6552867-1948_05_03.jpg
Digital In Arbeit

Österreich und das Risorgimento

Werbung
Werbung
Werbung

Nach verlorenen Kriegen war es die Sitte aller Völker, über die eigene Vergangenheit zu Gericht zu sitzen und die diplomatischen, militärischen und politischen Handlungen in ihrer Gesamtheit zu verurteilen, ohne sich über die tieferen Zusammenhänge geschichtlicher Ereignisse oder die letzten Beweggründe der Entschlüsse führender Staatsmänner Rechenschaft geben zu wollen. Auch die Italienpolitik der Habsburger Monarchie, die seit 1806 vor allem durch die Vatikanbotschaft im Palazzo . Venezia vertreten wurde, ist diesem ehernen Gesetze der Geschichte nicht entgangen. Besonders Kanzler Metternich, der bis 1848 Träger und Verteidiger der europäischen Gleichgewichts- politik im Sinne des Wiener Kongresses war, hat nach seinem Sturz die Undankbarkeit der Zeitgenossen und noch mehr der Geschichtsschreibung an sich in reichem Ausmaß erfahren. Die Literatur über diese Politik, die im Frühjahr 1848 in Italien ihren Höhepunkt erreichte, um bald darauf ganz zu verfallen, ist enorm angewachsen. Wer in langen Jahren die Möglichkeit hatte, in den römischen Bibliotheken die Neuerscheinungen über das Risorgimento zu überprüfen, kann sich aber des Eindrucks nicht erwehren, daß trotz hervorragender wissenschaftlicher Veröffentlichungen italienischer Gelehrter und Politiker, ein Monumentalwerk größerer Geschichtsbetrachtung, etwa im Format von Ranke, Mommsen oder Pastor fehlt. Auch die tragische Persönlichkeit Papst Pius IX., die eng mit der Italienpolitik Österreichs verbunden ist, hat noch lange keine ihr entsprechende Würdigung gefunden. Ein Großteil der Literatur über diese Epoche ist leider beherrscht von Ressentiments oder Einseitigkeit, die vom Nationalpathos überdeckt werden. Die Geschichte der letzten Jahrzehnte hat manche Auffassungen bereits revidiert, so die früheren harten Urteile über die österreichische Besetzung in Oberitalien. Wie klein erscheinen diese Härten, die oft von subalternen Dienststellen durchgeführt und mit der zentralistischen Einstellung übereifriger Wiener Hofbürokraten Zusammenhängen, gegenüber allem, was die Völker Europas seit 1939 durch moderne Militärbesetzungen erfahren mußten. Menschenraub, KZ-Lager, Massendeportationen, Zerstörungen ganzer Dörfer, Vermögenseinziehungen im großen Stil, das alles hat Oberitalien unter österreichischer Besetzung niemals erfahren. Es war eine harmlose Politik verglichen mit den Tragödien, die mit dem zweiten Weltkriege in Europa ihren Anfang genommen haben. Die italienischen Gebiete, deren Besitz Österreich durch Friedensverträge in rechtlich einwandfreier Weise erlangt hatte, waren für Metternich mehr als ein Vorgelände militärischer Strategie. Der Kanzler fühlte als weitblickender Staatsmann, daß hier die diplomatischen Vorgefechte ausgetragen werden mußten zum späteren unvermeidlichen Entscheidungskampf um Sein oder Nichtsein des Donauvölkerstaates. Er sah ferner im Kirchenstaat, auch wenn Metternich in manchen religiösen Fragen das Erbe josephinischer Aufklärung mit sich schleppte, das leuchtende Symbol einer vom Glanze großer Vergangenheit umstrahlten politischen Macht. So wurzelten die Dogmen seiner Italien- poiitik, die in zahlreichen von ihm gezeichneten diplomatischen Noten niedergelegt sind, in der Überzeugung, daß Demokratie und Nationalismus mit dem Geiste des Wiener Friedens unvereinbar seien. Von den beiden Welten, die sich gegenüberstanden, mußte eine untergehen. Metternich betrachtete sich deshalb als Siegelbewahrer dieser Kongreßakten in ähnlidier Weise, wie heute maßgebende Staatsmänner die Vereinbarungen von Yalta und Potsdam als unantastbare Grundlage der Zusammenarbeit und des europäischen Friedens bezeichnen. Nachdem er die Diktatur Napoleons und die zerstörenden Folgen jahrelanger Kriege erlebt hatte, war ihm die Erhaltung des Wiener Friedens für die wirtschaftliche und politische Beruhigung Europas wichtiger als das Risiko neuer Kriege und die Rücksichtnahme auf entgegengesetzte Zeitströmungen.

