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Der Papst braucht Soldaten

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Über Geschichte und Aufgaben der Schweizergarde. Ein Essay.

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Über Geschichte und Aufgaben der Schweizergarde. Ein Essay.

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Nächtens, um 1 Uhr 55, platzte die Plastikbombe. Es war Mittwoch, den 17. Februar 1965. Der Kommandant der päpstlichen Schweizergarde, der Luzerner Oberst Robert Nünlist, hatte Geburtstag, und der Gardechor hatte ein Ständchen einstudiert. Die Plastikbombe, auf italienischem Hoheitsgebiet gelegt, zertrümmerte sämtliche Fensterscheiben der Gardekaserne auf der „Grenz“-Straße zum Vatikan- Staat, auf der Via Porta Angelica. Die Schweizer „Palastwache mit polizeilichen Funktionen“ — wie die Garde sich definiert — war selbst zum Opfer geworden. Und obschon die Hintergründe des Anschlages nicht aufgeklärt worden sind, meinen jene, die es wissen müssen: Dies war eine bewußte Demonstration gegen die Tell-Söhne im vatikanischen Zwergstaat. Einige Italiener hätten etwas Eidgenössisches gesucht, um ihren Unwillen über die schweizerischen Einreiserestriktionen für italienische Fremdarbeiter kundzutun, und seien dabei aufs Nächststehende verfallen: die Schweizergarde. Diese Explosion brachte die Schweizer in bunten Plusterhosen, im leicht opernartigen, angeblich von Michelangelo entworfenen Wams für einige Wochen ins Rampenlicht der italienischen Gazetten. Indes, die Explosion hatte die Fensterscheiben absolut Unschuldiger zersplittert: Die schweizerischen Fremdarbeiter auf vatikanischem Terrain leiden an Personalmangel, und man würde ihnen die Einreise gern erleichtern, wenn sie nur kommen wollten.

Im 460. Jahr ihrer Existenz hat die von Papst Julius II. della Rovere 1506 gegründete Schweizergarde Mühe, ihre verkleinerte Soll-Stärke von 75 Mann zu erhalten und selbst zu erreichen. Sie ringt mit der Sorge aller „freiwilligen Armeen“: Rekrutenmangel. Sie ist zwar nur einer der drei „corpi armati“ im Vatikan — neben der „Guardia Palatina d’Onore“, in der italienische Ehrenmänner Dienst leisten, und neben der wichtigeren 150 Mann zählenden „Gendarmeria Pontificia“, die in jener geschmackvollen Uniformierung, 'die zu den Polizisten aller Zwergstaaten zu gehören scheint, die eigentlichen Ordnungsfunktionen erfüllt. Aber die älteste, traditionsreichste Truppe, die Schweizergarde, bewacht Tag und Nacht die Hauptportale sowie den päpstlichen Residenzpalast, und sie leistet Ordnungs- und Ehrendienste bei kirchlichen Funktionen und Empfängen, bei Generalaudienzen und Staatsbesuchen.

Vor einigen Wochen, am 6. Mai, wurden im Vatikan, in einer feierlichen Zeremonie und in Anwesenheit kirchlicher und schweizerischer Würdenträger, 20 neue Rekruten vereidigt. Da jedoch die Abgänge gleichzeitig recht hoch sind — die durchschnittliche Dienstdauer beträgt derzeit drei Jahre und einen Monat —, war die Verstärkung eher optisch. Diese Gardisten, eingerückt mit „ein Paar hohen, ungenagelten schwarzen Schnürschuhen ohne Gummisohlen für den Dienst, zwei kragenlosen Hemden zum Tragen unter der Uniform“, kommen vornehmlich aus den Kantonen Bern, St. Gallen und Luzern; die Innerschweizer sind in der Minderzahl. Sie müssen die schweizerische Rekrutenschule absolviert haben, katholisch und — ledig sein, ledig bleiben. Die „Zölibats“-Forderung hat sich als ein Hindernis erwiesen für den Aufbau einer langjährig dienenden Truppe. Denn wer während der zweijährigen Dienstdauer heiratet, muß das Michelangelo- Gewand ablegen, den Dienst quittieren. Es kommt gelegentlich vor, daß der Ruf des Herzens stärker ist als der Wunsch, dem Heiligen Vater als „flotter, strammer Schweizer“ zu dienen -- dies jedenfalls das Motiv des üblichen Diensteintritts. Die Rekruten sind in Einzelzimmern untergebracht, und die Neuankömmlinge werden zunächst 14 Tage lang in den Besonderheiten des vatikanischen Dienstes gedrillt: mit der Hellebarde sind die Griffe anders als mit dem Gewehrkolben, mit dem Barett auf dem Kopf grüßt’s sich anders als mit dem Käppi, und den „Kniefall“, die respektvolle Ehrenbezeugung der Sehweizergarde, haben die Rekruten in einer Rekrutenschule erst recht nicht gelernt. Stehen die Neulinge mit Hellebarde dann auf Pikett, so wird ihnen zunächst ein Unteroffizier zugestellt, der ihnen hilft, die Hunderte von Gesichtern zu memorisieren, die Monsignori und anderen Soutanenträger, die unterschieden werden müssen, sich einzuprägen. Erst nach dem ersten Dienstjahr dürfen sich die Gardisten ein privates Mobil — und auch dann nur mit Erlaubnis des Kommandanten — halten: allerdings auch nur eine Vespa für Gardisten — für Unteroffiziere hingegen ein Auto.

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