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Im Schatten von Königgrätz

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Der Titel des neuen Werkes von Prof. Engel-Janosi, „Oesterreich und der Vatikan“, ist nicht ganz richtig gewählt. Das Werk sollte präziser heißen: „Die Habsburgermonarchie und die .Römische Frage' “. Denn nur dieses Thema ist der wesentliche Inhalt des vorliegenden Buches, während die gesamten anderen Beziehungen zwischen den beiden Mächten, insbesondere die religiösen, nur insoweit gestreift werden, als sie mit dem genannten Kernproblem im Zusammenhang stehen. Dies ist aber auch der einzige Einwand, der sich gegen das Werk des in Amerika wirkenden österreichischen Historikers erheben läßt, das ansonst eine bedeutende und erstaunliche Leistung österreichischer moderner Geschichtsforschung darstellt.

Und vor allem eine neue Seite der großen Tragödie der Habsburgermonarchie, die diese im 19. und 20. Jahrhundert durchleben mußte, enthüllt. Denn seiner ganzen Tradition nach wäre die Habsburgermonarchie dazu berufen gewesen, der Schützer des Patrimonium Petri, wie überhaupt des Papsttums, zu sein. Eine ihrer Tragödien im letzten Jahrhundert war es, daß sie diese Rolle nicht nur nicht spielen konnte, sondern sogar manchmal in Spannungen mit dem Päpstlichen Stuhl kommen mußte, da ihr Kampf ums Dasein scheinbar zeitweilig den päpstlichen Interessen zuwiderlief.

Das „Patrimonium Petri“, der Kirchenstaat und der Staat der Habsburger hatten seit der Mitte des 19. Jahrhunderts denselben Feind: einen schrankenlosen Nationalismus. Während aber der Kirchenstaat seine Existenz nur durch den italienischen Nationalismus bedroht sah, war es die Habsburgermonarchie durch eine Reihe von Nationalismen: den italienischen, den deutschen, den madjarischen, den slawischen. Und um sich nach innen und außen zu schützen, verzichtete die Habsburgermonarchie nicht nur auf ihre Schützerrolle, sondern versuchte einerseits den Kirchenstaat teils seinem Schicksal zu überlassen, teils ihn als Kompensationsobjekt zu verwenden oder sich an dem Wiederaufleben eines — wenn auch noch so kleinen — Kirchenstaates desinteressiert zu zeigen.

Als Pius IX. Papst wurde, versuchte er zuerst, den Kirchenstaat als italienischer Fürst und als übernationaler Papst zu regieren. 1848 schon mußte er sich entscheiden, ob er italienischer Fürst oder übernationaler Papst sein wollte. Er entschied sich eindeutig zu letzterem und sank über Nacht zum unpopulärsten Mann Italiens herab. Nach der Revolution von 1848 verzichtete Pius IX. endgültig auf die Rolle als italienischer fürst und trachtete, die Existenz des Kirchenstaates, dessen Bestand er als notwendig für das Papsttum ansah, durch die verschiedensten Mittel zu erhalten. Er vertraute auf den Schutz der katholischen Mächte, er organisierte eine eigene Armee, er schloß die verschiedensten Verträge, die den Bestand garantieren sollten. Aber die Verträge erwiesen sich wie so oft nur als ein Stück Papier, die eigene Armee wurde geschlagen und eine katholische Macht nach der anderen aus ihrer Schützerrolle ausgeschaltet: Neapel durch die Katastrophe von 1860, Spanien durch die inneren Wirren, die Habsburgermonarchie durch Königgrätz und Frankreich durch Sedan.

