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„Da fielen Jie Fesseln"

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„Carissimi —

heute, da wir zusammengekommen sind, um die Erinnerung an den 11. Februar des Jahres 1929 zu feiern, ziemt es sich, einige besinnliche Ueberlegungen zu diesem großen Ereignis anzustellen.

Ihr wißt, daß an diesem Tage im Papstsaale des Lateranpalastes zu Rom der damalige italienische Ministerpräsident als Vertreter des Königs und der damalige Kardinalstaatssekretär als Vertreter des Papstes den sogenannten Lateranvertrag unterzeichneten (und ein Konkordat sowie ein Finanzabkommen dazu). Durch diesen Vertrag erhielt der Papst das kleine Territorium der Vatikanstadt mit voller Souveränität sowie einen größeren Immunitätsbereich mit Exterritorialität oder fiskalischer Immunität für eine Anzahl von Kirchen, Palästen, Aemtern, Instituten sowie die Villa Castel Gandolfo. Gleichzeitig erklärte aber der Heilige Stuhl die sogenannte .Römische Frage' für endgültig und unwiderruflich beigelegt.

Ein großer Augenblick, Geliebteste, war eingetreten, als die Federn über das Papier raschelten: Die 59jährige Gefangenschaft der Päpste im Vatikan, die vom neunten bis zum elften Pius gedauert hatte, war vorbei. Und ebenso war durch die Beilegung der .Römischen Frage' die große Kluft, die Italien und den Heiligen Stuhl getrennt hatten, überwunden. Dieser Vertrag gab sowohl Gott Italien wie auch Italien Gott wieder.

Aber bevor wir endgültig uns der Freude über diesen Tag hingeben, wollen wir uns noch kurz der Zeit der Gefangenschaft der Päpste im Vatikan und ihrer Leiden erinnern. Wir müssen hierbei zu allererst jenes Tages gedenken, der diese Gefangenschaft begründete, des 20. September 1870, da italienische Kanonen eine Bresche in die ,Porta Pia' schossen und die Truppen des Königs in die Stadt des Papstes strömten und sie besetzten.

Carissimi —

einst hatte Rom Italien erobert, an diesem Tage aber eroberte Italien Rom. Jahre und Jahrzehnte hatte Italien auf diesen Tag gewartet, ja ihm entgegengefiebert. Jahre und Jahrzehnte hatte der damals regierende Papst Pius IX. versucht, diesen Tag zu verhindern.

Ihr wißt, Geliebteste, daß dieser Papst alles andere denn ein Gegner der nationalen Einigung Italiens war. Schon als Kardinal war er ein Anhänger der sogenannten neoguelfischen Idee gewesen, die alle Staaten Italiens zu einem Staatenbund unter Vorsitz des Papstes vereinigen wollte. Am Beginne seiner Regierung suchte er diese Idee zu verwirklichen. Als er aber dadurch in Konflikt mit Oesterreich zu kommen schien, erklärte er, daß er als Vater aller Christen nie Krieg gegen ein christliches Land führen könne, sondern über allen Völkern stehe. Der Kirchenstaat, über den er regierte und den er zuerst als Besitz des heiligen Petrus und als italienischen Staat angesehen hatte, sollte von nun an nur mehr als Hausgut des heiligen Petrus gelten, bestimmt, die materielle Existenz des Papsttums und seine Unabhängigkeit von den weltlichen Mächten sicherzustellen. Damit aber wurde Papst Pius IX. zum schwersten Hindernis der Einigung Italiens und zog sich die wütendsten Angriffe aller jener zu, die diese Einheit begehrten.

Mit allen Kräften dagegen versuchte Papst Pius IX. diesen Kirchenstaat dem Papsttum zu erhalten. Er vertraute auf den Schutz der sogenannten katholischen Mächte. Er warb eine große Armee. Er schloß Abkommen, die den Bestand seines Staates garantieren sollten. Aber alle seine Bemühungen erwiesen sich als hinfällig: Seine Armee wurde geschlagen, die katholischen Mächte Neapel, Oesterreich und Frankreich aus der italienischen Politik ausgeschaltet. Und die Verträge, ja, die Verträge er-

wiesen sich wie so oft wieder nur als ein Stück Papier. Teil um Teil wurde aus dem Kirchenstaat herausgebrochen, bis an jenem 20. September 1870 auch der letzte Rest des alten, des uralten Kirchenstaates durch die Besetzung Roms verschwand.

