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Vom Grazer Theaterleben

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Graz hat eine bedeutende. Theater- gesdiichte. Mit Brünn als seinem nördlichen Gegenstück war die Grazer Bühne für junge Künstler früher eines von den beiden großen Sprungbrettern für Wien. Dieser gute Ruf ist für sein Theater von heute ein Nachteil, Denn die es einst gekannt, messen die Gegenwart an der Vergangenheit. Die Jugend aber, die traditionsfreie — sie findet in den Theatern alles, nur nicht das, wonach sie sich sehnt: das neue Wort. Eine Verkündigung, die endlich aus den Schatten vergangener Zeiten herausreißt, um wirklich neue Wege, vor allem aber nach neuen Zielen zu weisen-

Beide Grazer Bühnen, das städtische Schauspielhaus und das Landestheater, bieten brave Alltagsstücke. Gewiß, Komödien wie Curt Götz’ „Das Haus in Montevideo“, Noel Cowards „Fröhliche Geister" oder — im Landestheater — Fritz Hochwälders „Hotel du Commerce“ sind gute, handfeste Stützen eines Spielplans — aber, wenn daneben außer einigen den Anforderungen nicht gewachsenen Klassikeraufführungen

Bokays „Gattin“, Arnold und Bachs

„Zwangseinquartierung", Fraser und Brandts „Anuschka" oder Kays „Vagabunden"

(Landestheater) über die Bretter gehen, dann ist es zuviel und kann auch durch neue oder wenigstens neuere Werke, die zu allen heiligen Zeiten einmal herauskommen, nicht ausgeglichen werden: Pirandellos „Wollust der Ehrbarkeit" und Priestleys „Ein Inspektor kommt" waren die einzigen in dieser Spielzeit, wenn wir von Naderers „Das unheilige Haus“ absehen wollen.

Worin liegt der Grund zu dieser Ridi- tungslosigkeit im Spielplan? Kaum an den künstlerischen Leitern, Denn sowohl Direktor Ebbs von der) städtischen Bühnen als Direktor Dr. Adolfi vom Landestheater haben wiederholt ihr ehrliches Bemühen um eine Neugestaltung bekundet. Es ist Geldsache. Direktor Ebbs erklärte, theatralische Du rdischnittsware sei heute der finanzielle Grundpfeiler der dramatischen Kunst, Darin mag er recht haben. Nur scheint es, daß die Grundpfeiler in letzter Zeit allzu zahlreich aus der Erde herausschießen, man aber vergeblich darauf wartet, was zu tragen sie bestimmt sind.

So blickt man sehnsüchtig nįich Wien, dessen Theaterleben von seinen anspruchsvollen eigenen Bürgern zwar wenig gelobt wird, den Grazern aber dennoch als heiliges Muster vorschwebt.

Zu den finanziellen Hemmungen gesellt sich der Bürokratismus, sowohl jener, die mit Kunst, als jener, die mit Geld zu tun haben. Die Stadt behütet die eine, das Land die andere Grazer Bühne. Subventionen müssen aushelfen wo das zahlende Publikum fehlt. So scheinen die Theater zuerst ein finanzielle, dann erst eine künstlerische Angelegenheit zu sein. Allzu freimütige Kritiken in den Tageszeitungen sind unerwünscht, sie könnten dem Geschäft schaden!

Stadt und Land dulden neben sich keine anderen Theaterunternehmer, auch wenn es sich um kleine — freilich künstlerisch sehr rege — Studiogesellschaften handelt. Man fürchtet Konkurrenz und will sich von hier aus kein neues künstlerisches Leben erhoffen, während in anderen Städten gerade solche kleine Bühnen dem Neuen den Weg in die großen Häuser bahnten!

Als einziges namhaftes Theaterehen besteht neben den beiden Häusern das Studio der Hochschülerschaft. Seine rechtliche Sonderstellung hat ihm sein Dasein ermöglicht, und so beweist es als einziges Grazer Kunstinstitut, was junge begabte Menschen zu leisten imstande wären, gibt man ihnen nur die Möglichkeit, sich zu versuchen.

