6957781-1984_37_01.jpg
Digital In Arbeit

Tote Hunde per Dekret ?

Werbung
Werbung
Werbung

Monate ist's her. Schauplatz: Das Pausenbuffet im zweiten Stock des Burgtheaters. Anlaß: Die traditionelle Pressekonferenz vor dem Sommer. Achim Benning hat den Spielplan seiner vorletzten Spielzeit als Burgtheater-Direktor erläutert.

Lustlos werden ein paar Fragen gestellt, haken ein, zwei Presseleute bei untergeordneten Details ein. Das übliche Hickhack will sich nicht entfalten. Etwas verblufft, etwas resigniert blickt Benning in die Runde. Kaum mehr als fünf Minuten hat gedauert, was sonst erst jetzt so richtig losging.

Es ist einfach nicht zu übersehen, daß die österreichische Kulturpublizistik Achim Benning bereits abgeschrieben hat. Mir gefällt sie ganz und gar nicht, diese deutlich reduzierte Neugierde, mit der unsere Zeitungen Ben-nings letzten zwei Spielzeiten in Wien, immerhin einem Fünftel seiner zehnjährigen Tätigkeit als Burg-Direktor und der zweitlängsten Direktionsära in der Geschichte des Hauses, entgegensehen.

Benning per Presse-Dekret zum toten Hund zu erklären, weil der Nachfolger schon designiert ist, wäre unfair, keineswegs nur ihm selbst gegenüber. Es wäre doppelte Unfairneß.

Es wäre unfair, weil das nur mit einem müden Auge registrierte Geschehen unweigerlich den Status des nicht mehr besonders Wichtigen bekäme, weil Leistungen, die in den nächsten zwei Jahren im Burg- und Akademietheater und im Dritten Raum erbracht werden, das Handikap der Zweitrangigkeit zu tragen hätten.

Wie kommen Regisseure, Schauspieler, Autoren dazu, dieses Odium auf sich zu nehmen, bloß, weil wieder einmal ein Rennen als gelaufen gilt und in Wien das Gar-net-amal-Ignorieren seit je die subtilste Steigerungsstufe der Aggression darstellt?

Den Direktor der nächsten zwei Spielzeiten als toten Hund zu behandeln, wäre auch deshalb unfair, weil zumindest die nächste eine Reihe interessanter Ereignisse verspricht. Wir werden einen neuen Hochhuth als deutschsprachige Erstaufführung sehen, was bekanntlich stets auch dann spannend ist, wenn es sich um einen schwachen Hochhuth handelt (handeln sollte). Wir werden wichtige Erstaufführungen sehen, von Thomas Hürlimann bis Lars Noren, einen neuen Kohout, ein Kinderstück von Jerome Sa-vary — also, immerhin, immerhin.

Darauf, der Bundesrepublik hinterherzuhatschen, war nicht nur Benning spezialisiert. Les-sings „Nathan“ hält er sicher nicht zufällig in einem Jahr für wichtig, in dem auch Dutzende deutsche Bühnen den „Nathan“ spielen. Daß er des Österreichers Musil Stück „Vinzenz oder die Freundin bedeutender Männer“ wiederentdeckt, ist schön, aber leider auch ein Re-Import.

Wieder wird kein lebender Österreicher gespielt. Wirklich wenig Anlaß, Benning nachzuweinen, werden Österreichs lebende Autoren haben. Da hatte er kein Interesse, keine glückliche Hand.

Aber der Kälte, mit der Österreichs Kulturjournalisten Benning fühlen lassen, was für ein toter Hund er für sie ist, ist die nicht sympathischere Raffinesse würdig, mit der deutsche Blätter bereits begonnen haben, den Ben-ning-Nachfolger Claus Peymann in die Ecke der toten Hunde abzudrängen. Benning wird in Wien als toter Hund behandelt, weil er abgeht, Peymann in Deutschland, weil er nach Wien geht.

„theater heute“ ist eine Zeitschrift, der man schon die Macht zutrauen darf, Trends ein bisserl zu beschleunigen oder zu bremsen. In einem Gespräch mit „theater heute“ mußte sich Peymann geradezu dafür rechtfertigen, daß er in eine Stadt geht, die so konservativ ist, daß da die Leute noch ins Theater gehen, und so reaktionär, daß ihren Kritikern einst Noeltes „Tartuffe“-Inszenierung nicht gefiel. Lang, lang ist's her, aber solche Sünden werden nie vergeben.

In der Bundesrepublik mag man uns Österreicher, so lang wir uns nicht erdreisten, unsere kulturellen Leistungen im eigenen Land zu erbringen, man mag uns als Flüchtlinge vor dem ortsansässigen Muff, vor Enge und Borniertheit .. .Hättendie Deutschen nicht Österreich, müßten sie sich glatt so ein Land erfinden, so ein komisches Fantasien, um in solcher Haßliebe sich ihm überlegen fühlen zu können.

Geht ein Peymann nach Österreich, darf es sich nur um einen Abstieg handeln. Das ist ein ganz strenges Tabu. Anderes läßt die fixierte Erwartungshaltung nicht zu. Der Benning-Nachfolger bekam es auch in einem Gespräch mit dem „Spiegel“ diskret zu spüren, oder sagen wir ruhig: schon etwas weniger diskret. Das ganze Wiener Theater sozusagen als toter Hund.

Benning weiß wohl um diesen deutschen Trick. Die Wiener Uraufführung des schwachen Stük-kes „Das alte Land“ von Klaus Pohl wird Benning in Deutschland hoffentlich nützen. Er mag ja ein Opfer der Wiener Theaterintrige sein, doch ihr deutsches Gegenstück arbeitet, wenn auch mit etwas anderen, ganz sicher nicht mit feineren Mitteln.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung