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Es geht um die Burg

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Wien oder sagen wir einschränkend besser die Fachleute, Prominenten, Polemiker und Kiebitze des Wiener Theaterbetriebs sind um eine Sensation ärmer. Gemeint ist das beliebte Gesellschaftsspiel mit dem Kehrreim: Wer wird der nächste Burgtheaterdirektor? Samt dem Sortiment von chronischen und neuen, echten und falschen Kandidaten, nachdem der regierende Burgtheaterchef erklärt hatte, sich Ende August 1968 endgültig „von seiner aufreibenden Tätigkeit” zurückzuziehen. Verblüffend rasch verlor das in Wien so leidenschaftlich gepflegte Quiz, das die Mitspieler Wochen und womöglich Monate in Atem halten sollte, an Spannung, als sich der Interessentenkreis zusehends verengt hatte und der Mann der Wahl schließlich in Paul Hoffmann gefunden war.

Im Rennen um die Nachfolge ging es zunächst vor allem um das Spiel, das Tauziehen, weniger um sachliche Diskussionen, welche notwendigen Änderungen man mit dem Direktionswechsel erwarten sollte und könnte. Wozu auch? Den künstlerischen Bankrott zu verkünden ist man seit der Wiedereröffnung des Theaters nicht müde geworden, und die Krise der „Burg” reicht bereits ins vorige Jahrhundert zurück. Blättert man im Jahrgang der „Neuen Freien Presse” von 1889, so trifft man auf ein Feuilleton von Ludwig Speidel mit dem Titel „Die Krise des Burgtheaters”. So gesehen, erscheint die Geschichte der „Burg” ohnehin als eine einzige Kette von Krisen — nur daß das Burgtheater sie alle überlebt hat.

In dem launigen Feuilleton von Erhard Buschbeck über „Wien und der Burgtheaterdirektor” machte ein Gedankengang stutzig: Daß im Grunde nämlich sämtliche Pläne und Absichten der Direktoren an dem starken und zähen Eigenwesen, „Burgtheater” genannt, gescheitert seien, denn eine einzelne Persönlichkeit könne ihm gar nicht beikommen. Nähme man das wörtlich, so wäre es schlecht bestellt um die Möglichkeiten des Nachfolgers, dem „Prunk- und Ruhestandinstitut”, wie es die Spötter nennen, ein neues Profil zu geben. Dann hätte jenes Bonmot recht, ja nicht zuviel von dem neuen Direktor zu verlangen. Denn der müsse erst die Fehler wiedergutmachen, die seine Vorgänger begangen hätten. Hat er sie aber endlich wieder gutgemacht, dann hat er auch schon wieder so viele eigene Fehler begangen, daß es besser gewesen wäre, sich erst gar nicht darauf einzulassen. Tatsache ist, daß es heute schwerfällt, einen der führenden deutschsprachigen Theaterleiter in Europa für diese fragwürdige Stelle zu gewinnen, offenbar weil es den meisten von ihnen wenig aussichtsreich scheint, das glanzvolle Institut nach künstlerischen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu leiten, wie sie überall maßgebend sein sollten.

Nun glaubt man für diesen komplizierten und revisionsbedürftigen Theatermechanismus die starke Persönlichkeit, den Mann von Format und echter künstlerischer Autorität gefunden zu haben, der sich gegenüber den Rechten und Privilegien der Burgtheaterhausmacht wird durchsetzen können.

Ein Burgtheaterdirektor darf sich gar nicht ausschließlich, ja nicht einmal vorwiegend den künstlerischen Aufgaben widmen, sondern ist im gleichen Maße für die organisatorischen Einrichtungen und sozialen Probleme zuständig. Wieviel Konzi- lianz und menschlichen Takt erfordert allein schon der Ausgleich zwischen der älteren und der jüngeren Generation und ihren unterschiedlichen Stilen der Darstellung? Welches Maß von Vertrauen ist in einem unzufriedenen und darum aufbegehrenden Teil des Ensembles wiederherzustellen, um Spannungen und Konflikte, wie sie vor einiger Zeit auftauchten und in aller Öffentlichkeit ausgetragen wurden, zu vermeiden! Der Nachfolger kann gewiß kein Übermensch und Zauberer sein (den es zur Stunde nirgendwo im Theater deutscher Zunge gibt), aber er wird behutsam an manches Gute anknüpfen und zugleich energisch und konsequent versuchen müssen, das Verbesserungsbedürftige zu wandeln. Es soll hier keine Soll-und-Nicht- Haben-Bilanz mit all- und altbekannten Details aufgestellt werden. Deren Hauptpunkte: planlose Repertoirebildung, finanzielle Mißwirtschaft, Kommen und Gehen der Schauspielerprominenz nach Belieben auf Grund haarsträubender Sonder- und Urlaubsklauseln, unzureichende Beschäftigung vieler Darsteller sind ohnedies in aller Mund. Immerhin befinden sich augenblicklich 35 Mitglieder des Ensembles auf Urlaub.

Unterrichtsministerium und Bundestheaterverwaltung postulierten als Voraussetzungen des Nachfolgers die folgenden Tugenden:

• Erfahrung neben verbürgter Reife und Besonnenheit;

• Wahrung der Kontinuität der gegenwärtigen Ära, auf daß sich der Direktionswechsel bruchlos vollziehe; und schließlich

• Gewinnung des Vertrauens des Hauses, das heißt der Schauspieler wie des übrigen Personals.

Der amtierende Direktor freilich meinte, daß es sein Nachfolger schwer haben dürfte, in seinem Stil weiterzuregieren. Aber das soll er gar nicht — bei aller Wahrung der Kontinuität und der Tradition des Hauses.

Wie sonst könnte er einmal die vielen Improvisationen im Spielplan und andere Leerläufe ausschalten, die Instanzen koordinieren, von denen oft die eine von der andern nichts weiß, worauf dann immer mehrere Leute unabhängig voneinander das gleiche tun. Er soll weder selbstherrlich wirtschaften noch alles (und das aus dem Vollen) selbst entscheiden, eingedenk dessen, daß der österreichische Staat für seine Theater heute mehr Geld aufbringen muß als für seine sämtlichen Gesandtschaften und Botschaften. Er wird nicht dauernd im Gespräch sein wollen und sensationelle Ankündigungen über Starschauspieler, Starregisseure und Starensembles machen, wovon dann ohnehin nur ein Bruchteil zu verwirklichen ist. Er wird das Theater nicht auf persönliche Neigungen gründen, sondern gemeinsam mit seinen engsten Mitarbeitern und einem jüngeren, tüchtigen, theatererfahrenen Dramaturgen die Richtlinien für einen Stil festlegen, der die Synthese des Alten mit dem Neuesten anzubahnen hätte. Er wird immer wieder nach den Werken des klassischen Bestandes greifen und ihnen dank der einfallsreichen Frische der Inszenierung den Reiz der Diskutierbarkeit zurückgeben lassen, eingedenk dessen, daß ein Theater seine Chance, noch Theater zu sein, verspielt hat, wenn es zum Museum wird.

Er wird, wenn er sein Instrument einmal besser in die Hand bekommt, weiser mischen, damit nicht, wie etwa zu Ende der vorjährigen Saison, gleich drei thematisch verwandte Stücke (faßt man sie unter dem Oberbegriff „Heikle Themen” zusammen, so waren es gar ein halbes Dutzend) hintereinander im Spielplan aufscheinen. Zwar wurde vor Jahren einmal die Bildung einer „überparteilichen Wiener Dramaturgie” angeregt, deren damaliger Initiator am „Patienten Theaterstadt Wien” (man höre und staune!) folgende Krankheitssymptome zu erkennen glaubte: Fieberhafte Spielplangestaltung, zu viele Stücke aus der „Mottenkiste”, zu wenig Experimente, krampfartige, dem Ensemblegedanken widersprechende Starengagements, blutleere Theaterabende. Nur, daß der im Grunde recht vernünftige Plan nie verwirklicht wurde, nur daß die Mehrzahl der genannten Symptome just am eigenen Theater des Initiators auftraten. Der Nachfolger wird als sichtbaren Ausdruck des neuen Geistes vielleicht sogar das traditionelle „Vorhangverbot” im Stammhaus auf- heben, wenn schon die Burg- Dėpendance, das Akademietheater, für Star-Shows da ist. Dann wird das Burgtheater mit einem Ensemble, um das man es im ganzen deutschen Sprachgebiet immer noch beneidet, das liefern, was von ihm erwartet wird: nicht nur Spitzenaufführungen, sondern auch Maßstäbe; dazu eine Durchschnittsqualität, die zum mindesten höher liegt als jene anderer Theater. Der Nachfolger wird fernab des nur charmanten, konzilianten Managertyps, aber auch fernab aller Autokratie jene natürliche Autorität und Verantwortung entwickeln, die für alles, was an diesem Theater mit seinen hunderten Mitarbeitern geschieht, zuletzt doch einsteht.

Hermann Hesses Satz, „allem Anfang wohnt ein Zauber inne”, mag nicht zuletzt auch für den Neubeginn in der „Burg” gelten. Für die Zwischenzeit zitieren wir aus dem Porträt eines „idealen Intendanten”, wie es kürzlich der Frankfurter Intendant entworfen hat, jene Charaktereigenschaften, die wohl auch dem künftigen Leiter des Burgtheaters zustatten kämen, damit er sein schweres Amt durchstehe: „Er muß einen breiten Rücken, eiserne Gesundheit, die Haut eines Elefanten und die Nerven eines Sportchampions besitzen.”

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