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Randbemerkungen zur woche

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WIEDER EINMAL traten in Wien die Hohen Kommissäre zu einer Sitzung zusammen — der Alliierte Rat tagte. Wieder einmal wurde auch die Frage des Staatsver-trages auf die Tagesordnung gesetzt, wobei die Vertreter der Westmächte die Bereitschaft ihrer Regierungen zu einem raschen Abschluß desselben versicherten. Wieder einmal herrschte Unstimmigkeit im Haus am Stalinplatz. Einstimmig wurde dagegen beschlossen, die Besatzungskosten für das Jahr 1951 von 140 Millionen Schilling auf 151 Millionen Schilling zu erhöhen. Österreich zahlt die Rechnung, auch weiterhin. Wieder einmal...

DEMOKRATIE IST DISKUSSION; dieses bekannte Wort Masaryks ruht auf der älteren Tatsache, daß Demokratie immer und überall dort, wo sie nicht zur Diktatur oder Pöbelherrschaft, zur Ochlokratie, entartet ist. wesenhaft auf Kritik beruht. Im Kreuzfeuer der Kritik sind die römischen Senatoren und Konsuln zu Staatsmännern eines Weltreiches geworden, dasselbe gilt für England seit den Tagen der beiden Pitt über Gladstone bis zu Churchill. Churchill, der soeben seinen 77. Geburtstag feiert — was wäre dieser geniale Heißsporn geworden, hätte seine Begabung nicht das Kreuzfeuer einer bald fünfzigjährigen Kritik zu bestehen gehabtl Hierzulande aber denkt man ^oft anders: unausgesprochen, und in diesen Tagen wieder einmal ausgesprochen von hoher verantwortlicher Warte, gilt der Grundsatz: Nicht der Staatsmann hat sich im Feuer der Kritik zu bewähren — sondern: die Kritik. Die Kritiker sind selbst schuld an der Wirrnis, an der Ungeformtheit, am Verfall unserer öffentlichen, unserer politischen Verhältnisse. Um diese These plausibel erscheinen zu lassen, hält man es für klug, zwischen einer „negativen“ und einer „positiven“ Kritik zu scheiden, um dann sehr schnell festzustellen, „daß der gefährlichste Feind der negative Kritiker in den eigenen Reihen ist“. Mit dieser Diffamierung aller unliebsamen Kritik als „negativ“ — ein Begriff, der so klar ist, das heißt so gefährlich verwaschen wie jener Hitler^ vom „positiven Christentum“ — hat man aber jede echte Kritik unmöglich gemacht: denn es versteht sich aus einem und aus hundert Gründen, daß der Kritisierte stets dazu neigen wird, die gegen ihn oder gegen seine Maßnahmen, Planungen und Nichtplanungen gerichtete Kritik als negativ abzuurteilen. Nicht er kann nämlich das Maß liefern, welche Kritik wirklich „negativ“ oder „positiv“ ist, dieses Urteil steht allein der Demokratie, der Zeit, der Gesamtheit zu. Mit der so praktisch vollzogenen Ausschaltung der echten Kritik beraubt sich aber der Verantwortliche, der Politiker, der im öffentlichen Leben Stehende seines einzigen wirklichen und allerbesten Freundes; seines Helfers, Erziehers, Informators über das wirklich Erreichte und Nichterreichte, eben des Kritikers. Es ist heute in Österreich ein öffentliches Geheimnis: manche Schlappe bei Wahlgängen in der letzten Zeit wäre für diesen und für jenen zu vermeiden gewesen, hätte man mehr auf die Kritik gehört. Auf die „negative“ Kritik, die so oft die einzige positive ist, weil sie allein einen Blick auf die Gesamtverhältnisse, auf das Totale freimacht. Nichts aber ist gerade für den Parteimann so wichtig wie dieser Blick auf das Ganze — er allein gibt ihm die Einsicht, was er von seinem Standpunkt tun kann, tun muß, um im allgemeinen zu reüssieren. Wahre Kraft des Politikers wächst allein in der steten Konfrontierung mit dieser „negativen“ Kritik — sie ist es, die aus dem Parteimann den Staatsmann macht.

„EINE WESENTLICHE KORREKTUR seines Standpunktes“, so nennt das Zentralorgan der Sozialistischen Partei Österreichs die neuen Ausführungen Pius' XII. über die gleichen Fragen wie auf dem römischen Hebammenkongreß, nämlich über die christliche Ehe, Schutz des ungeborenen Lebens, Geburtenregelung und andere. Wie schon in seiner ersten Rede, so betonte der Papst auch neuerlich nur, daß jeder direkte Anschlag auf ein Menschenleben als Mittel zu einem Zweck — in diesem Fall um ein anderes Leben zu retten — gesetzwidrig sei. Dieses Prinzip gelte sowohl für das Leben des Kindes wie auch für jenes der Mutter. „Wenn aber“, so fährt der Papst in seinen jetzigen Ausführungen fort, „zum Beispiel die Erhaltung des Lebens der künftigen Mutter — unabhängig von ihrer Schwangerschaft — dringend einen chirurgischen Eingriff erfordert, dies als ungewollte und nicht angestrebte Begleiterscheinung aber unvermeidbar den Tod des Embryos zur Folge hat, kann ein derartiges Vorgehen nicht mehr als direkter Anschlag auf ein unschuldiges Leben bezeichnet werden. Unter diesen Bedingungen kann die Operation gestattet werden, ebenso wie andere ähnliche ärztliche Eingriffe, allerdings nur unter der Bedingung, daß es sich um das Wohl eines höheren Wertes wie *»« Lebens handle und da 8 es nicht möglich sei, die Operation auf die Zeit nach der Geburt zu verschieben oder ein anderes wirksames Heilmittel anzuwenden.“ Wie in seiner ersten Rede, so auch in der jetzigen, hat der Papst lediglich betont, was längst Gut der katholischen Kirche ist, gelehrt auf allen theologischen Fakultäten, verkündet von allen Kanzeln. Ein Blick in jedes katholische Handbuch der Moral könnte dies beweisen. Vor ungefähr zwei Jahren behandelte der Innsbrucker Moraltheologe P. Miller S.J. in der Zeitschrift „Der Große Entschluß“ die gleiche Frage und kam zu gleichen Schlußfolgerungen. Die neuen Äußerungen des Papstes deshalb als „eine wesentliche Korrektur“ seiner ursprünglichen Rede zu bezeichnen, ist ein Irrtum, der sich nur aus der Unkenntnis der katholischen Lehre ergeben kann.

DIE BESTREBUNGEN ZUR INTEGRATION EUROPAS haben eine Enttäuschung erfahren. Bekanntlieh hatte die britische Labourregierung zu Schuman-Plan und Europaarmee betont Distanz gehalten und damit den Bemühungen zur wirtschaftlichen und militärischen Einigung Europas einen gewichtigen Stein in den Weg gelegt. Denn Großbritannien ist ein so wichtiger Faktor im europäschen Kräftespiel, daß sein Fernbleiben eine Integrierung des Erdteils praktisch ausschließt. Aber die Hoffnung blieb — eine konservative Regierung werde sich den Problemen des Kontinents gegenüber aufgeschlossener zeigen. Verschiedene Äußerungen Churchills als Oppositionsführer deuteten jedenfalls in diese Richtung. Die Wahlen in England kamen und brachten den vermuteten Regierungswechsel. Aber hinter den Handlungen britischer Regierungsführer stehen meist grundsätzliche, aus der Position des Landes erwachsende Erwägungen. In diesem Falle — wie schon so oft vorher — das Prinzip, das vielgestaltige, über die ganze Welt verbreitete Imperium und, sein Mutterland aus den Angelegenheiten des europäischen Festlandes möglichst herauszuhalten. Die Spannungen im Nahen Osten mögen wohl auch zu besonderer Zurückhaltung gemahnt haben. Jedenfalls hat nun das Kabinett Churchill die Fortsetzung der britischen Abstinenzpolitik inzwischen klar zum Ausdruck gebracht. Es ist gewiß verständlich, daß England, dem bei eventuellen kriegerischen Verwicklungen wieder die Rolle des europäischen Wvtschafts- und Rüstungszentrums zufiele, gewisse Vorbehalte und Forderungen anmeldet. Aber es nützt nichts, sich das zu verhehlen: ein guter Tropfen Wermut ist in den Becher des Optimismus gefallen.

STAATSSTREICHE IN SYRIEN erfolgten in den letzten Jahren immer dann, wenn die Regierung dieses Eckpfeilers unter den arabischen Staaten irgendwelche Direktiven fremder Mächte befolgen wollte. Syrien stand zwischen den beiden Weltkriegen unter der Vormundschaft Frankreichs, wurde 1941 von den Engländern besetzt und verteidigt sich seit Kriegsende mit zielbewußter Energie gegen alle ausländischen Machtansprüche. Eine Zeitlang schien es, als würde der Versuch der Briten, Syrien, Transjordanien und den Irak zu einem einzigen Staat zu verschmelzen, von Erfolg begleitet sein — dann kam der erste Staatsstreich des Obersten Shashikli, der seinen rangjüngeren Kameraden Husni Zaim an die Macht brachte, und der Traum Bevins von einer englandfreundlichen Bastion im Mittleren Osten war zu Ende. Dann wollte Husni Zaim Frankreichs alten Aspirationen im östlichen Mittelmeer entgegenkommen — Oberst Shashikli beseitigte durch einen zweiten Staatsstreich seinen ehemaligen Kameraden und zwang die neue Regierung zu einem neutralen Kurs. Zwei Jahre vergingen ohne Zwischenfall. Vor einem Monat verö/fentlichten die Westmächte ihren Vor* schlag einer gemeinsamen Nahostverteidigung und Syrien stimmte als einziger arabischer Staat den strategischen Plänen des atlantischen Oberkommandos zu — schon einen Tag später mußte die Regierung demissionieren. Nun hatte, nach einer dreiwöchigen innenpolitischen Krise, Dr. Maaruf Dawalibi eine neue Regierung gebildet und in seiner ersten Erklärung einen Freundschaftspakt mit der Sowjetunion angekündigt — vier Stunden später gab Oberst Shashikli die Verhaftung sämtlicher Minister bekannt; dem Vernehmen nach hat er einen gemäßigten Politiker als neuen Ministerpräsidenten ausersehen. Es scheint also, daß es im Nahen Osten eine „Graue Eminenz“ gibt, einen Mann, dem die Unabhängigkeit seines Landes und damit die Entgiftung der Atmosphäre im Dreieck Teheran—Damaskus—Kairo mehr am Herzen liegt als die Befriedigung irgendwelcher persönlicher Ambitionen.

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