Carissimi —

als an jenem 20. September 1870 gewaltsam die ,Porta Pia' geöffnet wurde, schlossen sich die berühmten Bronzetore des Vatikans zum symbolischen Zeichen, daß der Papst nun ein Gefangener sei.

Diese Gefangenschaft war eine durchaus freiwillige. Denn das neue Italien hatte einige Monate nach der Besetzung Roms ein Gesetz erlassen, das sogenannte ,Garantiegesetz', durch welches die Person des Papstes für souverän erklärt wurde, ihm das aktive und passive Gesandtschaftsrecht, eine jährliche hohe Rente, freie Ausübung des Amtes sowie der Gebrauch des Vatikans, Laterans und Castel Gandolfos zugesprochen wurde.

Aber dieses Gesetz war ein rein innerstaatliches. Wie erlassen, konnte es jederzeit wieder aufgehoben werden. Es erklärte ja außerdem nur die Person des Papstes für souverän, nicht aber gab es dem Heiligen Stuhl einen Fleck Erde, der die einzige wirksame Garantie seiner wirklichen Souveränität gewesen wäre. Dieses Gesetz garantierte mit arideren Worten nur sehr mangelhaft die Freiheit des Amtes des Papstes.

Es stellte den Papst vor die Alternative: Freiheit der Person und Unfreiheit des Amtes oder Unfreiheit der Person und Freiheit des Amtes. Papst Pius IX. erwies sich als ein würdiger Nachfolger des heiligen Petrus. Wie dieser einst die Unfreiheit auf sich genommen hatte um der Freiheit der Kirche willen, so jetzt Papst Pius IX., der dieses Garantiegesetz nicht annahm, auf die hohe Rente verzichtete und für sich und seine Nachfolger die Unfreiheit der Person auf sich nahm, um die Freiheit des Amtes zu retten. Für diesen Dienst, den der Papst damit der Kirche erwies, kann ihm nicht genug Dank bezeugt werden.

Carissimi —

als jene Bronzetore des Vatikans sich schlossen, trat ein eigenartiger Zustand in der Stadt Rom ein. Das päpstliche Rom nahm nämlich keine Notiz vom königlichen und das königliche keine vom päpstlichen. Zwischen den beiden stand eine scheinbar unüberwindliche Mauer. Die adeligen Familien, deren Söhne traditionsgemäß beim Vatikan Dienst taten, verkehrten nicht mit den adeligen Familien, die beim König von Italien Dienst machten, die Gesandten beim Vatikan nicht mit den Gesandten beim Quirinal. Als König Humbert von Italien starb, nahm der Vatikan davon keine offizielle Kenntnis, ebenso wie der Quirinal keine von den verschiedenen Jubiläen Leos XIII. nahm. Kein katholischer Herrscher besuchte Rom, denn sein Aufenthalt im Quirinal hätte einer Anerkennung des Raubes und eine Beleidigung des Oberhauptes der Kirche dargestellt. Selbst wenn ein nichtkatholischer Herrscher nach Rom zum König kam und aus Höflichkeit auch dem Papste einen Besuch abstattete, wurden die verschiedensten Konstruktionen angewandt, um die Illusion aufrechtzuerhalten, daß es keinen König in Rom gebe. So fuhr Kaiser Wilhelm II. von Deutschland an jenem Tag, da er zum Papste ging, vom Quirinal in die preußische Gesandtschaft beim Vatikan und von dort — also von preußischen Boden — mit einer eigens aus Berlin herbeigebrachten Galakutsche, beschützt von zwei

Eskadronen Garde du Corps, in den Vatikan und ebenso zurück.

Erst unter Papst Pius X. trat in diesem Zustand eine Aenderung ein. Dieser Papst, der bald nach seiner Thronbesteigung die Worte sprach ,von Politik verstehe ich nichts und zur Diplomatie gehöre ich nicht', vernichtete zwar, wie er versicherte, auf keines der Rechte des Papsttums, worunter er auch die Souveränität über ein eigenes Stück Erde verstand. Da er sich aber immer in erster Linie um die Fragen der Seelsorge kümmerte, kam es unter ihm zu einer Art ,modus vivendi' zwischen dem päpstlichen und dem italienischen Rom. Dieser ,modus vivendi' wäre noch stärker geworden, hätten nicht dauernd antikirchliche italienische Kreise Angriffe gegen den Papst gerichtet.