Der Kirchenstaat wäre zu retten gewesen, wenn die beiden katholischen Mächte, die Habsburgermonarchie und das Frankreich Napoleons III., zusammengegangen wären. Aber Napoleon III. betrieb, wie so oft, eine schlechte Schaukelpolitik. Einerseits wollte er den Kirchenstaat schützen, anderseits den italienischen Nationalstaat fördern. Damit schwächte er nicht nur die Habsburgermonarchie, sondern ebenso den Kirchenstaat und zuletzt sich selbst. Schließlich befanden sich er und die Donaumonarchie in einem heillosen Rückzugsgefecht gegen Preußen. Im Habsburgerstaat war der ehemalige sächsische Ministerpräsident Beust, den sich Franz Joseph geholt hatte, bereit, jeden Weg zu gehen, der Königgrätz auslöschen könnte. Um die Liberalen Oesterreichs und Süddeutschlands zu gewinnen, kündigte er das Konkordat von 1855, um die Madjaren zu gewinnen, gab er ihnen den Ausgleich von 1867, und um Italien von Preußen abzuziehen und in eine :Koalition mit Frankreich gegen Berlin zu bringen, war er bereit, den Kirchenstaat preiszugeben. Eine nicht sehr schöne Politik — wenn sie auch ein edles Ziel hatte (aber der Zweck heiligt auch in der Politik nicht die Mittel). Diese Politik nützte der Habsburgermonarchie gar nichts, rettete Napoleon III. nicht und brachte dem Kirchenstaat endgültig das Ende. Pius IX. wählte die Unfreiheit der Person, um die Freiheit des Amtes zu retten, nicht ohne immer wieder darauf zu drängen, daß auch die Person des Papstes frei sein müsse.

Leo XIII., der Nachfolger Pius' IX., konnte natürlich nicht auf die Lösung der „Römischen Frage“ verzichten. Er hoffte, zuerst ganz Rom zurückzubekommen, dann wollte er sich mit der Leostadt zufrieden geben, schließlich mit dem Vatikan als souveränem Staat. Um dies zu erreichen, versuchte er, Italien vom Dreibund zu isolieren, eine Annäherung zwischen Frankreich und Rußland einerseits und zwischen diesen und Deutschland anderseits herbeizuführen, um dann das alleinstehende Italien zu zwingen, den Raub von 1870 irgendwie gutzumachen. Eine Politik, die nicht zum Erfolg führte, aber die verschiedensten Spannungen mit der Habsburgermonarchie herbeiführte, die am Dreibund festhielt und der infolgedessen die „Römische Frage“ mit allen ihren Nebenwirkungen nicht in ihre Politik paßte, so daß sie sich schließlich nach dem Tode Leos XIII. entschloß, durch das Vetorecht Kardinal Rampolla, der die Politik der beiden letzten Päpste in bezug auf die „Römische Frage“ fortgesetzt hätte, von der Nachfolge am Päpstlichen Stuhl fernzuhalten. Ein Kapitel, das im vorliegenden Band nicht mehr berührt wird, sondern dem nächsten vorbehalten bleibt.

Aus dem Buch Engel-Janosis steigt nur neuerlich der Beweis auf, daß die große Tragödie des 19. Jahrhunderts die Seuche des Nationalismus war. Wäre Oesterreich dieser Seuche nicht zum Opfer gefallen, dann wäre die deutsche und die italienische Frage anders als durch „Blut und Eisen“ gelöst worden. Der Kirchenstaat wäre dann in einer anderen Form in Italien aufgegangen, in einer weniger schmerzlichen, als es durch Piemont vollzogen wurde. Italien wäre dann allerdings gewiß — ebenso wie dem deutschen Volk — die Katastrophe von 1945 erspart geblieben, die ja schließlich nur das Ende der Reise auf der „BIut-und-Eisen-Straße“ darstellt.

Das Buch von Engel-Janosi ist eine außerordentlich wertvolle Bereicherung der österreichischen Literatur. Jeder Oesterreicher wird sich außerdem freuen, daß dieser bedeutende Gelehrte endlich nach 20jähriger Abwesenheit wieder nach Wien zurückkehrt, um hier seine weitere wissenschaftliche Tätigkeit auszuüben.

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