „Klassikeraufführungen“ vieler Vereins- und Schulbühnen in üblen Dilettantismus und verlogenen Abklatsch des Berufstheaters den Verantwortlichen keine Ruhe gelassen. Der Rückgriff auf alte Formen des Volksschauspiels in seiner naiven Gläubigkeit gelingt nicht mehr recht. Anderseits besinnt man sich da und dort wieder mehr auf das Schul-und Jesuitendrama, das ja gegenüber dem damaligen Berufstheater literarisch war. Man wagt sich an das moderne Drama und versucht es auch mit der Klassik.

Damit ergeben sich aber auch viele praktische Fragen der Verwirklichung. Der Laie bemüht sich mehr denn je um das theatralische Handwerk und wird zum „Amateur“. Das Spiel als allgemein menschliches Bedürfnis wird zum künstlerisch gestalteten Theater; der Erzieher, Lehrer, Jugendführer zum Spielleiter, der sich in allen Bereichen des Theaters auskennen muß. Der Spielplatz wird zur Bühne, der Spielberater zum Dramaturgen, der den Text für die jugendliche Darstellung bearbeitet und umformt, der zur Aufführung geladene Freundeskreis zum kritischen Publikum, das nicht mehr bloß miterlebt, sondern geistig mitgestaltet; das lockere Zusammenwirken der Gruppe zum bewußten Teamwork von Spielleiter, Dramaturg, Musiker, Tänzer, Bühnenbildner. Der Spielleiter muß also immer mehr ausgebildet, seine Spieler in sprachlichen und bewegungstechnischen Übungen und in Diskussionen über Gehalt und Form an das Stück herangeführt werden, die Entwicklung und Einordnung des Einzelspielers braucht die geplante Regie, das freischöpferische Spiel die bewußte Gestaltung.

Wie sehr diese aufgezeigten Probleme und Tendenzen bereits Erfahrung oder noch Forderung sind, zeigte sich in der Arbeit des 8. Spielgruppentreffens in St. Lambrecht (Steiermark), die sich eine fruchtbare dreitaktige Methode zurechtgelegt hatte: Seminar mit'Referat und Diskussion — Aufführung — Spielleitergespräch. Was Theorie und Auseinandersetzung berührt hatten, zeigte sich dann in praktischer Verwirklichung und wurde in Gespräch und Kritik zu Erfahrung und neuer Aufgabe gefestigt. Der Eröffnungsvortrag von Dr. Günter Fischer (München) befaßte sich mit dem Hauptthema des Treffens und betonte das Verhältnis literarisches Drama — Schulbühne als ein Gesprächsverhältnis. Spielleiter und Spieler müssen sich in dienender Hingabe dem dichterischen Kunstwerk nähern. Weder museale Bewahrung noch selbstherrliches Umgestalten sind hier am Platz. Nur die theatralische Bewältigung des Werkes kann auch pädagogisch wirken, die dramaturgische Interpretation in der Schule ist die dem Drama gemäße. Erst in der Aufführung kann ein Drama in seinen literarischen und theatralischen Qualitäten erfaßt werden. Segenüber esoterischer Verspieltheit, l'art pour l'art, Beschränkung auf die Form und auf ein autonomes Theater betonte der Referent die verantwortliche Auseinandersetzung mit der Zeit und Welt des Spielers und richtete sich gegen die Abwertung des Wortes als Ausdrucksmittel des Schultheaters. Die jugendgemäße Form sei das Drama der offenen Dramaturgie des epischen Theaters, in dem der jugendliche Spieler nicht durch unbe-wältigte Identifikation zur Verzerrung eines mißglückten Illusionstheaters gezwungen, sondern durch distanzierte Auseinandersetzung zu bewußtem Spiel und damit zur Darstellung und Stellungnahme und nicht zur Verstellung geführt werde. Das Dargestellte müsse den Möglichkeiten des Jugendlichen entsprechen und dürfe seine Erfahrungswelt nicht übersteigen. Anderseits müsse Bildungsarbeit die Erschütterung wagen, eine bloß bewahrende Pädagogik bringe keine lebenstüchtigen Menschen hervor.

Das zweite Referat von Dr. Franz Hölbing (Innsbruck) befaßte sich mit der Struktur des modernen Dramas und führte Beispiele des epischen, poetischen und absurden Dramas an. mit denen sich der Spielleiter beschäftigen muß, um zu gültiger Verwirklichung auf der Schul- und Jugendbühne zu gelangen. Ingo Wampera (Graz) brachte Beispiele von Inszenierungsformen und zeigte die Entwicklung der Bühnenformen mit instruktiven Lichtbildern. Die Vereinfachung und Beschränkung auf das Wesentliche ist nicht ein wirtschaftliches Anliegen des Schultheaters, sondern ein künstlerisches: Einerseits rückt damit das darstellende Spiel in den Mittelpunkt, anderseits erhalten Bühnenbild und Requisit symbolische Bedeutung und treten ganz in den Dienst der Verlebendigung des Gehaltes. In einem zweiten Referat behandelte Ingo Wampera die dramaturgische Bearbeitung, die das Werk des Autors und die Darsteller zur bühnengemäßen Verwirklichung führen, von unnötigem Beiwerk befreien und den Kern des Gehaltes einer veränderten Zeit und dem Erfahrungs- und Gestaltungsbereich des jugendlichen Darstellers nahebringen.

Die Auswahl der aufgeführten Dramen reichte von der antiken Tragödie bis zum modernen Konversationsstück und zur Gesellschaftssatire. Hier zeigen sich Möglichkeiten und Grenzen der Schulbühne. Gelang die statuarische Darstellung von Sophokles' „Antigone“ vor allem im Sprachausdruck, so konnte dieselbe Gruppe (BRG und BG Mürzzuschlag) dem schwebenden Konversationston in Anouilhs „Antigone“ nicht gerecht werden. Auch zeigten sich hier Mängel in der Spielführung, die die innere Spannung des Dialoges nicht in dem Bewegungsspiel der Darsteller sichtbar machen konnte. Den rechten Ton verfehlte auch die Aufführung von Wildes „Bunbury“ („Die kleine Komödie“, Graz), so daß das feine, ironische Spiel schwankhafte Züge erhielt. Ähnlich erging es Nestroys „Hinüber — Herüber“ als erstes Spiel einer Schulgruppe (Musisch-pädagogisches RG, Graz), die nestroyscher Diktion und Spielweise nicht gewachsen war. Nestroys „Schlimme Buben“ (Lehrerspielgruppe Eisenstadt) gerieten gut, nur schoß hier der komödiantische Übermut etwas über das Ziel. Dabei gelang gutes Laienspiel im alten Sinn, das literarische Drama in seiner verfeinerten Stoffbehandlung trägt zu sehr die Züge der Dichterpersönlichkeit und fordert mehr Gestaltung und Verständnis für die Eigenart von Dichter und Werk als die spezielle Literatur des Laienspiels. Mrozeks „Auf hoher See“ (Spielgruppe der Marianischen Studentenkongregation Graz) wurde dem Gehalt nicht gerecht, die eiskalte intellektuelle Gesellschaftssatire geriet allzu menschlich. Heiselers literarisches Märchenspiel „Des Königs Schatten“ (Laienspielgruppe Perchtoldsdorf, Niederösterreich) hätte einige herzhafte Striche gebraucht, das nette Spiel der Gruppe wurde durch den leichten Staub und die Längen des Stücks beeinträchtigt. Eine kluge Bearbeitung gelang bei Werfeis „Troerinnen“ nach Euripides (Musisch-pädagogisches RG der Schulschwestern, Graz-Eggenberg), die den mythologischen Ballast, übertriebene expressionistische Wendungen und rhetorische Breite mied, um den herben Gehalt herauszukristallisieren und der Spielmöglichkeit der Darstellerinnen gerecht zu werden. Der variationsreichen Chorregie gelangen starke Bildwirkungen. Vorsichtige Kürzung und wohlüberlegte Regie führen zu beachtlichen Gesamtleistungen, die auch schwächere Einzelspieler tragen und die geringere Variationsbreite ihres Ausdrucks berücksichtigen.

Genaue Kenntnis der Spielmächtigkeit und Ökonomie der Regie erwiesen sich als notwendige Forderung vor allem bei langen Stücken mit schwierigen Charakteren, Dies gelang ausgezeichnet mit Weisenborns „Ballade vom Eulenspiegel, vom Federle und der dicken Pompane“ („Die Geidorfspatzen“, Graz). Die Technik der Bilderfolge entspricht der Jugend-biihne und war ganz bewältigt. Eine völlig anders geartete Gruppe (Hauptschule St. Lambrecht) zeigt dies mit Brechts Schulstück „Die Horatier und die Kuriatier“. Die eingängige Diktion Brechts gelang ebenso wie der spielerische Umgang mit dem Requisit, der hier zur Lehre von der Brauchbarkeit der Dinge wird. Dem selbstgezimmerten Stück „Aus den Spitzbubengeschichten von Paul Ernst“ (I. BG Graz) fehlte im Gegensatz dazu die Lenkung des Spielleiters. Das Festspiel war vertreten mit Kreps' „Pfleger von Stein“ (Bund Steirischer Landjugend, Mariahof, Steiermark) eine dramatisch gestaltete Lokalgeschichte mit klug eingebauten Rüpelszenen, die auch in der Darstellung besser als die historische Handlung ankamen. Ertlers „Ein steirisch' Spiel vom Dr. Faust“ („Arnfelser Schloßspiele“) nützte eindrucksvoll den Schauplatz trotz Verpflanzung in den Schloßpark (was bei vielen Aufführungen Schwierigkeiten bereitete und oft zum Prüfstein für die Wendigkeit der Spieler wurde) und führte urwüchsiges Komödiantentum vor, das bei vertrauten Darstellungsmitteln bleibt und durch handfestes Spiel mitreißt. Durchaus konventionell war auch die Aufführung von Goethes „Mitschuldigen“ (Salzburger Jugendbühne) in eleganter Beherrschung des Lustspiels. Unkonventionell sollte Hofmannsthals „Jedermann“ wirken (Insel-Laienspielgruppe, Marl, Westfalen), verlor aber durch Stilbrüche und Kälte der Darstellung bei fehlendem Hintergrund des Glaubens an Wirkung.

Drei Experimente rundeten das Bild des Treffens ab und suchten alten Formen neues Leben zu geben. Die „Soiree Litteraire“ als Gemeinschaftsveranstaltung aller Gruppen wollte mit Gedichten, nach bestimmten Themen geordnet, die oft langweiligen Tanzpartys literarisch beleben. Zwischen den Tanzfolgen „warf“ man einander heitere und besinnliche Verse zu. Ein „Literarisches Lagerfeuer“ („Die Spielvögel“, Graz) brach mit der alten Romantik und stellte die Form der Rezitation in den Erlebnisbereich eines Lagerfeuers. Villon, Rimbaud, Brecht und Grasshoff spielen einander in Gedichtform Gedanken zu und wandeln sie in ihrer Art ab. Rezitation geht in Spiel über. Stil wird Erlebnisform. Zum Abschluß zeigte Karl Steiner (Graz) alte europäische Tänze mit einer Schülergruppe zur Bereicherung der heimischen Volkstänze und wies auf die Möglichkeiten der theatralischen Auswertung hin.

Pgespräche unter Fachleuten, die das Erarbeitete für die rof. F. M. Kapfhammer leitete die Diskussionen, Arbeits-Zukunft fruchtbar machen wollen. Vier ereignisreiche Tage zeigten in vielfältiger Weise den Stand der Bemühungen um das literarische Drama und die Schul- und Jugendbühne. Trotz guter Organisation blieb die Arbeitsweise locker und paßte sich den natürlichen Gegebenheiten an. Die reichen Möglichkeiten, die der Ort für Freilichtbühnen bietet, wurden gerne genützt, Ort und Bevölkerung in das Spielgeschehen einbezogen. Mit wenig Mitteln und großem Einfallsreichtum meisterten die Veranstalter die Arbeit, müssen sie doch mit einem Bruchteil der finanziellen Mittel auskommen, die in Deutschland für ähnliche Veranstaltungen aufgewendet werden. Die Gesamtleitung hatte Herr Karl Steiner als geschäftsführender Leiter der Arbeitsgemeinschaft für Laienspiel und Laientheater in der Steiermark, der mit diesem jährlichen Treffen einen Brennpunkt steirischer Spielarbeit geschaffen hat, der auf ganz Österreich ausstrahlt und die verantwortungsbewußte Arbeit eines Landes dem größeren Ganzen österreichischer Kulturarbeit dienstbar macht. Als künstlerischer Leiter stand ihn Ingo Wampera mit reicher Erfahrung und Uberblick zur Seite. Seiner umsichtigen Planung gelang eine repräsentative Zusammenstellung von Spielformen der Schul- und Jugendbühne, die nicht nur einen guten Überblick, sondern auch einen Einblick in die Problematik einzelner Darstellungsweisen ermöglichte. Für die Lokalorganisation sorgte Direktor Sepp Mogele, der das Treffen von mehr als 300 aktiven Spielern auch zum kulturellen Ereignis für 7000 Besucher aus dem örtlichen Bereich machen konnte. 17 Aufführungen von 14 Gruppen, 4 Seminare und 4 Spielleitergespräche waren das Arbeitspensum, und die berechtigte Freude über den Erfolg betraf nicht so sehr die gelegentlichen Ansätze zur Vollkommenheit im einzelnen als vielmehr die Intensität der Arbeit im ganzen.

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