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Zur Opernreform

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Das Problem der Wiener Staats- oper ist jenes Problem, das im kulturellen Leben der österreichischen Hauptstadt das größte Unbehagen hervorruft. Diese Tatsache allein sollte jedoch schon ein neues Unbehagen auslösen, denn von allen kulturellen Problemen ist das der Oper das unbedeutendste. Die Oper spielt nämlich heute im geistigen Leben der Völker nur eine geringe Rolle. Dafür auf die Barrikaden zu steigen, lohnt sich nicht. Die Oper erreichte ihren Höhepunkt im 19. Jahrhundert, als Opern von Verdi Revolutionen auslösten und das Werk Richard Wagners sogar eine Weltanschauung prägte. Heute ist dfe Oper nur noch das geistige Überbleibsel der Romantik. Als Antrieb zu Revolutionen oder als Grundlage für Weltanschauungen besitzt sie keine Kraft mehr.

Ungeachtet dieser Entwicklung steht die Wiener Oper in Österreichs Kulturleben noch immer im Mittelpunkt des Interesses. Sie zählt zu den vier berühmtesten Opernhäusern der Welt und nimmt deshalb einen Rang ein, der weit über die sonstige Stellung Österreichs im Kulturleben der Gegenwart hinausreicht. Die Wiener Oper und in bescheidenerem Rahmen auch das Burgtheater sind nämlich die letzten Reste eines Österreich, das einst zu den europäischen Großmächten zählte. Es kommt deshalb einer Art Erinnerungsrausch an Österreichs verblichene Größe gleich, wenn die Ereignisse rund um die Wiener Oper so viel Gemütsbewegungen zu erregen vermögen.

Wenn wir aber von diesen Gefühlswerten absehen, erscheint uns das Problem der Wiener Oper in einem nicht sehr günstigen Licht. Um der Gerechtigkeit willen muß gesagt werden, daß dies kein alleiniges Wiener Problem ist. Wir können vielmehr von einer Weltkrise der Oper sprechen, wofür vor allem zwei Gründe verantwortlich sind: Das Fehlen zeitgenössischer Werke, die sich auch beim Publikum durchsetzen und zu Repertoireopern werden. Durch dieses Fehlen verliert die Oper ihre Beziehung zur Gegenwart, ihren Aktualitätswert sowie jede Möglichkeit, sich auf revolutionärem oder evolutionärem Weg weiterzuentwickeln. Die Oper von heute befindet sich in einem Stadium des Status quo, des Feindes jeglichen Fortschritts. Die Sänger, Dirigenten und Regisseure bemühen sich ständig um die gleichen 50 Opern, von denen im Laufe eines Jahrzehnts mehr absterben als neue hinzukommen. Der andere Grund ist die allmähliche Auflösung von Ensembles, die an ein Haus gebunden sind. Das Stagioneprinzip ist Trumpf und’ wird von allen Seiten angepriesen. Es führt jedoch zu einem schnelleren Verbrauch der Stimmen und läßt deshalb in vielen Fällen das Reifen der Sänger zu Persönlichkeiten nicht zu. Es vernachlässigt das zeitgenössische Werk, weil dieses den Künstlern zuweniig Erfolg und dadurch auch zu wenig Gage einbringt.

Gegen das Fehler erfolgreicher zeitgenössischer Opernwerke gibt es kein Heilmittel, weil das Schöpferische in einer Kunstgattung von außen nur angeregt und gefördert, niemals aber ins Leben gerufen werden kann. Gegen das Sterben des Hausensembles jedoch läßt sich einiges unternehmen. Hier hätte die Wiener Oper noch immer wichtige Aufgaben zu erfüllen.

Das Grundübel bei Erörterungen über das Problem der Wiener Staatsoper liegt darin, daß es fast nur um die Frage geht, wer der Direktor des Hauses ist oder wird. Sagen wir es einmal offen: Es gibt keinen idealen Direktor und es hat auch noch keinen gegeben, ob er nun Gustav Mahler, Richard Strauss, Franz Schalk, Clemens Kraus oder Herbert von

Karajan hieß. Nach Meinung der Wiener müßte der ideale Opem- direktor eine solche Fülle von Eigenschaften besitzen, die in einem einzigen Menschen nicht vereinigt sein können. Er müßte ein genialer Komponist, ein großer Dirigent und Regisseur, ein hervorragender Verwaltungsmann, ein kluger Diplomat, ein energiegeladener Unternehmer, ein brutaler Sparmeister und ein phantasievoller Spielplangestalter sein. Mit einem Wort, er müßte der liebe Gott in Person sein. Da es nun einmal so ist, daß selbst das Genie nur auf wenigen Gebieten Überragendes zu leisten vermag, gerät jeder Wiener Operndirektor in die Lage, daß der Mangel an den anderen Begabungen sofort als Minuspunkt gewertet wird. Rechnet man hinzu, daß in Wien alles Sachliche sofort ins Persönliche umschlägt, so ist die Behauptung gar nicht so absurd, daß der Sessel des Staats- operndirektors schon angesägt ist, ehe noch ein Mann darauf sitzt.

Nun besteht kein Zweifel, daß im Zeitalter des Managements auch die Leitung der Oper in erster Linie einen Manager benötigt, der natürlich eine musische Ader besitzen muß. Ausübende Künstler sind deshalb weniger geeignet, es sei denn, sie besitzen Führungsqualitäten und können die Verantwortung richtig delegieren. Nehmen wir jedoch an, es wird edn begabter Mann als künftiger Direktor der Staatsoper gefunden. Die Krise der Wiener Oper wird dadurch noch nicht gelöst sein. Die

Wiener Oper ist reformbedürftig, wobei die Besetzung des Direktorenpostens wohl wichtig, aber bei weitem nicht das Wichtigste ist. Der entscheidende Fehler in der Geschichte der Wiener Oper geht auf das Jahr 1955 zurück, als man nach Wiederherstellung der Staatsoper am Ring das Theater an der Wien als zusätzliches Haus aufgab und die Volksoper als zweites, völlig unabhängiges Opernhaus einrichtete. Zwei selbständige Opernhäuser in Wien mit einer zehnmonatigen Spielzeit übersteigen aber die finanziellen und künstlerischen Kräfte unseres klei nen Landes. Dazu kommt, daß der Spielplan, der auf Grund des Fehlens zeitgenössischer Werke kaum für ein Haus genügt, für zwei fast gleichgroße Häuser eine einzigartige Verlegenheit darstellt. Die Lage würde sich vollständig ändern, wenn statt der Volksoper das Theater an der Wien als zweites Opernhaus eingerichtet würde. Mindestens neun Vorteile könnten dadurch erzielt werden:

1. Eine Verwaltungsvereinfachung, da die Direktion der Staatsoper auch die Leitung des Theaters an der Wien übernimmt, womit die gesamte Volksoperndirektion überflüssig würde.

2. Die Übernahme dies technischen Personals, des Orchesters und der besten Kräfte von Chor und Ballett von der Volksoper, was nicht nur eine Lösung des Problems eines genügend starken Staatsopernorchesters, sondern auch die Siebung alles überflüssigen und qualitätsmäßig nicht entsprechenden Personals in beiden Häusern mit sich brächte.

3. Eine ausgewogene Spielplangestaltung. Die Staatsoper bekäme ein Haus für die Spieloper, die klassische Operette, abar auch für die moderne Oper und für hochwertige Musicals. Es besteht kein Zweifel, daß sich derzeit die Wiener Oper auf dem Gebiet der zeitgenössischen Musik zu wenig engagiert, wobei das geringe Publikumsinteresse und der damit verbundene Schwund von Einnahmen als Hauptgründe angeführt werden. Im wesentlich kleineren

Theater an der Wien erhielte dieser Nachteil geringeres Gewicht.

4. Der volle Einsatz des Balletts. Die Wiener Staatsoper besitzt eine der größten Ballettgruppen, doch wird das Opernballett nicht bis zur Spitze Vordringen, solange die Tänzer und Tänzerinnen ihre Künste zum größten Teil nur an der Stange im Übungssaal zeigen können. Der Traum des Wiener Opernballetts, ein ständiger Abend in der Woche, wäre im Theater an der Wien erfüllbar, wozu noch der Einsatz bei klassischen Operetten und Musicals käme. Der volle Einsatz des Opemballetts würde nicht nur Einsparungen mit stich bringen, da eine derzeit zuwenig ausgenützte Kraft voll eingesetzt werden könnte, sondern würde auch in nicht allzu ferner Zeit der Wiener Oper auf einem Gebiet Ruhm einbringen, auf dem er ihr bisher versagt geblieben ist.

