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Autonomie unter Aufsicht

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Der in der „Furche“ vom 15. März 1969 erschienene Artikel „Vier Zeichen an der Wand“ von Dr. Reimann hatte insbesondere wegen des vierten Punktes der Ausführungen über eine Neuordnung der Bundestheater lebhaftes Echo ausgelöst. Reimanns Vorschläge weichen wesentlich von denen der Aktion 20 ab, die dem Bundestheatergesetz, das die ÖVP im Parlament einbringen wird, als Grundlage dienen. Da jedoch auch die SPÖ einen eigenen Gesetzentwurf in dieser Materie einzubringen beabsichtigt, der die völlige Autonomie der Bundestheater, wie sie Dr. Reimann in seinem Artikel vertrat, zur Grundlage haben wird, geben wir wegen der Bedeutung dieser Frage für die Zukunft unserer Bundestheater Dr. Reimann die Möglichkeit, seine Ansichten, die er in seinem letzten Artikel nur streiflichtartig behandeln konnte, ausführlich darzustellen:

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Der in der „Furche“ vom 15. März 1969 erschienene Artikel „Vier Zeichen an der Wand“ von Dr. Reimann hatte insbesondere wegen des vierten Punktes der Ausführungen über eine Neuordnung der Bundestheater lebhaftes Echo ausgelöst. Reimanns Vorschläge weichen wesentlich von denen der Aktion 20 ab, die dem Bundestheatergesetz, das die ÖVP im Parlament einbringen wird, als Grundlage dienen. Da jedoch auch die SPÖ einen eigenen Gesetzentwurf in dieser Materie einzubringen beabsichtigt, der die völlige Autonomie der Bundestheater, wie sie Dr. Reimann in seinem Artikel vertrat, zur Grundlage haben wird, geben wir wegen der Bedeutung dieser Frage für die Zukunft unserer Bundestheater Dr. Reimann die Möglichkeit, seine Ansichten, die er in seinem letzten Artikel nur streiflichtartig behandeln konnte, ausführlich darzustellen:

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Die erfolgreiche Reform eines Instituts verleitet leicht zum Glauben,, daß die Anwendung eines gleichen Konzepts auch bei anderen Institutionen von Erfolg begleitet sein müßte. Im Fall der Bundestheater berief sich ein Vertreter der Aktion 20 in einem Rundfunkinterview darauf, daß die Reform des ORF der Aktion 20 bei ihren Reformvorschlägen für die Bundestheater Vorbild sei.

Nun mögen Rundfunk und Fernsehen äußerlich viele Berührungspunkte mit Theatern haben, ihrer inneren Struktur nach sind sie jedoch völlig verschieden. Rundfunk und Fernsehen sind Massenmedien, deren Programme auf den Geschmack vieler Millionen ausgerichtet sein müssen und deren Oberste Richtlinie die Aktualität ist. Sie sind darüber hinaus wenigstens in Europa Monopolbetriebe, das heißt, sie haben keine Konkurrenz zu fürchten und können die Gebühren für ihre Kunden nach ökonomischen Prinzipien festsetzten. Anders liegt das Problem bei den Bundestheatern. Wohl ist auch hier die Oper ein Monopolibetrieb, aber im negativen Sinn. Das heißt, es gehört zum Prestige des Kulturstaates Österreich, eine Oper zu erhalten, und noch dazu auf hohem Niveau, weil dem Ruf nach die Wiener Oper zu den führenden Opernhäusern der Welt gehört und einen Anziehungspunkt für die Fremden, die nach Wien kommen, darstellt. Da die Zahdungskraft der Besucher beschränkt ist, können die horrenden Ausgaben eines Opernabends nicht aus dem Kartenverkauf, sondern müssen zu zwei Dritteln durch Subventionen gedeckt werden.

Nun aber zum künstlerischen Problem. Der jeweilige Direktor des Theaters ist kein Koordinator, sondern der Herr des Hauses. Er muß zwar über ein erstklassiges Team verfügen, das ihn in allen Sachfragen berät, das Pläne ausarbeitet und Beschlüsse durchführt, doch ein richtiger Direktor bestimmt nicht nur die geistige und künstlerische Linie, sondern besitzt auch ständig den Uberblick über die finanzielle Lage seines Instituts. Er allein kann wissen, wie die vorhandenen Mittel am besten eingesetzt werden, wie viele Verträge er schließen darf, damit nicht ein Teil seines Ensembles spazierengeht, und welche Leistungen er von den verschiedenen Körperschaften seines Betriebes fordern kann. Nur ein autonomer Direktor weiß wirklich, wo jeweils am wirkungsvollsten Gelder im Rahmen des Budgetplanes umgewidmet werden müssen, falls aus unvorhergesehenen Gründen die ursprüngliche Planung geändert werden muß.Wie aber ist die augenblickliche Lage? Die Bundesflheater unterstehen verwaltungsmäßig der Bundestheaterverwaltung, die für die Budgetierung verantwortlich ist und die Verhandlungen mit den verschiedenen Körperschaften führt. Da jedoch künstlerische verwaltungsmäßige Agenden und finanzielle Fragen ineinandergreifen, übt die Bundestheater-verwaltung, sebst wenn sie es nicht wollte, Einfluß auf die künstlerischen Entscheidungen aus. Weil sie in Zusammenarbeit mit dem Finanzministerium und im Namen des obersten Chefs des Bundestheaters, des Ünterriehts-ministers, in allen finanziellen Fragen ihre Zustimmung geben muß, arbeitet der jeweilige Direktor im Grunde mit gebundenen Händen.

Die Aktion 20 hat eine Reihe von Reformvorschlägen für die Bun-destheater gemacht, die zu begrüßen sind. Die entscheidende Führungsfrage, allerdings scheint mir am Wesen vorbeizugehen. Der Vorschlag der Aktion 20 sieht als Lösung einen Generaldirektor vor, der mit wesentlich mehr Vollmachten ausgestattet ist als der derzeitige Leiter der Bundestheaterverwaltung. So soll er unter anderem das Vorschlagsrecht für die Ernennung der Direktoren und ein Kontrollrecht besitzen sowie verwaltungsmäßig die höchste Instanz darstellen. In künstlerischen Belangen allerdings soll den Theaterdirektoren ihre autonome Stellung bewahrt bleiben.

Wer jedoch die Verhältnisse in den Bundestheatern kennt, der weiß, daß, sollte dieser Vorschlag Gesetz werden, sich im Grunde nichts ändern wird. Das bisherige Verantwortungsringelspiel wird fortbestehen. Der Generaldirektor wird bloß das vierfache Gehalt des Leiters der Bundestheater beziehen, und die Verwaltung wird sich dank der erhöhten Stellung ihres Chefs zahlenmäßig erhöhen, die Direktoren aber werden weiter so wirtschaften wie bisher. Inoffiziell hat auch schon der Leiter der Bundestheaterverwal-tung jene Rechte, die der neue Generaldirektor offiziell erhalten soll. Dr. Egon Hillbert beispielsweise war als Leiter der Bundestheaterverwaltung zwischen 1946 und 1953 praktisch Generaldirektor und Alleinherrscher der Theater.

In der Führung eines Theaters läßt sich einfach das Künstlerische, Verwaltungsmäßige und Finanzielle nicht trennen. Ein Generaldirektor, der nicht alle Befugnisse, also auch die künstlerischen, besitzt, ist nur ein halber Generaldirektor. Nach allen Erfahrungen ist es deshalb vernünftiger, gleich den jeweiligen Theaterdirektor mit allen Vollmachten auszustatten und Zwischeninstanzen auszuschalten. Nur ein solcher Direktor wird das vorhandene Geld am sorgältigsten verwenden und ein künstlerisch hoch qualifiziertes Theater führen können.

