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1200 Jahre Schlüsselsoldaten

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Der Kirchenstaat, der, von kurzen Unterbrechungen abgesehen, von 754 bis 1860 1870 bestand, unterhielt jederzeit eine eigene Wehrmacht, die im Jahre 1858 aus 15.255 Soldaten und 1350 Pferden bestand. Sie begegnet uns in Gefechten und Schlachten, 1848 kämpften die Schlüsselsoldaten — wie man das päpstliche Militär nach seinem Hauptemblem nannte — bei Vicenza gegen Radetzky, der ihnen hohes Lob spendete. Doch auch zur See trat die kirchenstaatliche Macht in Aktion: Papst Pius V, rüstete,, zwölf Galeeren und 3.000 Krieger aus, die unter Qon Juan ,d’Austria beilepanto 1571 zu einem entscheidenden Sieg beitrugen. Nach der Aufhebung des Kirchenstaates schrumpfte die militärische Macht des Papstes auf die Nobelgarde, die Schweizergarde, die Palastehrengarde und die Päpstliche Gendarmerie zusammen alles in allem heute in der Cittä del Vaticano rund 500 Mann, die dem Leben in der Metropole der katholischen Christenheit eine zwar kleine, dafür um so farbenprächtigere militärische Note verleihen.

Während wir über die Kirchenstaatstruppen eher wenig wissen und auf ihre Geschichte, die 1955 in einer kürzeren Fassung geplant war, noch warten, erhielt jetzt die Schweizergarde aus der Feder des Gardekaplans Monsignore Krieg eine erschöpfende Würdigung. Schweizergarden gab es an mehreren europäischen Höfen, allbekannt ist der Untergang der heldenmütigen Schweizergarde des Königs Ludwig XVI. bei der Verteidigung der Tuilerien in Paris 1792, der im so eindrucksvollen Luzerner Denkmal für alle Zeiten festgehalten ist. Auch Österreich hatte eine Schweizergarde, als Kaiser Franz 1. seine eidgenössischen (Luzerner) Gardisten aus Lothringen und Toskana nach Wien brachte, wo sie unter Maria Theresia 1745 bis 1767 Hofdienste versahen. An sie erinnert eine Gedenktafel im Schweizertor der Wiener Hofburg. Aber nicht nur als Garden gingen die Eidgenossen in das Ausland, auch als gewöhnliche Söldner (Reisläufer) dienten sie in verschiedenen Heeren; so finden wir bei den Habsburgem sieben schweizerische Regimenter in den Jahren 1690 bis 1743, wie auch der Kirchenstaat solche aufstellte.

Monsignore Krieg verdanken wir nun einen vollständigen Einblick in die Geschicke der Schweizergarde in Rom, die Julius II. 1506 errichtete und die später nach wiederholten politischen Erschütterungen noch viermal neu aufgestellt wurde. Ihren soldatischen Höhepunkt ver- zeichnete sie in den Tagen des Sacco di Roma, als sie am 6. Mai 1527 mit 147 Gefallenen von insgesamt 189 Gardisten dem Papst Clemens VII. den geschworenen Eid bis in den Tod hielt. Die Gardegeschichte ist weitgehend eine Biographie der Gardekommandanten, doch auch vieler ibrer An- gehörigen, aus deren Briefen der Verfasser wertvolle Details zu bemerkenswerten geschichtlichen Ereignissen zusammensuchte. Die einmalige Stellung der Garde als Leibwache des Papstes brachte es mit sich, daß vom militärischen Mikrokosmos einer Kompanie — und mehr stellte diese Garde nie dar — zum welthistorischen Makrokosmos nur ein kleiner Schritt zu gehen war. Die Mächtigen der Erde aus vielen Staaten, die den Weg zum Oberhaupt der katholischen Kirche nahmen, sie mußten notgedrungen alle an den Schweizergarden vorbei, die solcherart Augenzeugen denkwürdiger Vorgänge wurden. Sie assistierten bei der letzten von einem Papst vorgenommenen Kaiserkrönung — jener Karls V. in Bologna 1530 —, sie sahen den Herzog von Alba 1557 in Rom einreiten, sie standen Spalier, als der Schwedenkönig Gustav ill. einer Papstmesse im Petersdom beiwohnte. Der österreichische Kaiser Franz I. stieg 1815 im Gardequartier ab. Das alles und noch unzählige andere Einzelheiten zur Geschichte der Päpste, Roms, des Kirchenstaates und jener schweizerischen Geschlechter, aus deren Reihen die Gardekommandanten stammten, lesen wir in Kriegs Darstellungen, die sich auf ältere, ganz fragmentarische Vorarbeiten Robert Durrers stützen und mit 1910 abschließen, da man aus der jüngsten Vergangenheit „wegen der Zeitnähe” wohl noch keine Geschichte ableiten kann.

