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Hinter dem Vorhang

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Die Heftigkeit, mit der die OeffentlichkeJt in den letzten Tagen den Konflikt unser Unterrichtsministers mit dem Leiter der Bundestheaterverwaltung begleitet hat, mag da und dort im Ausland nicht geringe Verwunderung hervorgerufen haben. Ein Land, dessen Schicksal nach wie vor in die weltbewegenden Auseinandersetzungen der Großen verzwängt ist, dessen innere Ordnung und Haushaltgestaltung gerade in diesem Herbst mehr Probleme als sonst aufwerfen, scheint tagelang alle diese Sorgen zu vergessen und entzündet sich an leidenschaftlichen Debatten über Struktur und Aufwand seiner Staatstheater!

Dem gelernten Oesterreicher bedeutet dieser Eifer freilich keine Ueberraschung. Er ist sozusagen Hausbravich, Tradition des alten großen und jenes kleinen neuen Reiches, das in Kunst und Kultur die letzten Ausläufer einstiger Großmächtigkeit sieht und ihren Fortbestand mit dementsprechender innerer und äußerer Anteilnahme begleitet.

Doch stand zu jeder Zeit und steht auch diesmal wieder hinter der geräuschvollen Ereiferung anderes, mehr als supponierte Gegnerschaft scharf profilierter Persönlichkeiten oder gat bloße Lust an Brot und Spielen. So ist es auch jetzt, d* sich die Wogen beruhigt haben, wieder an der Zeit, tiefer zu schauen, hinter der Episode das Bezeichnende und hinter dem Betrüblichen das Reinigende des Vorfalles zu sehen.

Der Hintergrund ist nämlich dieser. Was in vielen anderen Ländern schon kurz nach dem Kriege erkannt wurde, wird in Oesterreich erst jetzt so ganz eingesehen: das Zeitalter der Improvisationen ist zu Ende. Es hängt mit der gefährdeten Lage Oesterreichs zusammen, daß man hier, sieben lange Jahre nach dem Kriege, auf vielen lebenswichtigen Gebieten — und für uns gehört dazu auch die Kultur — noch in der Improvisation steckenblieb. Man fand sich bisweilen zu genialischen Aushilfen bereit, weil man über das Morgen ungewiß war, weil die Zukunft keine weitschauende Arbeit und Planung zu gestatten schien. Zuerst begannen sich, nach der Entspannung im Koreakonflikt, nüchterne Kaufleute und Unternehmer auf Arbeiten umzustellen, die auf lange Sicht berechnet sind. Es folgte der Staat mit der — in diesem Sinne — „ersten Nachkriegsregierung“ des Bundeskanzlers Raab. Am sichtbarsten kommt diese Tatsache im Karnitz-Plan, im Bemühen um eine grundlegende Steuerreform und nicht zuletzt in der Außenpolitik zum Ausdruck.

Die Stunde ist gekommen, sich in der gegenwärtigen Welt dauerhaft einzurichten.

Die Zeit der genialen Improvisateure — ist sie also vorbei? Das muß keineswegs so sein, vorausgesetzt, daß sich diese Persönlichkeiten auf die harte Tagesarbeit einzustellen wissen. Das erste, was auf allen Gebieten unseres öffentlichen Lebens zu tun ist, ist: Bilanz zu ziehen.

Die Bilanz, die wahre Bilanz unserer Kulturpolitik, die bisher noch kaum jemand zu veröffentlichen gewagt hat, sieht nicht gut aus. Oesterreich hat, gemeinsam mit dem durch Krieg und Bürgerkrieg erschöpften Griechenland, das niedrigste Kulturbudget Europas. Wir sind ein Land alten Ansehens in Wissenschaft und geistigem Leben Aber unsere akademischen Institute besitzen Budgets, die teilweise vierteljährlich zwischen 150 und 300 Schilling liegen. Die fünfhundert Privatdozenten Oesterreichs „verdienten“ 1952 zusammen neuntausend Schilling. Durch vereinigte Anstrengungen vor und hinter den Kulissen wurde bisher sowohl eine Budgetersteiking für die kulturellen Angelegenheiten wie auch eine entsprechende Subventionierung der Wissenschaften hintertrieben. Der allenthalben von Substanzschwund bedrohten Stellung unserer Kultur im Inneren entspricht genau deren NichtVertretung im Ausland.

