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Herr Minister, haben Sie Mut!

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In den verschiedenen Konstellationen der Sterne der österreichischen Bundestheater war noch keine so prekär, so hoffnungslos verfahren, so aussichtslos ungünstig, wie die in diesen Tagen des Herbstes 1969. Wieder einmal haben die mahnenden Kassandrarufe des Rechnungshofes über die schon daran gewöhnte Atmosphäre des Parlaments hinaus die Öffentlichkeit aufgeschreckt: die Defizite werden höher, die Skandale gewaltiger, der Ruf unseres größten und berühmtesten Kulturkonzerns, welteinmalig und traditionsreich, wird immer schlechter, droht an Mittelmaß, Alltagsgleichgültigkeit und Abonnementsicher- heitsdenkeh von Besuchern und Besuchten zugrunde zu gehen.

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In den verschiedenen Konstellationen der Sterne der österreichischen Bundestheater war noch keine so prekär, so hoffnungslos verfahren, so aussichtslos ungünstig, wie die in diesen Tagen des Herbstes 1969. Wieder einmal haben die mahnenden Kassandrarufe des Rechnungshofes über die schon daran gewöhnte Atmosphäre des Parlaments hinaus die Öffentlichkeit aufgeschreckt: die Defizite werden höher, die Skandale gewaltiger, der Ruf unseres größten und berühmtesten Kulturkonzerns, welteinmalig und traditionsreich, wird immer schlechter, droht an Mittelmaß, Alltagsgleichgültigkeit und Abonnementsicher- heitsdenkeh von Besuchern und Besuchten zugrunde zu gehen.

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Die Hoffnung auf Reform scheint aussichtslos: der eiserne Zaun des Systems der Pragmatisierung scheint den Kreis der Bewerber um den Posten eines Leiters der Bundestheaterverwaltung von vornherein sehr einzuengen. Der Ball wird im Spiel um die Postenverteilung in der eigenen Mannschaft der Ministerialräte und Sektionschefs gehalten, uraltes ungeschriebenes Gesetz, stillschweigende Solidarität oft härtester beruflicher Gegner.

Nicht zuletzt aus diesem Grunde, aber auch aus dem großen Mißtrauen gegen Kulturbeamte wacht ein zweites Ministerium über das Geschehen in Bereich der Bqndestheater: das Bundesministerium für Finanzen. Auch dort sitzen ehrenwerte, nur ihren Dienstpflichten und amtlichen Aufgaben fleißigst nachgehende Beamte, die kontrollieren, inspizieren und sanktionieren.

Die österreichische Dreieinheit ist auch hier gegeben: die Gebäude der österreichischen Bundestheater sind der Bundesgebäudeverwaltung,

sprich: dem Bautenministerium,

unterstellt, womit sich der ministerielle Teufelskreis schließt.

Es sei uns an dieser Stelle erspart, die viele Bände füllenden Unzulänglichkeiten in der Führung und Gebarung der Bundestheater, die vom Rechnungshof in den Berichten des letzten Jahrzehnts immer wieder aufgezeigt wurden, hier anzuführen. Fragt man nach den Ursachen dieser verheerenden Auswirkungen, so stellen sich nach eingehender Prüfung immer wieder die im achselzuckenden Ringelrein einhertanzenden schuldlos Schuldigen dar: Pflichterfüllende nach Dienstpragmatik und vertraglich Gebundene in Abhängigkeit. Wer regiert in den Bundestheatem, wer bestimmt was? Hier gibt die Chronik unblutiger Machtkämpfe von größtem Kraftaufwand raffiniertester Intrigen und ausgeklügeltsten Koalitionsvereinbarungen der einzelnen Teile dem Wissenden traurige Auskunft Freilich werden immer die Gewerkschaft, das technische und das künstlerische Personal als die „wahrhaft Schuldigen“ an den Pranger der Öffentlichkeit gestellt. Sie sind in Wirklichkeit

I ob ihrer Geduld zu bewundern, Planlosigkeit, Ausreden und anonyme Willkür so lange ertragen zu haben. Denn letztlich sind es die Künstler, das technische Personal,

!i das allabendlich seinen Einsatz leistet, zusammen mit dem Publikum und dem österreichischen Steuerzahler, die auf der Strecke bleiben. Sie alle wissen nicht, wie ihnen geschieht, warum und von wem, sie alle sind Gefangene des Systems.