Von allen Aufführungen des städtischen Schauspielhauses in dieser Spielzeit sind es zwei, die als wirklich künstlerischer Erfolg geweitet werden dürfen und daher auch besonders herausgehoben werden sollen: Ibsens „Gespenster" und Naderers „Das unheilige Haus". Der große nordische Dichter strafte wieder einmal alle diejenigen Lügen, die ihn tot glaubten. Aus einer spannungsgeladenen Atmosphäre entwickelte sich ein packendes Zusammenspiel, um schließlich in dem — leider etwas allzu theatralisch gebrachten — Schluß als fürdv terlidier Notschrci gepeinigten Menschen tums auszuklingen. Friedrich Kutscheras Regie schuf wirkliches Zusammenspiel.

Hans Naderer? „Das unheilige Haus“ spradi den Zuseher unmittelbar an. Es ist aus der Gegenwart geboren. Es scheint ein Volksstück zu sein und erhebt sich doch — wenigstens teilweise — zum wirklichen Kunstdrama, wenn anders die Bezeichnung „Volksstück" nicht schon als Ehrentitel ausgelegt werden darf. Die Kraft dieses Schauspiels liegt in seiner tragenden Rolle, der Gestalt der Priorin, die trotz aller Anfechtungen den Weg der wirklichen Nachfolge Christi geht. Wir sehen solche Menschen auf der Bühne fast ebenso seltep wie im wirklichen Leben. Um so erhebender ist es, wie sie alle mitzureißen verstehen, alle die vielen stumpfen Gesichter im Zuschauerraum erhellen, nicht mit fanatischen Reden und hinreißenden Taten, mit wenigen, offenen Worten und Blicken. Daß diese Rolle in Graz in Hanna Lußnig eine Interpretin fand, wie sie kaum woanders besser sein könnte, die diese Rolle nicht spielte, sondern nur mehr lebte, mußte zu einem vollen Erfolg des Stückes den Ausschlag geben.

Die Darstellung am städtischen Schauspielhaus krankt, wie. gesagt, an mangelndem Zusammenspiel, das nicht zuletzt durch ständigen Wechsel des Personals in den verschiedenen Spielzeiten hervorgerufen ist. So bleibt die Atmosphäre zumeist kalt, wirken die Aufführungen oft konstruiert. Ein Schauspieler wie etwa Horst Baker (Oswald, Hamlet) könnte in einem anderen Ensemble, das seiner besonders lebhaften Gestik und sprachlichen Lebendigkeit mehr entgegenkommt, zweifellos größere Erfolge eizielen. Ebenso steht der starke Charakterdarsteller Hans Rüdgers zumeist allein auf der Bühne, wenn es um ihn auch noch so sehr bevölkert ist.

Das Ensemble des Landestheaters, dem leider nur der kleine Rittersaal im Landhaus zur Verfügung steht, spielt — so scheint es zumindest dem Zuseher — mehr mit Herz. Hier fühlt man selbst bei sdiwächeren Einzelleistungen die Zusammengehörigkeit der Leute auf der Bühne.

Ihr Leiter, Direktor Dr. Hans Jörg Adolfi, wird mit Ende dieser Spielzeit sein Amt niederlegen. Wenn auch eingangs an dem Gesamtspielplan beider Theater Kritik geübt wurde, so soll die Arbeit Dr. Adolfis doch gern gewürdigt werden. Er hatte den Mut, ein kleines Theater ins Leben zu rufen, das nicht der seichten Unterhaltung, sondern der Kunst dienen sollte. Daß es ihm nicht immer gelungen ist, ist Schuld jener Mächte, von denen wir sprachen. Nun erwartet man sich viel von seinem Nachfolger Adolf Böhmer, bisher Oberspielleiter am Sender Alpenland. Auch er voller Pläne wirklich künstlerisdier Erneuerung. Wird einmal ein Mann stärker sein als Bürokratie und Finanzwirtschaft? Wir wollen es hoffen. Vor allem um der Jugend willen. Denn die will nicht ins Theater gehen, um sich zu unterhalten, sondern zu erleben: eine neue Botschaft erleben.

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