5. Im Falle einer der fast jedes Jahr stattfindenden Welttoumeen der Philharmoniker wäre die Staatsoper nicht gezwungen, ein fremdes Orchester zu engagieren und nach Krampflösungen im Spielplan zu suchen. Die Direktion könnte für die drei oder vier Wochen der Abwesenheit des philharmonischen Orchesters das Theater an der Wien schließen und im Haus am Ring einen normalen Opernbetrieb weiterführen.

6. Um das technische Personal zu entlasten, wäre es ohne Schwierigkeit möglich, das Theater an der Wien einen Tag in der Woche während der schwächeren Saison zu schließen.

7. Das Problem, daß in den Monaten Mai und Juni zumeist mehr Solisten in Wien anwesend sind, als Abende für ihren Einsatz zur Verfügung stehen, wäre mit der Einrichtung des Theaters an der Wien als Nebenhaus der Oper sofort gelöst. Bezahlte, aber nicht gesungene Abende gäbe es nicht mehr.

8. Die vollständige Einführung des Stagionesystems ist in einem Haus mit zehnmonatiger Spielzeit technisch unmöglich. Wer derartige For derungen stellt, offenbart nur, daß er vom inneren Betrieb eines Opernhauses von der Art der Wiener Oper wenig versteht. Anderseits wird es auch nicht zu umgehen sein, das Sta- gionesystem in einem weit größeren Ausmaß als bisher auch an der Wiener Oper zu pflegen. Im Theater an der Wien aber könnte die Direktion das Ensembleprinztp weiterhin in vollem Umfang aufrechterhalten, junge und noch nicht weltberühmte Kräfte nicht nur im Ensemblegeist erziehen, sondern auch das Gefühl der Zugehörigkeit zum Haus in ihnen stärken! Der Spielplan mit Spieloper, moderner Oper, Ballett und Musical würde dieser Ensemblepflege entgegenkommen.

9. Mit der Heranbildung eines Ensembles im Theater an der Wien wäre gewissermaßen eine Art Duell zwischen Stagione- und Ensembleprinzip möglich. Das Publikum könnte im Laufe der Zeit selbst über Wert und Unwert beider Systeme urteilen. Dies aber wäre nicht nur von aktueller, sondern auch von historischer Bedeutung.

Bleibt nur die Frage: Wie gelangt der Bund in den Besitz des Theaters an der Wien? 1955 scheute der Bund aus finanziellen Gründen vor der Erwerbung des Theaters an der Wien zurück. Inzwischen hat er in die Volksoper, in der er nur Mieter ist, fast ebensoviel Geld investiert, wie ihn der Kauf und die Renovierung des Theaters an der Wien gekostet hätten. Es war eine der schlechten Investitionen, wie sie in unserem Staat leider häufig sind. Nun müßte sich jedoch ein Weg mit der Gemeinde Wien finden lassen. Auch sie kann mit der derzeitigen Lösung im Theater an der Wien kaum allzu große Freude haben. Anderseits müßte sie schon aus fremdenverkehrstechnischen Gründen größtes Intersse daran besitzen, daß die Wiener Oper ihre derzeitige Krise so rasch wie möglich überwindet. Wir sind ein kleiner Staat, und es ist nicht nur lächerlich, sondern schädlich, wenn die Kräfte ständig auseinanderstreben. Es ist auf die Dauer unerträglich, daß die Wiener Oper, die Wiener Konzertgesellschaften, die Salzburger Festspiele und das Österreichische Fernsehen nicht an einem einzigen Strang ziehen. So wie die meisten Vorschläge wird auch dieser wahrscheinlich ülberhört werden, doch die Entwicklung der nächsten Zeit wird die für Österreichs Kulturleben Verantwortlichen schon noch zum Hören, Nachdenken und Handeln zwingen.

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