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Zwiespältiger Bergman

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Ingmar Bergman macht es sich und seinem Publikum nicht leicht. Der nordische Pastorensohn ist von Natur ein Grübler, der mit den Fragen der menschlichen Existenz und der menschlichen Beziehungen ununterbrochen ringt und offenbar zu bestürzenden Resultaten gelangt. Er ist ein Meister des Metiers und versteht, alle Register der vielstimmigen Orgel „Film“ zu ziehen — und dies, gerade dies erschwert die Durchschaubarkei t seiner Werke beträchtlich, denn der Sinn wird gerade durch Bergmans Film- virtuosifät immer vieldeutiger. Er sucht in seinem neuesten Film „Persona“ das, was alle Menschen im Grunde suchen, nämlich die Wahrheit. Doch das Resultat? Er findet, daß es keine absolute Wahrheit gibt, sondern daß jede subjektiv und daher im Letzten voll Unwahrheiten ist. Eine Schauspielerin will nicht mehr lügen und entschließt sich zum absoluten Schweigen. Sie will nur mehr sein und nicht mehr durch Reden die Lüge vermehren, doch die Wirkung, die sie bei ihren Mitmenschen erreicht ist Haß, weil sie die Konvention der Unwahrhaftigkeit durchbrechen will. Hinter der äußerlichen Handlung aber lauert eine Vielschichtigkeit an Deutungsmöglichkeiten, die jeden, der dazu Lust hat, veranlassen wird, seine Interpretation herauszulesen. Sicher werden aber auch viele bei soviel Sym- bolmande auf der Strecke bleiben und Bergmans verschlungene Gedankenwindungen exaltiert finden. Es gibt atemraubend schöne Bilder, Schauspieler, die ein Letztes an Hingabe leisten und auf Grund einer langjährigen Zusammenarbeit mit Bergman den Intentionen des komplizierten Meisters zu folgen bemüht sind, die aber doch nicht verhindern können, daß man streckenweise ratlos bleibt und deprimiert das Kino verläßt, gleichsam einen Wald von Problemen in der Erkenntnis, daß alle Probleme noch viel problematischer sind.

Ob der österreichische Regisseur F. J. Gottlieb, bisher in leichteren Lustspielen und Wallace-Verfilmun- gen arriviert, mit dem deutschen Film „Das Wunder der Liebe“, der modischen Sexwelle seinen Tribut leisten oder einen ernsthaften Auf- klärungsfllm zu schaffen beabsichtigte, läßt sich bei allen Bemühungen um wissenschaftliche Untermauerung der freizügigen Darbietungen schwerlich sagen. Es wird Sache des Publikums sein, den richtigen Ge-

Wie schon oft lag in der letzten Zeit der künstlerische Schwerpunkt der abendlichen Fernsehdarbietungen eher beim Zweiten Programm. Den Auftakt machte die Dramatisierung der Erzählung von Tschechow „Pflicht ist Pf lieh t“, der in Milo Dors Fernsehspiel „A n einem ganz g ew ähnlichen T a g“ über die menschlichen Wandlungen und Beziehungen in einem totalitären Staat eine interessante Fortsetzung fand. Auch die Bildschirmbearbeitung von Frank Weidelands Stück „Der Kamme r- säng er“ und dessen Besetzung mit Will Quadflieg, Antje Weißgerber und Petra von der Linde unter der Regie von Rudolf Noelte war spektakulär und literarisch aufschlußreich. Seine Problematik vom Star und dessen Beziehungen zur persönlichen und beruflichen Umwelt ist heute noch so aktuell wie vor einem halben Jahrhundert.

Die Wiederbegegnung mit Spielfilmen in- und ausländischer Herkunft dürfte vor allem der gereiften Generation einige Freude bereitet haben. Mit Hans Moser und Paul Hörbiger in „Hallo Dien st mann" und Vittorio de Sica sowie Marcelio Mastroianni in „Bigamie ist kein Vergnügen“ waren die hervorragenden Interpreten und nicht so sehr die behandelten Themen Motor einer fröhlichen Unterhaltung. Etwas ernster gestimmt und ebenfalls wesentlich von treffsicherer schauspielerischer Intensität geleitet, präsentiert sich das von Deutschland übernommene Volksstück „Das Fräulein an der Kas s e“, in dem Regisseur Eberhard Itzenplitz sicher die Akteure lenkte, von denen Bruni Löbel in der Rolle eines von der Liebe nicht besonders reich bedachten Durchschnittsmenschen Neigung und Gefühl der Zuschauer für sich buchte. Die in letzter Minute vorgenommene Umdisposition, die uns zum Wochenende das wenig überzeugende und oberflächlich konstruierte Kriminalspiel „Ein Sarg für Mr. H ollow ay“ bescherte, entpuppte sich als recht magere Notlösung.

Dafür aber bot einen Tag später die wohldurchdachte und) auch ziemlich aufwendige Übertragung von Luigi Pirandellos Schauspiel „H ein rieh IV.“ in das Medium Fernsehen eine wirklich hervorragende Entschädigung. Hier erwies sich mit aller Deutlichkeit, wie die Einbeziehung des Films mit seinen realisitischen visuellen Wandlungsmöglichkeiten und Milieuveränderungen die Dynamik einer Theateraufführung eminent verstärken und gerade in diesem speziellen Fall teilweise sogar übertreffen kann. Denn dieser makabre Seiltanz des Dichters auf dem schmalen Grat zwischen scheinbarem Wahnsinn und schicksalsträchtiger Wirklichkeit wurde zu einer optisch-geistigen Leistung, die sich wahrscheinlich auch jenen Zuschauern erschloß, die sonst wenig Beziehungen zu dem literarischen Wollen Pirandellos haben. Rolf Hen- ninger in der Maske des vorübergehend vom Wahn besessenen italienischen Adeligen, der zuerst glaubt und später vorgibt, jener vom Schicksal geschlagene (Deutsche Kaiser zu sein, sowie Gisela Fischer und Horst Tappert als seine hintergründigen Gegenspieler in dieser tragischen Schachpartie um eine unglückliche Liebe waren kongeniale Mitstreiter in der Inszenierung von Thomas Engel für den Erfolg dieser psychologischen Studie im rätselhaften Grenzland des Normalen und der Überraschungen. JEK.

• Einen ebenso beachtlichen wie lobenswerten Plan kündigt der Steiermärkische Musikverein an. Ab Dezember 1968 sollen im Grazer Stefaniesaal sämtliche Symphonien von Gustav Mahler aufgeführt werden. Nach der II. soll im Februar 1969 die IV. Symphonie folgen. Es spielt das Grazer Philharmonische Orchester unter Ernst Märzendorfer.

brauch davon zu machen oder nicht, und dadurch wird die Angelegenheit sehr problematisch, genauso wie die Flut von Aufklärungsartikeln in den diversen Illustrierten, die sich ebenfalls sehr sachlich und „lebensberatend“ gebärden, die Auflage aber doch durch das „Thema Nr. 1“ steigern wollen. Ist wirklich das Kino der geeignete Ort für freizügige Aufklärung? Emst Nießner

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