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Ferien mit Hellebarden

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Da die Schweizer Garde in Rom auf einen Mindestbestand zusammengeschrumpft ist, sah sich der Kommandant, der Luzerner Oberst Nünlist, genötigt, den Opfersinn seiner Truppe nicht mehr länger auf die Probe zu stellen und mit Unterstützung des vatikanischen Staatssekretariats für Abhilfe zu sorgen. Bestimmend war die Tatsache, daß sich auch andere Organisationen, die nur Schweizer Bürger beschäftigen dürfen, zum Beispiel die Schweizerischen Bundesbahnen, die Schweizer Post und das Grenzwachtcorps seit Jahr und Tag großen Personalproblemen gegenübergestellt sehen, die sie zum Teil mit den mehr oder minder kurzfristigen Einsätzen von Hochschulstudenten lösen.

Echo auf ein Rundschreiben

Anfangs Juli reisten erstmals neun Jungakademiker nach Rom, um während zwei bis drei Monaten die regulären päpstlichen Truppen zu entlasten. Am 15. Juli folgten weitere acht. Bisher haben dem Rundschreiben an die Bischöfe und Rektoren der Priestersemimarien und katholisehen Kollegien 20 Mittelschüler und Studenten Folge geleistet. Falls sich weitere 10 bis 15 Jungakademiker zum Dienste bei der päpstlichen Leibwache melden, kann die überstrapazierte Garde noch zusätzlich entlastet und dem einen und anderen Gardisten ermöglicht werden, seine Ferien zu Hause wieder einmal in der schönen Jahreszeit zu verbringen. Vorbedingungen sind neben der Körpergröße — mindestens 171 cm und absolvierten Rekruten schule das Empfehlungsschreiben des Gemeindepfarrers oder eines anderen katholischen Geistlichen, der sich über die Qualifikation des Anwärters aussprechen kann. Geboten wird der Minimalsold aller Gardisten — ab 1. Juli nach lOprozentiger Erhöhung 117.000 Lire, (sfr. 810) abzüglich 14.000 Lire für Kost und Logis. Auf diese Weise kann ein Schweizer Student während der Ferienzeit monatlich mühelos sfr. 600 bis 700 auf die Seite legen und im Vatikan und Ca-stelgandolfo in schmucker Hellebardenuniform eine sicherlich unvergeßliche Zeit verbringen. Die Schweizer Garde übernimmt eine Reiseentschädigung von 25.000 Lire.

Mit Genugtuung stellt Oberst Nünlist fest, daß das Staatssekretariat seiner Aktion mit Freuden zugestimmt hat. Gerüchte der Zehnmalklugen, die wissen wollen, Paul VI wolle die Schweizer Garde auflösen, sind völlig aus der Luft gegriffen. Gottlob ist diese Leibwache nicht mehr so bedeutungsvoll wie vor 453 Jahren, als ihr in Sacco di Roma die Aufgabe oblag, den Rückzug des Papstes in die Engelsburg sicherzustellen. Damals fanden 142 Schweizer den Heldentod. Nach zweimaliger Auflösung während kurzer Zeit haben Paul III. 1548 und Leo XII. 1825 der Schweizerischen Leibwache des Papstes wieder zu neuem Glanz verholten.

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