Viel Interesse werden die Kapitel über Uniformierung, Waffen und Fahnen hervorrufen, nicht bloß vom heereskund- lichen, sondern auch vom künstlerischen Standpunkt aus. Erfreulicherweise wird mit der Legende aufgeräumt, es hätten berühmteste Künstler, wie angeblich Raffael, die Uniformen entworfen. Daran ist kein Wort wahr, doch haben natürlich sehr bedeutende Maler die Garde auf ihren Gemälden verewigt.

Wie alles, was als menschliche Institution blühen und gedeihen will, pflegt auch die Schweizergarde ihre Überlieferungen, die deshalb ihre Eigenart zeigen, weil es sich um Soldaten ohne eigentliches Vaterland handelt. Unwillkürlich zieht man einen Vergleich mit den Söldnern früherer Zeiten, die ihre Dienste nach den Aussichten des Fortkommens wählten und nicht selten gelegentlich wechselten, sobald es ihnen vorteilhaft schien. Der Päpstlichen Garde wohnt ein tieferer Sinn inne, und ihr 400-Jahr-Jubiläum gab 1906 Anlaß zu diesbezüglichen Formulierungen: „Immer war sie” — schreibt Krieg — ,.der großen Sendung bewußt, zu der die Vorsehung ihre Mitglieder berief: Schützer und Verteidiger der geheiligten Person des Papstes, des Nachfolgers des heiligen Petrus, des Oberhauptes der katholischen Kirche, zu sein.” Papst Pius X, sagte:

„Euch kommt deshalb der Ruhm zu, die große Sendung zu erfüllen, die euch anvertraut ist; dem, wenn es inmte ehrenvoll ist, jeglicher Autorität au] irden zu dienen, so werdet Ihr verstehen wie ruhmvoll es ist, dem Stellvertretei Jesu Christi zu dienen, dessen Person Mit den wichtigsten Interessen der Kirche verbunden ist.”

Die Schweizer Gardisten im Vatikan sind noch in unseren Tagen ein Symbol für die Soldaten aller Staaten, das Symbol des ewigen Wehrgedankens, der Eidestreue, der Hingebung und Aufopferung für ein wahrhaft edles und erhabenes Ziel, für das Schutzgewähren dem Wehrlosen, dem Schwachen und dem mutwillig Angegriffenen: in dieser ethischen Fassung hat auch Papst Pius XII. den Waffendienst in mehreren richtunggebenden Botschaften urbi et orbi verkündet.

Das Werk Kriegs verdient seine Würdi gung als Arbeit eines Historikers, der ausschließlich „veritati servire” will und der mit beispiellosem Fleifl und mit vorbildlicher Gewissenhaftigkeit — die an weniger guten Erinnerungen keineswegs vorbeisieht — aus 20 Archiven und Bibliotheken in Rom, Florenz, Neapel, in der Schweiz und in Wien der Schweizergarde eine Geschichte geschaffen hat, die weit über den engeren Kreis der Garde die allgemeine Geschichte bereichern wird. Fast hundert zum Teil farbige und bisher noch unveröffentlichte Bilder beleben den Text, ein Anhang bringt den Wortlaut von Kapitulationen und Eidesformeln, die Kommandantenliste, ein Quellenverzeichnis und Anmerkungen. Das Personen- und Ortsverzeichnis ist ein Nachschlagebehelf für sich.

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