Was unter Papst Pius X. ein Anfang war, machte unter Papst Benedikt XV. weitere Fortschritte. Während noch der große Lehrmeister dieses Papstes, Kardinal Rampolla, ein starrer Gegner des neuen Italien gewesen war, zeigte der neue Papst dem neuen Italien gegenüber eine große Versöhnlichkeit. Trotz allen Verständnisses versicherte auch er, sich mit dem Garantiegesetz nicht einverstanden erklären zu können und sich nur mit der vollen Souveränität begnügen zu wollen. ,Der Vatikan', pflegte er zu sagen, ,ist ein Palast, aber kein Territorium'.

Aber erst seinem Nachfolger Papst Pius XI. sollte es gelingen, aus diesem Palast ein Territorium zu machen.

Carissimi —

kurze Zeit nach der Besetzung Roms hatte Papst Pius IX. erklärt, daß er nur einen kleinen Fleck Erde wünsche, wo er Herr wäre. Diese Worte zeigen, daß der Heilige Stuhl nach Untergang des alten Kirchenstaates nicht mehr daran dachte, ihn wieder zu errichten.

Die Frage war nur, wie groß dieser Fleck Erde sein sollte. Schon unter Papst Leo XIII. kam es diesbezüglich zu Verhandlungen mit Italien.

Ihr werdet, Geliebteste, fragen, warum denn dieses Italien, das immer wieder offiziell erklärte, die .Römische Frage' sei endgültig gelöst, die Existenz dieser Frage im geheimen zugab und sie zu beseitigen trachtete? Es wurden nämlich einerseits die Päpste nicht müde, auf das Unrecht hinzuweisen, das man der Kirche zugefügt hatte, noch wurden die Katholiken der Welt müde, gegen die Beraubung des Papsttums zu protestieren. Und vor allem tat die Christenheit das gleiche, was sie einst für den hl. Petrus getan hatte: ,Sie betete', heißt es in der Apostelgeschichte, .ohne Unterlaß, bis die Fesseln von dem Heiligen fielen'.

Papst Leo XIII. hoffte nun im Anfang seiner Regierung, ganz Rom zurückzubekommen, später erklärte er sich auch mit der Leostadt und einem Streifen längs des Tibers bis zum Meer bereit. Schließlich äußerte er sich 1898, daß es ihm auf den Umfang des Territoriums nicht ankomme, es würde der Vatikan genügen. Er müsse nur die volle Souveränität besitzen. Leider aber zerschlugen sich immer wieder alle Lösungsversuche.

Was für Leo XIII. das äußerste Zugeständnis bedeutete, war dagegen für Papst Pius X. fast schon selbstverständlich. ,Er wäre', so äußerte er sich einmal zum berühmten Dominikaner Denifle, ,in äußerster Verlegenheit, wenn ihm der König ganz Rom anbieten würde. Wie sollte er eine solche große Stadt regieren?' Und unter der Regierung Papst Benedikts XV. empfahl der Jesuit Ehrle in der Zeitschrift .Stimmen der Zeit' die Lösung der .Römischen Frage' durch Schaffung einer Vatikanstadt, wie sie dann einige Jahre später Wirklichkeit werden sollte.

Da nun die Päpste von ihrer Seite dgjT_Weg gezeigt hatten, um diese ,Römische Frage' aus der Welt zu schaffen, die wie ein Dorn im Fleische der Christenheit stak, war es am italienischen Staat, von seiner Seite aus alles zu tun, um aus dem .Vatikan ein Territorium' werden zu lassen.

Im Jahre 1926 trat die italienische Regierung tatsächlich an den Heiligen Stuhl mit diesem Anerbieten heran. Der Papst willigte ein, wenn gleichzeitig über ein Konkordat verhandelt werden würde. Nach jahrelangen Beratungen, über hundert Konferenzen, mehr wie 30 Abänderungen der Texte kam es an jenem berühmten 11. Februar 1929 Zum Abschluß des Lateranvertrages, durch welchen der .Vatikan ein Territorium' wurde, der Papst über ,ein kleines Stück Erde wirklich Herr sein konnte', es kam zum Abschluß eines Konkordates und eines Finanzabkommens, wodurch — zwar nur im geringen Maß — der Kirche zurückgegeben wurde, was ihr einst geraubt worden war.

