6779386-1969_36_07.jpg
Digital In Arbeit

Kaspars Story...

Werbung
Werbung
Werbung

Die fast 500 Jahre alte päpstliche Schweizergarde ist unter Beschuß geraten. Nicht daß sie wie einst im Sacco di Roma sich mit der Waffe schlagen müßte. Gegenwärtig wird nur mit Erklärungen und Gegenerklärungen gefochten. Angefangen hat die Fehde mit einem Eidbruch: der junge Gardist Kaspar Holzgang hat ohne Erlaubnis einen Heimaturlaub eingeschaltet, von dem er nicht mehr zur Truppe zurückkehrte. Zu Hause begründete er seinen Ungehorsam mit dem „preußischen Drill“, der angeblich in der Schweizergarde herrsche. Als die Presse sich des Themas annahm, ging Kaspar Holzgang dann noch etwas weiter und schilderte ausführlich, was nicht nur in der Garde selbst, sondern überhaupt im Vatikan sich abspiele. Für die Boulevardzeitungen war die Schilderung von Kaspar Holzgang ein dankbarer Stoff!

Nun verbrachte der Gardekommandant Oberst Hugo Nünlist einige Ferientage in der Schweiz und benützte diese zu Gegenerklärungen. Vor allem wandte sich Nünlist dagegen, daß er in Rom den „Drill“ eingeführt habe. Man glaubt es ihm, denn bevor er vor zwölf Jahren das Gardekommando übernahm, war er in der Schweizer Armee Instruk- tionsofftzier und war als solcher für gut menschliches Benehmen bekannt. Er hatte sich nach Rom abgesetzt, und nicht zuletzt deshalb, weil gewisse schweizerische Offiziere seine fortschrittlichen Gedanken hintertrieben und die Verwirklichung verhinderten.

Nur dreimal Arrest

Oberst Nünlist hielt aber schon damals und auch jetzt als Gardekommandant zwei Dinge klaT aus einander: Drill und Disziplin. Disziplin muß auch nach seiner Meinung in einer Truppe herrschen, selbst in einer Ehrengarde. So gehört unerlaubtes Entfernen von der Truppe zu den unehrenhaften Handlungen, die bestraft werden müssen. In seinen zwölf Dienstjahren in Rom mußte nur dreimal ein dreitägiger Arrest verfügt werden. Eine Strafe traf Kaspar Holzgang, weil er sich ohne Abmeldung nach Neapel begab.

Schon aus diesem Detail gewinnen Holzgangs boshafte Erklärungen ein etwas anderes Gesicht, und sie würden wohl gar nicht verdienen, daß man sich mit ihnen ausführlicher beschäftigt. Immerhin haben die Ausführungen von Oberst Nünlist Gelegenheit geboten, die aktuellen Probleme der Schweizergarde zu erfahren... I?azü gehört m e Xmlö der Personalmangel- ein Klagelied, das man allerdings nacht nur in Rom und nicht nur bei der Schweizergarde singt. Der Sollbestand beträgt 75 Mann, doch besteht die Garde gegenwärtig nur aus 62 Gardisten. Sie müssen sich zu einer Dienstzeit von zwei Jahren verpflichten, wobei man allerdings vorzieht, Gardisten mit mindestens fünf Dienstjahresver- pflichtung anzuwerben. Der Monatslohn beträgt rund 700 Schweizer Franken, wozu freie Unterkunft und außerordentlich günstige Kantinenpreise zu rechnen sind. Jeder dritte Tag ist dienstfrei. Vielleicht wirkt sich allerdings gerade dieser Umstand ungünstig auf den Monatslohn aus, denn das Leben in Rom ist teuer, und wer jeden dritten Tag Gelegenheit hat, das Leben zu genießen, möchte auch die materiellen Voraussetzungen dazu erhalten.

Die Garde selbst ist von Pap3t Julius II. am 21. Jänner 1506 gegründet worden. Ihre Feuerprobe hatte sie im Sacco di Roma im Jahre 1527 zu bestehen, als die Deutschen und Spanier des kaiserlichen Heeres Rom eroberten und plünderten. Papst Clemens VII. wurde zunächst in der Engelsburg belagert, wo der große Goldschmied und Bildhauer Benvenuto Cellini zu seinen Verteidigern gehörte. Bald mußte er sich ergeben und wurde des Kaisers Gefangener. Die Schweizer Gardisten aber hatten sich mutig geschlagen und ihr Leben eingesetzt, um dasjenige des Papstes zu schützen. Zwei Jahre später, 1529, als die Türken vor Wien erschienen, vermochte Karl V. den Papst zur Unterzeichnung des Friedens von Barcelona zu zwingen, womit Italien unter sein Protektorat fiel.

Heute ist die Schweizergarde zu einem scheinbar folkloristischen Relikt geworden. Zwar hat sie reale Ordnungspflichten zu erfüllen und ist ihr der persönliche Schutz des Papstes anvertraut, aber ihre Festtagsuniform in den Medioeer-Farben unterstreicht doch das Mnleristhe ihrer Funktion. Sechs bis acht Stunden müssen die Gardisten heute exerzieren, sagte Oberst Nünlist während seines Urlaubes in der Schweiz. Sechs bis acht Stunden, aber nicht etwa pro Tag, sondern pro Jahr!

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung