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Keine Durststrecke an der „Burg“

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Die langwierige und von Peinlichkeiten begleitete Schlacht um die Nachfolge Gerhard Klingenbergs ist geschlagen: Achim Benning ist ernannt, er wird sein Amt 1977 antreten. Die Presse hat ihn nicht enthusiastisch begrüßt („kleine“ Lösung), aber doch dürchbli’cken lassen, daß ihm ein gewisses Maß an Vertrauensvarschuß sicher sei, So weit, so gut. Kaum jemand aber scheint sich Gedanken scu machen, wie das Haus und sein Ensemble die restlichen zwei Jahre der Ära Klingenberg überstehen soll, ohne Schäden zu nehmen, die sich wirklich nicht mehr reparieren lassen.

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Die langwierige und von Peinlichkeiten begleitete Schlacht um die Nachfolge Gerhard Klingenbergs ist geschlagen: Achim Benning ist ernannt, er wird sein Amt 1977 antreten. Die Presse hat ihn nicht enthusiastisch begrüßt („kleine“ Lösung), aber doch dürchbli’cken lassen, daß ihm ein gewisses Maß an Vertrauensvarschuß sicher sei, So weit, so gut. Kaum jemand aber scheint sich Gedanken scu machen, wie das Haus und sein Ensemble die restlichen zwei Jahre der Ära Klingenberg überstehen soll, ohne Schäden zu nehmen, die sich wirklich nicht mehr reparieren lassen.

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Es handelt sich ja nicht darum, daß man einen Mann loswerden möchte, weü man ihm nicht verzeiht, daß er schon ein und ein halbes Jahr nach Amtsantritt als Burg- theateidirektor „für seine Zukunft vorgesorgt“, also mit Zürich abgeschlossen hat, es handelt sich darum, daß dieser Mann nicht nur mit all seinen hochfliegenden Plänen, die sich sehr bald als leere Schlagworte erwiesen haben, gescheitert ist, sondern auch in der rein organisatorischen Führung des Hauses versagt hat.

Die zahllosen Pramierenvenschie- bungen, Umbesetzunfgen, Absagen von Regisseuren und Schauspielern, Absetzungen geplanter Stücke und dergleichen, die Klingenbergs Unfähigkeit, klare und vor allem realistische Dispositionen zu treffen, hinlänglich erwiesen haben, sind bekannt, ebenso die (äußerst kostspielige) Aufblähung des Ensembles von 120 auf 180 Mitglieder (Externisten inbegriffen), von denen trotzdem ein Teil, meist solche, die vor ihm da waren, und auch sehr prominente, spazieren gehen, während andere glatt verheizt werden.

Über diese immer chaotischer werdenden Zustände scheinen sich die leitenden Herren im Ministerium und im Bundestheaterverband nicht klar zu sein, sonst könnten sie nach der Designierung des erst in zwei Jahren sein Amt antretenden nächsten Direktiors nicht so vertrauensvoll die Hände in den Schoß legen und darauf vertrauen, daß es „irgendwie“ schon gehen werde. Natürlich geht es immer „irgendwie“. Das Burgtheater hat in seiner nun bald zweihundertjährigen Geschichte eine Fülle schlechter Direktoren verdaut, darin besteht — zum Glück — die Kraft dieses Hauses, aber ist es nicht etwas leichtsinnig, sioh auf diese fast schon sagenhafte Widertandsfähig- kedt des Burgtheaters immer wieder zu verlassen?

Das Ensemble des Burgtheaters hat in seiner letzten Vollversammlung einen Lagebericht gefordert, der zur Zeit von der Ensemblevertretung zusammen mit dem Betriebsrat ausgearbeitet wird. Es ist zu hoffen, daß er den zuständigen Herren über die zwingende Notwendigkeit einer vorzeitigen Ablöse Gerhard Klingenbergs die Augen öffnen und zum Nachdenken darüber anregen wird, wie diese durOhgeführt werden soll.

Es ist klar, daß man Achim Benning nicht zumuten kann, die Geschicke des Hauses jetzt schon in seine Hand zu nehmen (was er selbst ja auch dezidiert abgelehnt hat). Er wird es auch in zwei Jahren noch schwer genug haben und schließlich braucht er diese zwei Jahre ja auch, um seine Direktionszeit vorzubereiten. Aber es gibt ja zwei Vizedirektoren, die schon bisher für die Ausführung der künstlerischen und organisatorischen Belange verantwortlich waren, nämlich Erich Auer und Heinrich Kraus. Es ist nicht anzunehmen, daß das Burgtihea’ter schlecht bedient wäre, wenn sie in den zwei Jahren eines möglichen Interregnums auch Entscheidungen zu treffen hätten. Hat nicht Gerd Bacher einmal gesagt, Abfertigungen seien oft die besten Investitionen? Man sollte darüber nach- denken.

Man sollte auch darüber naeh- denken, wie man die Bürde, die für Achim Benning ja in jedem Fall eine schwere sein Wird, doch ein wenig erleichtern könnte, statt ihm das Erbe noch bitterer zu machen.

Zwei Jahre der Ruhe, denen vielleicht der vieistrapazierte „Glanz“ fehlen mag, in denen aber langsam wieder normale Verhältnisse und ein erträgliches Arbeitsklima einkehren, könnten dem Haus und den Schauspielern zu einer Konsolidierung verhelfen und Benning zu einer Basis, auf der sich Neues bauen läßt.

Was den zitierten Glanz betrifft: Man hat Achim Benning bereits vor geworfen, daß er ihn nicht besitze, daß er eine „Durchschnittsfigur“ sei, Grau in Grau Irgend etwas muß man einem Mann ja vorwerfen, der einen solchen Posten bekommt und möglichst natürlich noch bevor er selbst etwas beweisen kann. Darauf hat der zu keinerlei hohltönenden Phrasen und .programmatischen Erklärungen“ neigende, kühle und zurückhaltende Mann aus dem Norden geantwortet: „Die Attraktionen eines Theaters sind seine Vorstellungen und seine Schauspieler. Regisseure, Dramaturgen und Direktoren sind nur bedeutende Hilfskräfte,“ Und: „Ich möchte, wenn ich es kann, ein Helfer der Dichter und ein Förderer der Schauspieler sein.“

Das ist bereits ein sehr deutliches „Programm“ und eines, vor dem man nur den Hut ziehen kann. Vor allem aber eines, dem das Ensemble seine volle Unterstützung geben wird. Der kommende Direktor ist einer, der gewillt ist, sich in den Dienst des Hauses zu stellen, nicht einer, der das Haus als Vehikel eigener Ambitionen und als Tummelplatz waghalsiger Experimente mißbrauchen will. Also eine echte Alternative zu seinem Vorgänger. Ein neuer Mann, mit dem auch eine neue Gesinnung einziehen wird, eine der Solidität, der Redlichkeit, der ehrlichen Arbeit. „Wie fad!“ schreien die Fetischisten der „glanzvollen", „internationalen“ Lösungen, die Gobert- und die Strehler-Fans und Wie sie alle heißen, die Jammerer nach einem neuen Reinhardt oder Gründgens.

Gründgens- und Reinhardt-Theater sind nach dem Abgang ihrer Gründer und Gestalter verschwunden, und genauso wird es mit Strehlers „Piccolo Teatro“ sein. Das Burgtheater besteht seit 200 Jahren, und es ist ihm zu wünschen, dem Haus und seinem Ensemble, daß ihm die neue Ära eine Periode der Ruhe und der adäquaten Arbeitsbedingungen bringt. Das wären gewiß die schönsten Geschenke zum bevorstehenden Jubiläumsjahr 1976.

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