Sozusagen die Lautsprecher des Wiener Ballhausplatzes waren die diplomatischen Vertreter Österreichs in Florenz, Neapel in erster Linie, weil Dasein oder Zusammenbruch des Kirchenstaates das Schicksal von ganz Italien beeinflußte, jene beim Vatikan. Die Berichte der kaiserlichen Botschafter in diesen entscheidenden Jahren — Khevenhüller, Lebzeltern, Apponyi, Lützow — zeigen die Größe und Schwäche der Wiener Politik, wenn man überhaupt nach dem Enderfolg Handlungen beurteilen darf. Die Weisungen Metternichs an diese Botschafter, die infolge des selbstherrlichen Charakters und der geistig überragenden Persönlichkeit des Kanzlers oft kaum mehr als Briefträger und treue Diener ihres Chefs sein konnten, lassen an Klarheit und Folgerichtigkeit nichts zu wünschen übrig. Die Status-quo-Politik in Italien konnte sich aber nur halten im Fürstenabsolutismus, der sich auf Militär- und Polizeigewalt stützte. Das Jahr 1830 ersdiütterte wie ein Erdbeben zum erstenmal diese Welt, die in den Ideen des März 1848 zusammenbrechen sollte. Die Feinde Metternichs kamen aus allen Lagern. Die polemischen Schriften von drei Geistlichen — Lamennais, Gioberti, Rosmini — unterwühlten die gebildeten Kreise Italiens, besonders auch die Geistlichkeit. Ihre demokratischen und nationalen Gedanken wurden begeistert übernommen von einer zwar schlecht organisierten, aber immer stärker ins linksradikal-revolutionäre Fahrwasser abgleitenden Widerstandsbewegung von Emigranten (Fuorusciti) und Partisanen (Carbonari, Freischärler und Logenbrüder). Dazu kam die Uneinigkeit Englands und Frankreichs, der Garanten der Wiener Kongreßbeschlüsse, die mit ihrer rivalisierenden Mittelmeerpolitik das Werden des neuen, für ihre Sonderzwecke benützbaren Einheitsstaates Italien nicht ungern beobachteten. Die drei genannten Priester, ein Franzose und zwei Italiener, waren Idealisten, die seelisch unter dem Zwiespalt ihrer Zeitverhältnisse litten und andererseits diesen geistig um Jahrzehnte voraneilten. Sie kannten nicht die wankelmütige Haltung der Volksmenge, deren Rechte sie verteidigten. Sie übersahen auch die Tatsache, daß für die meisten Menschen die Politik nicht eine Sache des Herzens, der Gefühle und Ideale, sondern eine rauhe, oft sehr unsaubere Wirklichkeit ist. Alle drei wurden auch von den politischen Mächten, denen sie in den Sattel helfen wollten, sobald die Ziele erreicht waren, als unerwünschte Moralprediger in die Vereinsamung hinausgestoßen. .Sie störten die Kreise der Berufsund Geschäftspolitiker. Der Fähigste war der Franzose Lamennais, für Metternichs Politik der Feind Nr. 1, dessen Schriften mit den Forderungen politischer, religiöser und geistiger Freiheit von Frankreich nach Italien eingeschmuggelt wurden. Der Unzuverlässigste war Gioberti, der heiligste unter ihnen Rosmini, der Ordensstifter und Philosoph. Mit einer Reihe von Auffassungen wurde aber Lamennais geradezu ein Vorläufer der kirchenpolitischen Gedanken Cavours, der später der Italienpolitik Österreichs den Todesstoß versetzen sollte. Für Metternich waren die politischen und religiösen Gedanken dieses Franzosen, wie die Berichte des Vatikanbotschafters klar hervorheben, „absurd, wertlos und skandalös”. Der Kanzler haßte überdies aus persönlichen Gründen Lamennais, der eine scharfe Kritik an der österreichischen Verwaltung in Italien geübt und behauptet hatte, Rom hätte seine Sache mit jener des europäischen Absolutismus und der Reaktion verkettet. Der Kanzler setzte es auch durch, daß fast in allen Staaten das bekannteste Werk von Lamennais „Paroles d’un croyant” polizeilich verboten wurde. Noch gefährlicher erschien Metternich sein zweiter Gegner, der aus Turin stammende ehemalige Hofkaplan des Kronprinzen Karl Albert, Vincenzo Gioberti, der in der hinreißenden Sprache eines Volkstribuns die Gründung eines Staatenbundes Italien unter dem Vorsitz des Papstes und mit Ausschluß Österreichs forderte, also eine Teilung des Landes in zwei Zonen, die politisch und wirtschaftlich voneinander abgeschlossen waren. Besonders seine Propagandaschrift „II primato morale e civile degli Italiani”, die mitBegeisterung in den nationalen Kreisen begrüßt wurde, erschütterte die bisherigen Grundlagen der Metternichschen Italienpolitik. Giobertis politisches Ideal, unter Heranziehung der katholischen Hierarchie ein föderativ umgestaltetes Italien mit dem Papst als Bundespräsidenten zu schaffen, wurde zum Losungswort, das alle an sich sehr verschieden gearteten Widerstandskräfte wenigstens äußerlich einigen konnte. Die eigenartigste Gestalt aber unter den Gegnern der Italienpolitik Metternichs war der aus Rovereto stammende Graf Rosmini Serbati. Er war weder Politiker noch Diplomat, sondern ganz Seelsorger, und betrachtete auch die Fragen des nationalen und öffentlichen Lebens von der hohen Warte religiöser und philosophischer Schau. Diesen geistig hochbedeutenden Mann, dessen Heimat Österreich war, verletzte die Zensur’erur.g seiner literarischen Werke durch die Innsbrucker Polizei.

Metternich bezog vor allem das 4. Kapitel des Buches „Trattato delle cinque piaghe della Santa Chiesa”, das zunächst nur handschriftlich verbreitet wurde, auf seine Kirchenpolitik in Italien (Ernennung der Bischöfe durch weltliche Machthaber). Die Hauptanklagen, die auch die Auswanderung Rosminis nach Piemont zur Folge hatten, waren: „Religiöser Fanatismus, Förderung der Jesuiten und des Ultramontanismus”.

Im Kampf gegen die drei Gegner kam Metternich eine merkwürdige Fügung zu Hilfe, da sich alle in philosophisch-religiöse Anschauungen verirrten, die einen Eingriff des Vatikans unabhängig von jeder politischen Rücksichtnahme auf Metternich forderten.

Die römische Kurie war aber auch auf rein weltlichem Gebiete nicht für eine absolute Gleichschaltung der Innenpolitik beider Staaten. Das von Metternich gewünschte Zurückschrauben der Geschichte auf das Zeitalter des „Anden Regime” fand nicht den Beifall führender Kardinale wie Consalvi und Mastai-Ferretti (Pius IX.), wenn auch infolge der von außen geschürten Unruhen des Kirchenstaates oft dem politischen Druck des Kanzlers nachgegeben werden mußte, um größere Übel zu vermeiden. Durchaus ablehnend stand der Vatikan aber allen Bestrebungen Metternichs gegenüber, josephinische Auffassungen auch in das von Österreich besetzte italienische Gebiet hineinzutragen. Energisch und zielbewußt war trotz aller äußeren freundschaftlichen Beziehungen der Kampf der Kurie gegen die staatliche Überwachung des Briefverkehrs der Bischöfe mit den römischen Zentralbehörden, gegen das Verbot der Romfahrt ohne vorausgehende staatliche Genehmigung und gegen die Ausdehnung des Placetum regium auf Oberitalien. Am schwierigsten waren für die Italienpolitik Metternichs die Verhältnisse in den päpstlichen Legationen von Bologna, Ravenna und Forli mit einer religiös und politisch liberal eingestellten, Österreich und dem Papst als Staatsoberhaupt gleich feindlich gegenüberstehenden Bevölkerung. Eine sorgfältige Berichterstattung der diplomatischen Vertretungen in Rom, Florenz und Neapel, ermöglichte es Metternich, Richtlinien zu geben, die spätere Staatsmänner in ähnlichen Verhältnissen nur zu kopieren hatten. In erster Linie erstrebte er eine weit, gehende Gleichschaltung der Innenpolitik und des Polizeisystems der Monarchie und der italienischen Kleinstaaten. Dabei fand er weitgehende Unterstützung in Florenz und Neapel, viel weniger im Kirchenstaat, dessen Kardinale (damals auch solche der Staatsverwaltung mit nur niederen Weihen) und Legaten mit den Freunden Metternichs, den Kardinalen Alfoani und Lambruschini, keineswegs gleicher Gesinnung waren. Im allgemeinen suchte Metternich eine zu harte Behandlung der Spione und Revolutionäre zu vermeiden, um nicht durch eine Terrorstimmung eine eigentliche Untergrundbewegung zu verursachen, die von Militär- und Polizeibehörden nicht mehr beobachtet oder ausgehoben werden konnte. Die Widerstandsbewegung, deren Sammelpunkte und Zufluchtstaaten Piemont und die Grenz, gebiete der Schweiz, ferner Malta, Frankreich und Belgien waren, hatte sozusagen zwei Richtungen, eine katholisch-nationale (Marchese d’Azeglio) und eine linksradikale, deren letztere Papst und Österreich gleich feindlich war. Zwischen beiden gab es wie immer ln solchen politisch unsicheren Zeitläuften nicht wenige Opportunisten, Mitläufer, Geschäftspolitiker und Vertreter des doppio giuoco, die den Idealismus und die Opferbereitschaft vaterlandsliebender Idealisten für ihre persönlichen Zwecke ausnützten, um selbst emporzukommen. Nicht selten diente die Widerstandsbewegung nur als Aushängeschild für sehr selbstsüchtige Ziele, die mit der. nationalen Einheitsbewegung wenig zu tun hatten. Ein Großteil der Botschaftsberichte betrifft deshalb Polizeiangelegenheiten. Bei diesen Prozessen, deren Formalismus sich oft ungebührlich in die Länge zog, handelte es sich aber nicht immer um rein politische Dinge. Oft waren Gewalttaten aller Kategorien der eigentliche Anlaß von Verhaftung und Verurteilung. Niemand hatte darunter mehr zu leiden als der idealistische aus dem katholischen Lager herübergekommene Teil der Partisanen, der in einer Art religiös-nationaler Romantik lebte, schließlich aber von den Trägern der Gewaltpolitik an die Wand gedrückt wurde.

Die Aufgabe der diplomatischen Vertreter Österreichs war es, die beiden Richtungen voneinander zu trennen. Für die Dauer konnte das aber nicht gelingen, denn die Fremdherrschaft mit ihren fast unvermeidlichen Verdemütigungen schuf von selbst eine Einheitsfront des gemeinsamen Kampfes für -ein national geeintes Staats wesen und Vaterland. Dabei wurden zunächst alle trennenden Fragen (Kirche und Staat, Kirchenstaat und neues Italien) möglichst zu- rückgescellt, um sie in ruhigeren Zeiten ordnen zu können.

Wohl die betrüblichste Tatsache war für Metternich der Anblick des Zerfalles seines eigentlichen Lebenswerkes, der Beschlüsse des Wiener Kongresses. Je mehr in den Kabinetten der Großmächte die Erinnerung an die gemeinsamen Ideale und Opfer gegen die Diktatur Napoleons ins Schattenhafte hinabsank, desto fühlbarer zerbröckelte die frühere Allianz - und mit ihr die Friedenspolitik des Wiener Kongresses. Bald blich nur mehr Metternich übrig als der ursprünglich erste Träger der Widerstandsbewegung und der späteren Noli-me-tangere-Politik auch in Italien. In dieser Auffassung vereinsamte er immer mehr, denn England und Frankreich beschritten andere Wege, indem sie eine neue Figur auf dem Schachbrett ihrer Mittelmeerpol i tik suchten. Beiden Großmächten war die nationale Einheitsbewegung Italiens nicht unerwünscht, um die Vorherrschaft Österreichs zu neutralisieren. Indem sie letzteres taten und Österreich schwächten, halfen sie einer dritten Macht zu einer führenden Stelle in Europa empor. Es war Preußen, das später Frankreich demütigen sollte.

Ergreifend tritt aus allen Berichten der letzten Jahre die tragische Gestalt des Papstes Pius IX. hervor. Man findet kaum Worte, um diese Tragödie, die eine persönliche und nationale war, in ihrer grausamen Größe zu erfassen. Seine Wahl am 16. Juni 1846, nach einem Konklave von 30 Stunden im Quirin al, dessen Abschlußszene von einem mächtigen Unwetter begleitet war, wurde von Metternich „mit lebhafter und aufrichtiger Genugtuung” begrüßt. Diese Stimmung dauerte aber nicht lange an. Der aus Carrara stammende Conte Rossi, der das recht bewegte Leben eines politischen Emigranten hinter sich hatte und Kardinal Theodulf Mertel, dessen Eltern bayrischer Herkunft waren, wurden die Ratgeber des neuen Papstes und drängten den österreichischen Botschafter Lützow überall zurück. Beide glaubten, im Gegensatz zu den Vorschlägen Metternichs und Lützows, den Kirchenstaat aus eigener Kraft durch zeitgemäße innenpolitische”-Reformen retten zu können und statt der bisherigen Anlehnung an den Wiener Ballhausplatz eine außenpolitisch neutrale Linie zu verfolgen, die freilich das Schicksal haben mußte, niemand zum Freund, aber schließlich alle zu Feinden zu haben.

Diese neue Taktik machte die frühere Zusammenarbeit der beiden Regierungen Wien und Rom immer schwieriger und führte zu einem diplomatischen Konflikt, der mit der Abberufung des österreichischen Vatikanbotschafters am 10. April 1848 endete. Es würde zu weit führen, hier das langame Werden dieser Tragödie zu schildern, die eine solche des Kirchenstaates, Metternichs und Pius IX. wurde. Alle drei waren schließlich von allen politischen Mächten und Zeitströmungen isoliert und im Stiche gelassen. Über seine letzte Audienz in den Gärten des Quirinais schreibt Lützow aus Triest nach Wien: „Das Benehmen des Papstes, seine geradezu vertraulichen Eröffnungen ließen klar erkennen, daß er den schmerzlichen Konflikt seiner Lage als staatlicher Herrscher und Oberhaupt einer Weltkirche fühlte. Er bedauerte, daß Teile der Truppen des Kirchenstaates im Kriege gegen Österreich teil- nehmen, einer Macht, mit der er in Frieden’ leben wolle und gegen die er keine Anklage irgendwelcher Art Vorbringen könne.”

Der Österreicher, der heute diese bewegten Jahrzehnte der Italienpolitik des Wiener Ballhausplatzes aus den Aktenbündeln der Ardiive überblickt, wird neidlos sich des Aufstieges freuen, den das neue Italien bis zum Ausbruch des zweiten Weltkrieges auf vielen Gebieten erleben konnte. Wenn die Italienpolitik der Donaumonarchie, als deren Erbe sich das Saint-Germain-Österreich niemals betrachten konnte, nicht selten retardierend in diese nationale Neugestaltung eingegriffen hat, weil auch die Zeit für die Lösung der römischen Frage noch nicht gekommen war, so kann man daraus aber keine Vorwürfe machen. Kein Staatsmann macht Politik für ein Jahrhundert, sondern nur für die kurze Zeitspanne seines Lebens, und fast jeder handelt nur aus den geistigen Kräften der Epoche, in die er hineingeboren oder in der er erzogen worden ist. Es ist verfehlt und würde den Weg zu einer leidenschaftslosen Beurteilung versperren, wenn man diese Zeit vom geistigen Horizont der Jahre 1918, 1933 oder gar 1948 einwerten wollte. Wer nicht bloß den Schatten liebt, wird nicht abstreiten können, daß nicht wenige ausgezeichnete Vertreter des alten und besten österreichischen Militärs, Beamtentums und der Wiener Diplomatie dieses herrliche Land Italien diszipliniert, unbestechlich und gerecht wie ein Lehen verwaltet haben, bis Gottes Fügung ihm eine bessere nationale, politische und soziale Regierungs form schenken wollte. So beurteilt, war gerade Österreich in Italien durch seine katholische vom Romanischen beeinflußte Zivilisation Mittler zwischen zwei Welten, Kulturen, denen allein Europa in der Vergangenheit seine wahre Größe und geistige Führung gegenüber allen anderen Kontinenten zu verdanken hatte.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung