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Das Populre und das Notwendige

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Dilettantismus ist es auch, wie die Verantwortlichen In Österreich an die Frage des 9. bzw. 13. Schuljahres herangegangen sind. Nahezu in allen Industriestaaten behandelte man dieses Problem in positivem Sinn. Als sich unser Parlament 1962 entschloß, auch in Österreich ein weiteres Schuljahr einzuführen, priesen die Redner aller Parteien, wie fortschrittlich doch unsere Schulpolitik sei und wie verantwortungsbewußt die Politiker für die Zukunft unseres Landes Vorsorgen. Jahre hatte man zur Vorbereitung Zeit, doch nun wird der überraschten Bevölkerung mitgeteilt, daß zuwenig Räume und Lehrkräfte vorhanden seien und, was noch schlimmer ist, daß man im Grunde nicht weiß, was dieses zusätzliche Schuljahr dem Schüler an echter Bereicherung für seine Berufs- oder Universitätsausbildung bringen soll. Kann man noch den Raummangel wegen Finanzierungsschwierigkeit und den Lehrermangel wegen zu geringem Interesse für diesen Beruf verstehen, so bleibt das fachliche Nichtvorbereiten nicht ganz verständlich. Was aber nun geschieht, läßt das ganze Unternehmen geradezu als Schildbürgerstreich erscheinen. Während einstmals die Bildung zum größten Stolz des Bürgertums gehörte, beginnt eben dieses Bürgertum gegen die Bildung Fronde zu betreiben. Während auf Grund des Fortschritts in Naturwissenschaft und Technik die Industriestaaten die Schulzeit verlängern, glaubt man bei uns, die Entwicklung einfach ignorieren zu können. Weil die Regierungspartei aber weiß, daß sich das angekündigte Volksbegehren . für die Abschaffung des zusätzlichen Schuljahres einer gewissen Popularität erfreut, nimmt sie eine etwas zwielichtige Haltung ein, und erst das mutige Eintreten des Unterrichtsministers hat sie ein wenig aufgerichtet. Hier können eine verantwortungsvolle Regierung und eine verantwortungsvoEe Volksvertretung doch nur eine Haltung einnehmen: Ist das zusätzliche Schuljahr notwendig, weil wir sensit in unserer Entwicklung zurückbleiben, dann darf auch ein Volksbegehren mit noch so vielen Unterschriften sie nicht hindern, das als richtig und für die Zukunft unseres Landes als notwendig Erkannte durchzuführen.

Wenn wir unsere Schulpolitik betrachten, so kann es niemand in Erstaunen setzen, daß wir auch nicht bereit sind, genügend Mittel für die Forschung einzusetzen. Was das für die Zukunft bedeutet, ist jedem Denkenden klar: Österreich wird in spätestens zwanzig Jahren den Status eines Entwicklungslandes einnehmen. Sicherlich, wir können in den zu'kunftsträchtigen Industriezweigen wie etwa der Weltraumfahrt, der Atomtechnik und Elektronik mit den großen Industriemächten nicht mithalten, doch gibt es auch noch eine Reihe anderer Industriezweige, in der auch kleine Länder, wie die Beispiele Schweden und Schweiz zeigen, mithalten können. Unsere Parteien stellen zwar Zukunftsprogramme auf und reden viel vom Jahre 2000, wo es doch so wichtig wäre, die nächsten zehn Jahre nicht zu versäumen. Hat sich einer unserer Politiker den Kopf darüber zerbrochen, welche Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit anderen Staaten für unsere Forschung gegeben sind? Es könnte leicht sein, daß wir vor lauter Stolz über unsere Neutralität und vor lauter Glück über unsere Kleinheit auch geistig und wirtschaftlich zum Ministaat werden. Der Amerikaner Kahn hat berechnet,daß die Bürger der großen europäischen Industrienationen Westdeutschlands, Frankreichs und Englands im Jahr 2000 nur die Hälfte des Einkommens der Bürger in den USA und Kanada erzielen werden, wenn die technologische Entwicklung in den genannten europäischen Ländern nicht vehementer vorangetrieben wird. Wenn dies für ein Land wie Westdeutschland gilt, das derzeit noch den dritten Rang als Industriemacht und den zweiten als Handelsmacht in der Welt einnimmt, um wieviel schlimmer sieht dann die Lage für unser Land aus, in dem Subventionen den Politikern wichtiger erscheinen als unsere technologische Entwicklung.

Haben wir auch zuwenig Geld für Schule und Forschung, so haben wir doch genügend Geld für-die Bundes-theater. Sie sind nach wie vor unser kulturelles Aushängeschild für das Ausland. Sie verleihen uns noch das Gefühl, eine kulturelle Großmacht zu sein. Daß dies allerdings schon seit langem nicht mehr stimmt, macht uns richtig nervös. Was lag deshalb näher, als daß die „Aktion 20“ einen Reformvorschlag als Grundlage für ein Bundestheatergesetz vorlegte. Mehr als ein Jahr wurde daran gearbeitet. Und das Ergebnis? Das, was als neuartig gepriesen wurde, ist so neu nun wieder nicht: Einen Generalintendanten für die Staatstheater gab es schon in der Ersten Republik, ohne daß deshalb die finanziellen und künstlerischen Probleme besser gelöst worden wären; die Kollaboration mit den Massenmedien strebte schon der verstorbene Leiter der Bundestheaterverwaltung, Ernst Marboe, an. Sie ist zweifellos wichtig, doch kommt ihr weder im künstlerischen noch im finanziellen Bereich derzeit eine entscheidende Bedeutung zu.

Die Zusammenarbeit mit der Schallplattenindustrie brächte wohl wesentliche Vorteile — beispielsweise finanziert die deutsche Grammophongesellschaft die Opemaufführungen der Salzburger Osterfestspiele mit—, doch ist auf Grund der festen Bindung von Sängern an verschiedene Plattenflrmen eine einheitliche Politik derzeit nicht möglich. Vielmehr finanzierte bisher die Wiener Oper, das heißt der österreichische Steuerzahler, die Plattenindustrie, da sie ihr den Großteil der Probenarbeit abnahm.

Was im übrigen die Bestellung eines Generalintendanten betrifft, so halte ich persönlich davon gar nichts. Der Vergleich mit der österreichischen Rundfunk- .und Fernsehgesellschaft ist völlig irreführend. Hier ist die Koordination von größter Wichtigkeit. Auch die Finanzbasis ist eine andere. Rundfunk und Fernsehen gehören zum täglichen Leben. Als Monopolbetrieb kann er es sich beispielsweise leisten, die Rundfunkgebühren um das Dreifache zu erhöhen, ohne deswegen Hörer zu verlieren. Die Staatsoper aber würde, falls sie zum Abbau des Defizits ihre Preise um das Dreifache erhöhte, das ganze Jahr hindurch halb leer sein, selbst wenn Karajan jeden Abend dirigierte.Ein Generalintendant, der praktisch Leiter der Bundestheaterverwaltung ist, nur mit den dreifachen Bezügen des derzeitigen Bundestheaterleiters, bedeutet lediglich eine unnütze Mehrbelastung für den Steuerzahler. Wenn er nicht in das Künstlerische hineinreden soll, sind, anders wie bei Rundfunk und Fernsehen, auch seine organisatorischen Aufgaben beschränkt, denn im Theater bilden das Künstlerische und das Organisatorische eine Einheit. Daß dem Generalintendanten die Direktoren der Theater verantwortlich sind, er selbst aber wieder dem Minister unterstellt ist, verteuert nur den Instanzenweg. Eine Koordinierung zwischen dem Opern- und Sprechtheater ist nicht gegeben, weil beide auf völlig verschiedener Basis beruhen.

Eine echte Reform der Bundestheater setzt die Auflösung der Bundestheaterverwaltung und die Autonomie der Staatsoper und des Burgtheaters voraus. Die Volksoper müßte gegen das Theater an der Wien eingetauscht werden, das als zweites Haus an die Staatsoper anzuschießen ist. Hier könnte nicht nur die Spieloper und die klassische Operette, sondern auch die moderne Oper gepflegt werden. Hier wäre auch der wöchentliche Ballettabend möglich, ohne den es keine Zukunft für das Ballett gibt. Derzeit besitzen Staatsoper und Volksoper Ballettgruppen, doch beide müssen verkümmern, was wieder eine finanzielle Zumutung für den Steuerzahler und eine künstlerische Verantwortungslosigkeit gegenüber dem Ballett darstellt Die Volksoper in ihrer heutigen Form hat keine Aufgabe. Sie bedeutet eine künstlerische Verlegenheit und kann nicht einmal ökonomisch vernünftig geführt werden, da sie beispielsweise erfolgreiche Musicals nicht en suite zu spielen vermag. Dagegen ist das Programm, das derzeit im Theater an der Wien abläuft, jederzeit auch in der Volksoper durchführbar. Oper und Burgtheater bilden selbständige Körperschaften. Der Direktor jedes Instituts ist verantwortlich für das Künstlerische, Organisatorische und Finanzielle. Er ist einem Aufsichtsrat verantwortlich, der jedes Jahr das Budget genehmigen muß und dem Direktor die finanzielle und künstlerische Entlastung erteilt.

Grundsätzlich wäre zu sagen: Ein erstklassiger Generalintendant wird seinen Direktoren auch künstlerisch hineinreden müssen, weil im Theater, wie schon gesagt, das Künstlerische und Organisatorische aufs engste verflochten sind. Er wird deshalb keine starken Persönlichkeiten als Direktoren vorschlagen, da es sonst ständig Reibereien um Kompetenzen gibt.

Wir haben an vier Beispielen gezeigt, wie die kulturelle Bilanz Österreichs derzeit ist. Es gäbe noch viele andere Beispiele — denken wir nur an das Bauen in Österreich, an die Stadtplanung, an die Erhaltung von Kulturdenkmälern und des Stadtbildes —, aber auch die vier hier angeführten Beispiele beweisen deut-' lieh genug, daß es im kulturellen Bereich bei uns nicht nur an Geld, sondern auch am Willen und vor allem am Verständnis fehlt.

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