Dieses System zu ändern, machte sich unter anderem vor Jahren der kulturpolitische Arbeitskreis der Aktion 20 zur Aufgabe. Experten erarbeiteten aufgrund der Tatsache, daß dieser mit immerhin annähernd einer halben Milliarde aus Steuergeldern subventionierte Kulturbetrieb, der mehreren tausend Menschen Arbeitsplätze sichert, durch kein eigenes Gesetz geordnet ist, den Entwurf eines Bundestheatergesetzes. In diesem Entwurf werden die österreichischen Bundestheater auf eine eigenverantwortliche finanzielle Basis gestellt, indem sie als selbständiger Wirtschaftskörper eingerichtet werden. Nur durch Gesundung der inneren wirtschaftlichen Struktur (so durften z. B. bisher innerhalb der einzelnen Konten keine Umschichtungen vorgenommen werden, was zu ungeheuerlichen „Gebarungsblüten“ führte) kann die Zukunft der Bundestheater erfolgreich gesichert werden. Nicht nur der Rechnungshof, sondern auch unabhängige Fachkommissionen sollen jährlich die Gebarung prüfen. Da bequeme Subventionsdenken soll abgelöst werden von gesunden kommerziellen Überlegungen. So soll zum Beispiel für gute Vorstellungen, die schlecht verkauft sind, in Zukunft durch gezielte Werbung ein volles Haus gesichert werden. Das oft brachliegende Potential an künstlerischen Kräften soll durch Erweiterung der produktionstechnischen Möglichkeiten zur vollen Entfaltung gebracht werden (Tourneen, Austauschgastspiele mit den Bundesländern, Koordination der Festspdelaktivitäten, Ausnützung der Kontaktmöglichkeiten mit den Massenmedien, Anpassung an die Möglichkeiten des 20. Jahrhunderts, an Platte, Film und Tonband).

Den Bewohnern im Hause Österreich sollen alle Räume zur Verfügung stehen, auch die bisher einer exklusiven Minderheit vorbehaltenen Zuschauerräume von Burg und Oper. Der österreichische Steuerzahler soll durch die Massenmedien, die ja auch er durch seine Rundfunkgebühren erhält, teilhaben an der durch seinen Steuerbeitrag finanzierten Kunst am Ring. Diese „Verwertungsgesellschaft“ der österreichischen Bundestheater soll ihr Geld und ihre Funktion nicht nur aus dem Land beziehen, sie soll vielmehr durch Export österreichischer Kultur in die Welt Devisen in materieller und geistiger Form ins Land bringen.

Der Aktion-20-Entwurf versucht aber auch, die innere Arbeitsstruktur neu zu regeln. Grundgedanke ist der des Teams. Ein Generaldirektor ist Primus inter pares einer Gruppe von Experten. Ohne seine Einwilligung kann vom zuständigen Minister keiner dieser Einzelexperten bestellt werden, der Friede und das gute Arbeitsklima sollen damit gesichert sein. Einem Direktor für die beiden Opernhäuser soll ein Direktor für die Sprechbühnen, diesen beiden ein Direktor für die Technik und ein Direktor für die Administration zur Seite gestellt werden. Es sei an dieser Stelle nicht verschwiegen, daß hier die erfolgreiche Durchführung des Rundfunkgesetzes im ORF Pate gestanden ist. Die Verfasser des Aktion-20-Gesetzentwurfes sind der Ansicht, daß etwas Gutes zu übernehmein, das sich noch dazu bewährt hat, sich nur positiv auswirken kann. Ein Punkt aus dem Gesetzentwurf sei an dieser Stelle noch besonders erwähnt: die Nachwuchspflege. Wie in jedem großen Industrieunternehmen soll im Labor experimentiert, geforscht werden können nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten.

Dazu böte das aus Steuergeld gepachtete, für nichts und wieder nichts leerstehende Kämtnertortheater den idealen Rahmen.

Die im Aktion-20-Entwurf formulierten Sanierungsvorschläge wurden gründlich diskutiert und nach den gesetzestedmischen Erfordernissen von besten Juristen überprüft, zuständigen Beamten und nicht zuletzt Bundesminister a. D. Dr. Piffl-Perce- vic vorgelegt. Am 31. Dezember 1968 gab der Minister den offiziellen internen Startschuß durch eine Weisung an seine Beamten, aufgrund des Gesetzentwurfes der Aktion 20 Einwände und Zusatzvorschläge „in angemessener Frist“ zu erarbeiten, um letztlich dieses neue Bundestheatergesetz in den Nationalrat bringen und beschließen lassen zu können. Der Frühling zog ins Land, es geschah nichts. Nur der Komet kam immer näher. Ein drohendes Defizit, ein Kämtnertortheater-Skandal! Der Finanzminister weigerte sich, weitere Geldmittel zur Verfügung zu stellen, wenn ihm nicht konkrete Vorschläge zur Sanierung der Situation vorgelegt würden. Der gutwillige Unterrichtsminister trat — freilich aus anderen Gründen — im Sommer 1969 zurück. In seiner Schreibtischlade verborgen der Originalentwurf der Aktion 20, als Anlage der beamt- lich zensurierte. Mit dem neuen, jungen, dynamischen Minister zog mittlerweile auch der Herbst ins Land. Vorwahlstimmung breitet sich allenthalben in Parteizentralen und Mini- sterzimmem aus,

Stimme und Wählerauftrag, auf den Ihr Euch so oft beruft, Ihr Regierenden, habt Ihr nun fast vier Jahre gehabt. Für die Beschließung eines zusätzlichen Gesetzes hat der Terminkalender des Nationalrates sichtlich keinen Platz mehr, Euch Regierenden aber bleiben noch die Mittel von Weisung und administrativer Macht, Am 1. März 1970 kommt er, der Komet, ob zu Eurem Glück oder Unglück. Haben Sie daher Mut, Herr Minister!

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