Ein künftiges Bundestheaterge-setz sollte deshalb fünf Punkte enthalten:

1. Die Auflösung der Bundestheaterverwaltung.

2. Oper und Burgtheater werden autonome Theater. Die Direktoren verhandeln selbständig mit dem Finanzministerium über das Budget und die nötigen Subventionen. Dem Einwand, daß sich dadurch etwa die Verwaltung verdoppeln könnte, kann entgegnet ', werden, daß es derzeit praktisch eine vierfache Verwaltung gibt (Bundestheaterverwaltung, Staatsoper, Volksoper und Burgtheater).

3. Zu einer echten Reform ist es notwendig, daß die Volksoper, die keine echte Aufgabe besitzt, gegen das Theater an der Wien ausgetauscht wird. Dieses soll als zweites Haus der Staatsoper unterstellt werden. Über die Vorteile dieser Maßnahme habe ich schon zweimal in dieser Zeitung geschrieben. Sie seien nochmals kurz zusammengefaßt:

Die Zusammenlegung bietet eine wesentliche Verwaltungsverein-fachung und die Garantie, daß die Staatsoper auch bei Abwesenheit der Philharmoniker oder bei Gastspielen des Hauses Aufführungen ohne Niveauverlust herauszubringen imstande ist, weil während dieser Zeit das Theater an der Wien geschlossen werden kann. Künstlerisch aber ermöglicht diese Maßnahme eine intensivere Pflege der modernen Oper, die Vervollständigung von Orchester, Chor und Ballett durch Vereinigung mit den guten Kräften der Volksoper, während die derzeitige Doppelgleisigkeit beseitigt würde. Vor allem aber erhielte das Ballett die Chance zum künstlerischen Durchbruch, der die Wiener Oper im Laufe der Zeit in die Lage versetzen würde, auch auf dem Gebiet des Balletts eine führende Stellung zu erobern. Zuletzt aber soll noch ein wichtiger Punkt angeführt werden: für das große Haus am Ring ist bei der heutigen Situation das Stagione-Prinzip nicht zu umgehen. Im Theater an der Wien aber wäre es möglich, ein Ensemble aus jungen, begabten Künstlern heranzubilden, die nicht frühzeitig verheizt würden und sich langsam zu großen Sängern entwickeln könnten.

4. Die Bildung eines gemeinsamen Aufsichtsrates, der sich aus Vertretern zusammensetzt, die vom Unterrichts- und Finanzministerium, vom Parlament und von der Belegschaft der Theater ernannt werden. Der Aufsichtsrat genehmigt das Budget und erteilt dem Direktor die finanzielle und künstlerische Entlastung. Er bestellt auch den vom Unterrichtsminister vorgeschlagenen Direktor. Dem Aufsichtsrat könnte ein vom Unterrichtsminister ernannter, nur aus wenigen Personen bestehender Kunstbeirat konsultierend zur Seite stehen.

5. Die Errichtung einer Beschwerdestelle, die zwar mit den Direktionen eng zusammenarbeitet, jedoch dam Aufsichtsrat unterstellt ist, der auch den Leiter dieser Einrichtung ernennt. Damit wäre dem Publikum die Möglichkeit einer aktiven Mitarbeit gegeben.

Mit einer derartigen Reform wäre erreicht:

• Die ungeteilte Verantwortung Und das Ende bürokratischer Hemmnisse.

• Eine Verwaltungsvereinfachung größten Ausmaßes und die volle Klarheit über die Aufteilung der Kompetenzen.

• Die durch keinerlei Zwischeninstanz behinderte, volle künstlerische Entfaltung.

Der Verfasser dieses Artikels will mit seinen Vorschlägen zur Diskussion beitragen, die für ein so wichtiges Gesetz, das für längere Zeit eine Neuordnung innerhalb der Bundestheater schaffen soll, eine unbedingte Voraussetzung darstellt. Wenn eine Reform, dann von der Wurzel her. Andernfalls ist es besser man läßt den eingespielten Apparat bestehen und passe ihn modernen Gegebenheiten an. Dann kann man aber nicht von einer Reform, sondern nur von Verbesserungen sprechen.

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