Ein einziger Sektor schien nun eine rühmenswerte Ausnahme zu machen: eben die von Sektionschef Dr. Hilbert betreute Bundestheaterverwaltung. Das Auftreten der Staatsoper und des Burgtheaters im Ausland wurde publizistisch großzügig vorbereitet, die Erfolge waren dementsprechend groß. Wie kommt es nun, daß bei der notwendigen allgemeinen Bilanz gerade dieser Sektor zum Stein des Anstoßes werden konnte, ja, wenn man Sachverstand gelten lassen will, werden mußte ? Die Bundestheaterverwaltung wurde, im Stil der Zwischenzeit zwischen einem grauen Gestern und einem ungewissen Morgen, mit genialen Improvisationen geführt, die naturgemäß viel Geld kosten. Der Stargedanke (alles schnell her, was gut und teuer ist) verdrängte hierbei nicht nur die Ensemble-Idee, sondern drang auch in die Programmgestaltung ein, die immer wieder im Lauf der letzten Jahre von den Einsichtigen kritisiert wurde. Es war — und es ist heute hohe Zeit, das offen auszusprechen — ein Haschen nach dem Erfolg. Wobei gleich hinzugefügt werden muß: dieser Erfolg hat sich in manchen Fällen eingestellt. Nicht in allen. Die Salzburger Festspiele und das Wiener Defizit sprechen eine eindeutige Sprache.

Es war also -an der Zeit, hier nach dem Rechten zu sehen. Ohne Zweifel: es gibt, gerade in Oesterreich, nicht wenige Leute, die eine gutaussehende Fassade einem langsamen Wiederaufbau vorziehen. Besonnene aber müssen einsehen: so kann auf die Dauer nicht weitergebaut' werden. So kann nicht weiter-gewirtschaftet werden. Es hat deshalb seinen guten Sinn, daß auf die Initiative unseres ersten Oeffentlichen Verwalters, des Bundeskanzlers, hin, nunmehr zunächst eine mit größeren Vollmachten ausgestattete Finanzkontrolle die Bundestheaterverwaltung in ihre Obhut nimmt.

In ihre Obhut nimmt: das will hier nicht als ein blutiger Scherz verstanden sein. Es wäre ein Schlag gegen die österreichische Kultur, wenn die notwendige straffere Finanzgebarung unserer Bundestheater dahingehend mißverstanden würde, als sei nun die Zeit und der Ort zu ängstlicher Beckmesserei, zu kleinlich gesinnten Einschränkungen, die dem Format und den Anforderungen von Oper und Burg nicht gerecht werden können. Ein behutsamer Ausgleich tut not.

Das aber kann nur das Erste, Allererste sein. Alles hat überhaupt nur dann einen Sinn, wenn endlich eine konstruktive Kulturpolitik einsetzt. Wenn, deutlicher gesprochen, das Bundesministerium für Unterricht endlich ein Budget erhält, das Oesterreichs würdig ist, das nicht alle beschämt, im Nationalrat und in der Oeffentlichkeit, die skh

Die Würfel fallen. Nicht über Antinomien und den „Fall Hilbert“, wohl aber über unsere gesamte Volksvertretung (und irgendwie auch über unsere österreichische Presse, die wenig getan hat, um den Fall aus dem Dunstkreis persönlicher Verdächtigungen herauszuführen): nur ein neues, echtes, erstmalig ernst zu nehmendes Budget für unsere Kultur kann sowohl Unterrichtsverwaltung wie Bundestheater der Not des Improvisierens entheben, und uns alle der Scham, zuwenig getan und dann noch am unrechten Ort zuviel geredet zu haben.

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