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DIE JUNGE GENERATION

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Jugend am Theater: Nicht zu verwechseln mit Anfängern und Debütanten und dem allerorts zitierten sozial-kulturpolitischen Begriff „Nachwuchs“. Nicht zu verwechseln mit der am Theaterzettel aufscheinenden Besetzung jugendlicher Fächer, für die man zwangsläufig Schauspieler unter dreißig braucht. Nicht zu verwechseln mit dem jeweils modernen Spielstil, den der juvenile Feuergeist inthronisiert Jugend am Theater: das sind die jungen Leute auf der Bühne, die mit ihrer im Parkett ansässigen Generation gemeinsam altern werden. Das ist das Wesentliche. Das ist das kontinuierliche Theater einer Zeit. Immerwährende Erneuerung und unausgesetzter Fortbestand. Die Jugend am Theater, die wir meinen. Die Jugend des Theaters.

An den Wiener Bühnen gibt es (größtenteils seit vielen Jahren im fixen Engagement) an die dreißig in den ersten jugendlichen Fächern einsetzbare Schauspieler. Zahlreiche Auslese der unbestreitbar überdurchschnittlich begabten Jahrgänge zwischen 1923 und 1933, Sie haben sich durchgesetzt, sie .sind,. , soferne. Film- und zeitbedingt-berühmtmachendes Reisefieber nicht schon einiges vorweggenommen haben, die legitime Nachkommenschaft der älteren Equipe unserer Tage, von der Spitzenklasse bis zur erstrangigen Charge: Ernst Anders, Chariklia Baxe- vanos, Bruno Dallansky, Maria Emo, Peter Göller, Nicole Heesters, Michael Heltau, Michael Janisch, Walter Kohut, Aladar Kunrad, Lotte Ledi, Paola Loew, Helmut Löhner, Johanna Matz, Ernst Meister, Franz Messner, Luzi Neudecker, Walter Reyer, Sieghart Rupp, Otto Schenk, Kurt Sowinetz, Edd Stavjanik, Maria Urban, Peter Weck, Jürgen Wilke.

Es sind Prominente unter ihnen (und unter diesen schon so Prominente, daß sie beständig auf dem Sprung sind, in die ausländischen Fußstapfen Oskar Werners, Hans Schweigers und Annemarie Düringers zu treten), es sind andere unter ihnen, die durch eine nahezu „frühreife“ (und publikumswirksame) Perfektion Gegenstand der lokalen Publicity geworden sind — und schließlich jene, die in den Spielplänen der Wiener Theater ihren festen Platz eingenommen haben. Eines ist ihnen gemeinsam: Sie bilden ein vortreffliches, verheißungsvolles Generationsensemble.

Generationsensemble : Das sind nicht so sehr die jungen Stars, die mit den greisen Größen der Schauspielkunst wetteifern oder mit der Filmprominenz soupieren, kometenhafte Karrieren, die irgendwo zwischen Sensationsgastspielen in Berlin und Drehtagen in Hollywood ihre Bahn ziehen.

Das Generationsensemble, wie wir es meinen, setzt sich aus Schauspielern zusammen, die der Theaterbesucher in seiner Jugend den Carlos oder das Gretchen, den Oswald oder die Franziska spielen sieht, denen er später als Egmonl, als Nora, als Anatol, als Rosi im Verschwender wiederbegegnet — und schließlich als Philipp und als Nathan, als Frau Alvir und als Marthe Schwertlein. Sie verbürgen das Theater einer Stadt, eines Landes, einer Nation.

Generationsensemble — das sind die ungezählten ersten Besetzungen eines Lebensalters auf der Bühne: angefangen von den Shakespeare-Narrer über die Figuren Nestroys bis zu den Charakterrollen von Strindberg bis, O’Neill, von Schnitzler bis Anouilh. Sie verkörpern den Theateralltag, der nicht altert Eine Handvoll Namen sei diesmal herausgegriffen: ein Querschnitt durch dieses Ensemble von heute und — für morgen.

Walther Reyer: Primus inter Pares. Er wechselte mehrmals zwischen Josefstadt und Burgtheater, woselbst er in der kommenden Saison endgültige und nahezu naturbedingte Heimstatt finden dürfte. Er spielt die großen Helden der klassischen Literatur, er zählt in diesem Fach zu den hervorragendsten Begabungen des deutschsprachigen Theaters. Den „romantischen Liebhaber“ hat er abgestreift, in modernen Charakterrollen ist er bewandert — aber zuwenig ausgenutzt (in Sälonstücken, in denen wir ihn nicht weniger erfolgreich sahen, ist er vergeudet). Zur vollen Entfaltung braucht er den weiten Räum, die große Geste und den Anlaß, seine klare Stimme einzusetzen. Seine Bedeutung für das heutige Theater ist nicht zuletzt dem Vorzug zuzuschreiben, daß seine Helden charakterlich fundiert, stark und männlich, feurig und vital geraten. Da ist kein Restchen Pathos, kein sentimentaler Ueberschwang, kein Augenblick Deklamation.

Nicole Heesters begann als „Teenager im eleganten Fach“, ist seit „Gigi“ eine wirkliche Persönlichkeit geworden, strahlte später den reinen Zauber einer anmutigen Recha aus, bewährte sich schließlich glänzend im jugendlichen Charakterfach in Millers „Blick von der

Brücke“. Da war, was ursprünglich zwischen naiv-sentimentalem Mädchentum und der Anwartschaft auf die Roben der Salondamen schwankte, plötzlich alles voll tiefen Ernstes,; fraulicher Enmpfindungskraft und menschlicher Bewegtheit. „Nicole Heesters war nahezu ein Jahr lang beurlaubt und „auf Reisen“ an deutschen Bühnen. Es war an der Zeit, heimzukommen in die Josefstadt.

Bruno Dallansky ist wuchtig, ohne schwerfällig zu sein, klobig, ohne die Derbheit einfältiger Gestalten. Ein großer Junge war er, einer jener, die vor lauter Gedrungenheit und Stärke schüchtern und sympathisch wirken — ein rührend-menschlicher Gestalter mit dem schweren Blut des gemütvollen, vitalen Mannes ist aus ihm geworden. Sein naiv-tolpatschiger Humor wird den seit dem Berliner „Wozzek“ beschrittenen Weg zum stabilen Charakter begleiten. Dallansky gehört zur Josefstädter Jugend, und seit den Stücken „Rendezvous in Wien“ und „Rendezvous in Moskau“ (als er ebenso hin reißend komisch wie aber auch zu lange Zeit ins leichte Fach gezwängt war) zu den erklärten Lieblingen des Publikums. Barlog in Berlin hat beide Augen auf ihn geworfen.

Edd Stavjanik ist aus ähnlichem Holz geschnitzt: ein anderer Ast vom gleichen Stamm. Er ist betulicher, die so liebenswert dicke Haut birgt einen sensibleren, geschmeidigeren Kern. Er ist der „gute Freund“, der in gewährender, bärenhaft-gutmütiger Männlichkeit das Leben überblickt Und in aller Sanftheit resigniert. Das hat zur Folge, daß er, wann immer sich Gelegenheit bietet, den „Kümmerer“ zu spielen hat, was für die Zuschauer ein köstliches Vergnügen ist, seinen Nuancenreichtum im Charakterfach allerdings verkennen läßt. Im „Sommer der 17. Puppe“ hat er ganz andere Farben gezeigt: da waren alle grellen, starken Farben eines prachtvollen Naturburschen aufgeboten. Edd Stavjanik gehört dem Ensemble des Volkstheaters an.

Luzi Neudecker verkörpert das Fach der munteren Naiven — womit die quicklebendige, reizvolle Persönlichkeit dieser jungen Schauspielerin nur unvollkommen, dürr umrissen ist. Da sind mädchenhafte Anmut mit backfisch- hafter Heiterkeit und Sauberkeit aufs Glücklichste vereint — und allein deshalb so bezwingend, weil nichts Süßliches, nichts Weichliches, nichts Schnappiges das Spiel entwertet. Da ist alles frisch und eher herb und ohne jedwede Sentimentalität. Und wenn die Rolle halbwegs etwas wert ist, leuchten dunkle Farben durch. Ein Hauch von Tragik, ein Anflug stiller Melancholie. Unvergeßlich bleibt die Hedwig in der „Wildente“, ein kleines Erlebnis die Salome Pockeri im „Talisman“. Beides, wie immer, in der Josefstadt.

Peter Weck geht von der Josefstadt ans Burgtheater. Er ist — um es einfach zu sagen — der beste Salonliebhaber und Bonvivant, den wir haben. Und gleichzeitig der „Zeitgemäßeste“: schlacksig, jungenhaft, salopp. Daneben (und das ist ebenso wesentlich wie selten) elegant und souverän, gewandt und — ein glänzender Schauspieler. Er plaudert den langweiligsten Text dem Lustspielautor an die Wand, er holt aus der einfältigsten Konversation jenen Reiz der „großen Welt“ .heraus, der meistens gar nicht- im Textbuch steht. Und dabei, wie man so sagt: er macht kaum etwas. Am Tonfall liegt es, an der Bewegung, an einem kaum wahrnehmbaren Mienenspiel, das mehr Wirkung hat als die ganze Handlung der Stücke, in denen er spielt. Oder besser: spielte, denn im Akademietheater harren seiner — hoffentlich — gewichtigere Aufgaben.

Maria Emo: Gehört dem Ensemble der Josefstadt an. Eine intelligente, kühle, souveräne Gestalterin. Sie seziert die Rollen und setzt sie wieder zusammen, sie wahrt Distanz, sie brilliert mit messerschaf geschliffenen Details. Ihre Standardrolle ist das Selbstbewußte, Berechnende, Siegessichere; das Weibliche liegt gnadenlos und offen ausgebreitet da, wie ein Buch mit einem rigorosen Inhalt. Wenn aus dem perfekten Vortrag menschliche Engagiertheit schillert, dann ist es oft von einer reizvollen Rätselhaftigkeit.

Walter Kohut: Einer der meistbeschäftigten Männer am Volkstheater. 1960 wechselt er in die Josefstadt. Zwei seiner großen Rollen spielt ihm in Wien keiner nach: den Leim im „Lumpazi“ und die Hauptrolle in Osbornes „Blick zurück im Zorn“. Der weite Weg zwischen diesen beiden Figuren kennzeichnet Kohuts „Leistungsfähigkeit“ im Jungmännerfach. Die prägnante Zeichnung der Neurasthenie, der Unbedingtheit, der scharfen Dialektik und zynischen Verächtlichkeit jugendlich-intellektueller Rebellion und Skepsis weist bei allem gleichzeitigem Talent zur Bonhomie gebieterisęh zum schonungslosen, kritischen Problemstück. Zu den Rollen mit harten Bandagen. Wir wollten gern das Wort „modern“ vermeiden: Walter Kohut aber ist ein moderner Schauspieler. Nicht bloß dem Stil — dem Inhalt seiner ganzen Persönlichkeit nach.

Chariklia Baxevanos hat trotz ihrer Jugend eine Reihe höchst einschneidender Wandlungen hinter sich: vom „süßen Mädchen“ über die kindliche Naseweisheit, über die Hedwig, über die großartig gespielte Anne Frank (unbezweifelbarer Talentnachweis und vorläufiger Höhepunkt) zurück zum Flink-Gefälligen, Lieb- lich-Gehüpften, Maliziös-Geschnatterten und routiniert Ausgespielten aller Dinge, die sich da in sorgloser Seichtheit tummeln wie ausgekochte Goldfische' in einem modischen Swimming-pool. Das naheliegende Wort „schade" ist im Augenblick nicht am Platz, denn sie kann noch was werden.

Kurt Sowinetz: .Ein junger alter H .ase in. allen Obliegenheiten des Skurrilen, Kauzigen und Schwarz-Humorigen. Das Zwielicht — sei’s das Poetische, sei’s das Gegenwarts-Literarische — ist seine imaginäre, von innen her beleuchtete Welt der Bühne; das Doppelbödige ist seine Freude an der Sache, die Charakterzeichnung, das Menschenbild (oder Menschengleichnis) sein Metier. Wir nannten ihn einmal — wiewohl es so etwas eigentlich gar nicht gibt — einen intellektuellen Komödianten. Weil er dem Blut nach Schauspieler, der Seele nach (stiller) Rebell, dem Geiste nach ein mit Fragen und Problemen angefüllter Kauz ist — welch ein kostbarer. Seine Einsätze am Volkstheater bewegen sich vom „Regenmacher“ auf- und abwärts.

Franz Messner, auch ein Kauz. Aber mehr ein sonniger (josefstädtischer). Einer, bei dem alle ausgepichte Unschuld, alles Erstaunen über die Begebenheiten in dieser Welt, alle Toleranz einer lyrischen Seele, im Gesicht sich widerspiegeln. Sein säuberlich gezwinkerter Humor streift uns wie ein sanfter Vorwurf, daß w i r, die von ihm Dargestellten, so rettungslos komisch sind. Seine helle Stimme sagt die ernsten Dinge mit einem Ton freundlicher Mißbilligung, die heiteren hingegen stimmen ihn ernst, nachdenklich, abwägend. Wenn ihm etwas unterkommt, das zum Lachen ist, dann skandiert er es, sagte es beiläufig, monoton vor sich hin, und lächelt milde, damit wir unsere Hetz haben. Ein Clown, dieser Messner — aber ein subtiler. Ein Schelm, aber ein galanter.

Otto Schenk: Last not least. Wenn er etwas tut und was immer er tut und wie immer er es tut: man ist versucht, zu brüllen vor Lachen - doch man unterläßt die Lautstärke und schmunzelt einen Abend lang still in sich hinein. Das gehört mit zu den besten Dingen, die einem Komiker widerfahren können. Dafür gibt er uns das Beste, das ein junger Komiker in Wien zu bieten hat. Sein Humor ist nicht so sehr geschliffen und wohl auch selten von der gutmütigen Sorte; er kommt ihm ganz natürlich, frisch von irgendeiner genialen Leber weg. Und manchmal sind es dann auch Gift und Galle, die meistens volkstümlich, oft sarkastisch gefärbt, immer treffsicher von der Josefstädter Bühne spritzen.

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