Carissimi —

ewig denkwürdig sind die Worte, die Papst Pius XI. nach diesem Tage sagte:

,Es ist wirklich wenig, sehr wenig; und zwar haben wir bewußt in dieser Sache so wenig als möglich verlangt.. . Wir wollten in endgültiger Weise dartun, daß den Stellvertreter Christi keine irdische Begierde treibt. . . Franz von Assisi hatte gerade genug Körper, um die Seele mit ihm vereint zu halten; so auch andere Heilige: Der Körper beschränkt auf das, was unbedingt notwendig ist, um der Seele zu dienen, das menschliche Leben fortzuführen und mit dem Leben Wohltaten zu erweisen. Wir hoffen, daß der oberste Priester hinsichtlich des materiellen Territoriums gerade nur das hat, was ihm unerläßlich ist zur Ausübung seiner geistlichen Gewalt, welche Menschen zum Heile von Menschen an vertraut ist'.

Aus diesen Worten, Geliebteste, ist schon zu ersehen, warum der Heilige Stuhl auch eine weltliche Freiheit haben muß: Der Papst darf in der Leitung der Kirche von keiner weltlichen Macht abhängig sein. Die sichtbare Unabhängigkeit bedarf einer wirksamen Garantie. Ein bloßes .Garantiegesetz' kann diese Freiheit nicht geben, wie es die Zeit zwischen 1870 bis 1929 mit ihren mannigfachen Behinderungen für den Papst beweist. Der Erste der Christenheit führt auch den Titel ,servus servorum Dei — Knecht der Knechte Gottes'. Der Papst ist Knecht, Sklave, Diener aller. Ein gefesselter, ein gefangener Diener kann aber nicht seinen Beruf erfüllen. Gerade als ,servus servorum Dei'ist es notwendig, daß der Papst immer völlig frei sei und es für alle Zeiten bleibe.

Carissimi —

die Heilige Schrift erzählt, daß der heilige Petrus, als der Engel ihn aus der Gefangenschaft führte, erst nach einer Weile seine Freiheit bemerkte. Aehnliches geschah auch mit der Befreiung des Nachfolgers des heiligen Petrus aus der vatikanischen Gefangenschaft. Denn am 11. Februar 1929 fielen nicht nur die Fesseln dieser Gefangenschaft, sondern auch noch diejenigen einer anderen. Ihr wißt, wie notwendig der Kirchenstaat, der bis 1870 bestand, für das Papsttum gewesen ist. Aber dieser nicht gerade kleine Kirchenstaat war doch gleichzeitig eine große Bürde. Er belastete nämlich die Päpste mit den Sorgen der Verwaltung und Verteidigung und zog sie dadurch mehr als einmal in die Händel der Welt. Ja, dieser große

Kirchenstaat war manchmal direkt eine Versuchung, sich in die Händel der Welt zu mischen, so daß der Tadel unseres Herrn gegenüber Petrus ,Du bist mir zum Aergernis. Du hast nicht Gottes, sondern Menschenpläne im Sinne' (Mt. 16, 23) auch gegenüber manchen Nachfolgern des heiligen Petrus galt. Die .Vatikanstadt' nun, Geliebteste, diese kleine Stadt am Rande der Stadt Rom, die einem Felsen gleicht, der sich um das Grab jenes Mannes umschließt, den unser Herr zum Felsen bestimmte, auf dem ER die Kirche baute, diese kleine Stadt nun, Geliebteste, bietet diese Versuchung nicht mehr. Am 11. Februar 1929, jetzt vor 25 Jahren, fielen nicht nur die Fesseln der vatikanischen Gefangenschaft, sondern auch die Fesseln, die ein großer irdischer Besitz immer darstellen wird. Aus beiden Gründen, Geliebteste, wollen wir deshalb dieses Tages besonders gedenken und dieses großen Geschehens uns innig freuen. Gleichzeitig aber unseren Herrn innig bitten, daß ER den Nachfolgern des heiligen Petrus bis ans Ende aller Zeiten die völlige Freiheit gewähre, die sie zur Ausübung ihres schweren Amtes so nötig gebrauchen."

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